Überwachung

Deutschland muss genauer hinschauen

Peter Welchering und Hauke Gierow im Gespräch mit Frank Meyer · 15.04.2014
Deutsche Firmen stehen im Verdacht, an Staaten wie Bahrain Technologien geliefert zu haben, mit denen Menschrechtsaktivisten überwacht wurden. Eine neugegründete Initiative fordert jetzt eine Export-Prüfung wie bei Panzern und U-Boten.
Frank Meyer: Das Internationale Bündnis gegen Exporte von Überwachungstechnologie hat sich heute in Berlin vorgestellt. Reporter ohne Grenzen und Amnesty International gehören zu diesem Bündnis, die Internationale Menschenrechtsliga und viele weitere Menschenrechtsorganisationen. Sie werfen westlichen Firmen vor, dass sie ein Milliardengeschäft machen mit dem Export von Technologien, mit denen Menschenrechtsverteidiger, Journalisten, Oppositionelle ausgeforscht und zum Schweigen gebracht werden. Und wir wollen zuerst den Wissenschaftsjournalisten Peter Welchering fragen, Herr Welchering, welche Technologien sind das überhaupt, die auf diesem Gebiet eingesetzt werden?
Peter Welchering: Das sind ganz klassische Schadsoftware-Bestandteile, beispielsweise Software für die Online-Durchsuchung oder Software und in dem Fall dann auch Hardware, sogenannte IMSI-Catcher, mit denen ich Mobilfunknetze überwachen kann. Und bei der Software, die hier eingesetzt wird für diese Überwachung, da geht es zum einen darum, wirklich ganz konkrete Personal Computer beispielsweise zu durchsuchen, um belastendes Material zu finden, oder aber auch, um einfach das Internet zu überwachen, etwa: Wer tauscht mit wem Mails aus, wer besucht welche Webseiten, oder aber, wer hat welches Video mit irgendwelchen verräterischen Inhalten hochgestellt? Das interessiert vor allen Dingen solche Diktatoren wie Baschar al-Assad.
"Tut uns leid, war wohl eine illegale Kopie"
Meyer: Und wo kommt diese Software beziehungsweise auch die Hardware, wo kommt das her, wer sind die großen Hersteller dafür?
Welchering: Die großen Hersteller sind Hersteller, die auch Sicherheitsbehörden beliefern, und die machen natürlich immer sofort sehr stark von dem Hinweis Gebrauch, dass ohne diese Überwachungssoftware auch bestimmte Sicherheitsaufgaben nicht wahrgenommen werden können. Also beispielsweise dem Softwareentwickler Gamma mit Sitz eines Büros in München, dem hat die Menschenrechtsgruppe Bahrain Watch im Jahr 2012 vorgeworfen, Überwachungssoftware an das Regime von Bahrain verkauft zu haben. Gamma argumentierte ja damals: Tut uns leid, war wohl eine illegale Kopie.
Oder aber Überwachungssoftware, die die Firma Trovikor herstellt – tatsächlich hat sich dann herausgestellt: Es gab einige Reisen, ein Vertriebsleiter ist nach Dubai. Ob das schon ausreicht, um wirklich zu beweisen, dass auch tatsächlich Spionagesoftware nach Dubai verkauft wurde, mit der dann dort die Opposition bewacht wurde, ist immer schwierig zu beweisen. Also es ist ein sehr millionenschweres Geschäft und es ist ein internationales Geschäft, und deutsche Firmen, unter anderem auch Rheinmetall oder andere, sind mitten drin.
Meyer: Deutsche Firmen, jetzt habe ich den Eindruck, deutsche Firmen sind die Hauptplayer in diesem Markt. Das ist aber wahrscheinlich nicht richtig, oder?
Welchering: Nein, die Hauptplayer, die Hauptlieferanten sitzen vor allen Dingen beispielsweise in Weißrussland oder auch in der Ukraine und liefern die Überwachungsroutinen zu, die dann beispielsweise eben auch von Sicherheitsbehörden, aber auch von der Internetkriminalität, von der organisierten Kriminalität verwendet wird.
Meyer: Wir haben jetzt Hauke Gierow von Reporter ohne Grenzen bei uns im Studio, Herr Welchering, an Sie erst mal vielen Dank für den Moment. Herr Gierow, Sie waren heute dabei, als das Bündnis gegen den Export von Überwachungstechnologie vorgestellt wurde. Welche Fälle, welche Länder haben Sie denn vor Augen, wenn Sie so eine Initiative starten?
"Im Nahen Osten eine weite Verbreitung von europäischen Technologien"
Hauke Gierow: Leider gibt es eine sehr große Zahl von Ländern, bei denen das eine Rolle spielt. Bereits genannt wurde Syrien und Bahrain, Iran. Wir haben in der Vergangenheit auch Angebote gefunden der Firma Gamma an Ägypten, noch unter Mubarak damals, wir müssen eigentlich davon ausgehen, dass im gesamten Nahen, Mittleren Osten eine sehr weite Verbreitung von europäischen Technologien zu finden ist.
Meyer: Und wie gehen die Leute, die davon betroffen sind, wie gehen die damit um inzwischen? Weichen sie auf andere Kommunikationsmethoden aus? Haben sie überhaupt die Möglichkeiten dazu?
Gierow: Das kommt drauf an. Wir sprechen ja über verschiedene Technologien. Einerseits haben wir die Systeme zum Beispiel der Firma Trovicor, die genutzt werden, um eigentlich einen Großteil des Internetverkehrs dann mitschneiden zu können und dann eben dort speziell Spuren zu finden. Dagegen kann man sich nur sehr schwer wehren. Man kann zum Beispiel versuchen, das Tor-Netzwerk zu benutzen oder verschlüsselte Verbindungen. Die andere Technologie, das wären die sogenannten Trojaner, die Online-Durchsuchung, wie sie auch in Deutschland diskutiert wurde, und wenn dort der eigene Rechner infiziert ist, dann ist eben auch eine Gegenwehr sehr schwer möglich, dann muss man vor allen Dingen sehr gut auf seine Hardware aufpassen.
Meyer: Jetzt haben Sie gesagt, dass diese Technologie nicht nur genutzt wird, um Leute auszuspähen, auszuforschen, sondern auch, um sie zum Schweigen zu bringen. Wie geht das?
"Während der Folter wurden ihm dann Transkripte von E-Mails vorgelesen"
Gierow: Natürlich werden Menschen, wenn sie überwacht werden in diktatorischen Systemen, mit solchen Informationen gezielt unter Druck gesetzt. Wir haben immer wieder gesehen das Beispiel von Abdul Ghani Al Khanjar in Bahrain, ursprünglich Grundschullehrer und hat sich dann durch Repressionen eigentlich zu einem Dissidenten entwickelt im System, der wurde inhaftiert, er wurde gefoltert und während der Folter wurden ihm dann Transkripte von SMS, von E-Mails und von anderer Kommunikation vorgelesen. Und das muss man sich eben darunter dann ganz konkret vorstellen, dass solche Firmen solche Praktiken dann eben mit ermöglichen.
Meyer: Jetzt gibt es schon einen ersten Erfolg der Kritik von Menschenrechtsorganisationen am Export von solchen Überwachungstechnologien. Im letzten Jahr schon haben die Vertragsstaaten des Wassenaar-Abkommens für Waffenexport-Kontrollen beschlossen, dass man diese Überwachungstechnologien in eine Liste der zu regulierenden Güter aufnimmt. Was heißt das jetzt konkret, wenn diese Technologien auf so eine Liste kommen?
Gierow: Das heißt, dass ein Vergleich letztlich stattfindet mit klassischen sogenannten Dual-Use-Gütern, Dual-Use-Güter sind einfach Güter, die sowohl einen zivilen als auch einen militärischen Verwendungszweck haben, und man sagt eben: Dort kann man nicht generell den Export verbieten, aber man muss eben sehr genau hinschauen. Und das ist genau das, was wir fordern: dass die Bundesregierung zum Beispiel sehr genau hinschaut, dass die Bundesregierung dann eine genaue Einzelfallprüfung vornimmt, wenn ein solcher Exportantrag dann gestellt wird und eben guckt, wie die Menschenrechtssituation in einem Zielland dann aussieht.
Meyer: Und heute ist das völlig unreguliert, da kann jede Firma exportieren, was und wohin sie will?
Gierow: Bislang ist das weitgehend unreguliert, ja.
Meyer: Und das heißt, in Zukunft müsste man, genau wie wenn man ein U-Boot oder einen Panzer exportieren will, eine Anfrage an die Bundesregierung stellen? So stellen Sie sich das vor?
Gierow: Genau.
"Die deutsche Regierung hat mittlerweile erkannt, dass es problematisch ist"
Meyer: Wir haben schon über den Anteil der deutschen Firmen an dem Markt für Überwachungstechnologie gesprochen. Wie stellt sich denn die deutsche Regierung zu Ihren Forderungen?
Gierow: Die deutsche Regierung – mittlerweile hat sie angekündigt, relativ zügig auch diese Wassenaar-Beschlüsse umsetzen zu wollen und, ja, hat mittlerweile erkannt, dass es eben problematisch ist. Das war leider nicht immer so. In der Vergangenheit gab es tatsächlich Hermes-Bürgschaften, die den Verkauf von Überwachungstechnologie abgesichert haben, das heißt, dort wurde der Verkauf dann sogar noch aktiv mit Steuergeldern unterstützt.
Meyer: Die andere Frage ist ja: Welche Erfolgsaussichten haben überhaupt solche Kontrollen, wenn es um Hardware geht, wenn es um Software geht? Fragen wir da mal zuerst noch mal unseren technischen Experten, den Wissenschaftsjournalisten Peter Welchering. Herr Welchering, was meinen Sie, wie erfolgreich ist so ein Ansinnen, den Export solcher Überwachungstechnologien kontrollieren zu wollen?
Welchering: Also wenn man solche Überwachungstechnologien kontrollieren will, kann man sie nur kontrollieren, wenn wirklich in irgendeiner Weise ein Stück Hardware dabei ist, und das ist erfreulicherweise auch seit dem Jahr 2010 vor allen Dingen vom Schweizer Außenamt gemacht worden. Sehr viele dieser Geräte sind über die Schweiz verschickt worden, und das Schweizer Außenamt hat seit 2010 sehr viele dieser Exporte einfach gestoppt. Wann immer es um reine Software geht und Online-Überwachung, das ist ein reines Software-Geschäft, da ist sehr schwierig, irgendwas zu kontrollieren, denn da lädt sich dann beispielsweise einfach ein Sicherheitsbüro in Bahrain oder in Dubai die entsprechende Software herunter vom Server des Unternehmens, etwa in Deutschland, und wendet sie dann an.
Meyer: Hauke Gierow, Sie haben ja bedenklich den Kopf geschüttelt – Sie sehen das offenbar etwas anders?
"Mit Software sind in der Regel Dienstleistungen verknüpft"
Gierow: Grundsätzlich ist es richtig, dass der Verkauf von Hardware natürlich deutlich einfacher zu regulieren ist. Man muss aber sehen, dass mit Software in der Regel Dienstleistungen verknüpft sind, dass dort spezielle Anpassungen vorgenommen werden für Kunden und dass Wartungsverträge, Schulungen und so weiter eben durchgeführt werden. Und das ist eben auch ein Punkt, wo man natürlich dann eingreifen kann und das aus unserer Sicht auch unbedingt tun sollte.
Meyer: Das heißt, Sie rechnen damit, dass Ihre Initiative, die Sie heute vorgestellt haben, dass sie in absehbarer Zeit auch tatsächlich dazu führt, dass weniger Überwachungstechnologie exportiert wird?
Gierow: Wir denken zumindest, dass wir in relativ absehbarer Zeit in Europa wesentliche Schritte nach vorne gehen. Und dann müssen wir natürlich weiter schauen und gucken: Gibt es zum Beispiel Betriebsverlagerungen in den arabischen Raum, müssen wir uns über chinesische Überwachungstechnologie noch mal Gedanken machen? Aber für unsere Menschenrechtsglaubwürdigkeit wäre dies eben ein erster, sehr guter Schritt.
Meyer: Ein Bündnis gegen Exporte von Überwachungstechnologien hat sich heute in Berlin vorgestellt. Wir haben darüber gesprochen mit dem Wissenschaftsjournalisten Peter Welchering und Hauke Gierow von Reporter ohne Grenzen. Herzlichen Dank an Sie beide!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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