Über die Macht der Tech-Giganten

Europa braucht einen Neustart

10:09 Minuten
Bewegungsunscharfe Nahaufnahme einer leuchtenden Computertastatur.
Die vornehmlich amerikanischen Social-Media-Firmen, die auch den europäischen Markt bestimmen, nennen Viktor Mayer-Schönberger und Thomas Ramge "Machtmaschinen". © Eyeem / Deyvid Murillo
Thomas Ramge im Gespräch mit Christian Rabhansl · 16.01.2021
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Amerikanische Social-Media-Konzerne bestimmen den europäischen Markt. Daran sei Europa selbst schuld, sagt Thomas Ramge. Um das Monopol der „Machtmaschinen“ zu brechen, gibt es aber Lösungen, so der Autor und Journalist.
Algorithmen stecken im Digitalzeitalter überall: Sie empfehlen uns die nächste Serie im Streamingdienst, sie zeigen uns den kürzesten Weg nach Hause, sie helfen auch seltene Krankheiten zu diagnostizieren. Und sie haben die Digitalkonzerne zu den mächtigsten Unternehmen der Welt gemacht. Daneben kann die Realwirtschaft oft einpacken.
Über die Macht dieser Digitalkonzerne haben Viktor Mayer-Schönberger und Thomas Ramge das Buch "Machtmaschinen" geschrieben. Viktor Mayer-Schönberger ist Big-Data-Fachmann und Experte für Internetregulierung, seit ein paar Jahren auch im Digitalrat der Bundesregierung. Thomas Ramge ist Wissenschaftsjournalist.


Diese "Machtmaschinen" haben ihren Sitz überwiegend in den USA und in China. Europa scheint, abgesehen vom schwedischen Unternehmen Spotify, abgehängt zu sein. Thomas Ramge und Viktor Mayer-Schönberger legen in ihrem Buch nun dar, dass dieser Zustand weder an mangelnden Rechner- und Speicherkapazitäten liegen würde noch an fehlenden Algorithmen, digitalen Werkzeugen oder fehlenden Talenten. Nach Meinung von Thomas Ramge liege es vielmehr daran, dass Europa versäumt habe, rechtzeitig digitale Plattformen aufzubauen, auf denen Daten gesammelt und genutzt werden.

Europas "religiöses" Verhältnis zum Datenschutz

Europa will weniger Überwachungskapitalismus US-amerikanischer Schule und Digitaldiktatur chinesischer Machart, legt hingegen aber viel Wert auf Datenschutz und wolle sich als "Hort von Bürgerrechten" etablieren. Ramge und Mayer-Schönberger schreiben diesbezüglich in ihrem Buch auch von einer "moralischen Überlegenheit" Europas. Manche sprechen bei dem Thema Datenschutz sogar schon von einer "europäischen Religion".
In dieser Debatte wollen die beiden Autoren darauf hinweisen, dass der europäische Datenschutz aus der Balance geraten sei, sagt Thomas Ramge. Der Datenschutz in Europa habe immer zwei Stoßrichtungen gehabt: der Schutz der Privatheit und der Zugang von wichtigen Informationen für alle Menschen: "Damit eben nicht so starke Informationsasymmetrien – Wissen durch Macht dadurch entsteht, dass nur wenige Zugriff auf die relevanten Informationen haben."

Schutz der Privatsphäre auch in Zukunft wichtig

Europa bräuchte einen "Neustart", meint Ramge. Auch in Zukunft würde der Schutz der Privatheit natürlich eine wichtige Rolle spielen. Im Umkehrschluss dürfe das aber nicht bedeuten, dass US-amerikanische Unternehmen, die mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gut zurechtkommen würden, nur noch die Einzigen wären, die noch Zugang zu Informationen hätten, europäische Mitbewerber hingegen aber keine Chance mehr hätten, einen "ähnlichen Wissen- und Datenschatz" aufzubauen.


Thomas Ramge und Viktor Mayer-Schönberger haben deshalb schon 2017 in ihrem Buch "Das Digital" neben der Datenschutz-Grundverordnung auch eine Datennutz-Grundverordnung vorgeschlagen. Darin haben sie skizziert, wie eine "progressive Datenteilungspflicht" aussehen könnte. Sie haben diese Idee weiterentwickelt und sprechen heute von der "Notwendigkeit, dass Europa die Zugangsrechte zu Daten neu regeln muss". Das heißt, wenn Unternehmen oder andere Institutionen auf einem "riesigen Datenschatz sitzen" und diesen exklusiv nutzen, dass dieser Datenschatz den "Charakter eines öffentlichen Gutes haben muss". Alle Menschen sollen darauf also zugreifen dürfen.
Buchcover: "Machtmaschinen – Warum Datenmonopole unsere Zukunft gefährden und wie wir sie brechen" von Thomas Ramge und Viktor Mayer-Schönberger.
Ein Monopol auf Daten sei nicht fair und, nicht juristisch begründbar, sagt Thomas Ramge.© Murmann Publishers / Deutschlandradio

"Das Spiel ist sowieso verloren"

Der Fokus solle nicht mehr darauf liegen, Daten zu verknappen. Das Spiel sei sowieso verloren, sagt Thoms Ramge. Dieser Versuch habe dazu geführt, dass die wertvollen Daten in den Händen von ganz wenigen "Machtmaschinen" gelandet seien. Vielmehr wollen die beiden Autoren, dass Daten, die durch Interaktion mit anderen entstanden sind, nicht ausschließlich bei den Betreibern dieser "Machtmaschinen" bleiben, sondern diese "Datenschätze all jenen zugänglich zu machen, die einen Beitrag zum Fortschritt leisten können". Das könnten Forscher und Forscherinnen, Konkurrenzunternehmen, Non-Profit-Organisationen oder auch Einzelpersonen sein.
Ein Monopol auf Daten sei nicht fair, nicht juristisch begründbar, nicht gut für den Wettbewerb insgesamt und auch nicht gut für Gesellschaften, argumentiert Ramge. "Denn wir zahlen doppelt: Einmal mit unseren Daten, die wir kostenlos abtreten. Und wenn Monopole entstehen, werden Fortschritt und Innovation verlangsamt."

Regulierung als Lösung

Um die bisherige Übermacht der US-Unternehmen zu brechen, müssten die Konzerne reguliert werden. "Ganz einfach", sagt Thomas Ramge. Es sei ein weitverbreitetes Missverständnis, dass die großen amerikanischen "Superstar-Firmen" sich nicht europäischer Gesetzgebung beugen würden. Der europäische Gesetzgeber könne ganz klar sagen, wer nicht bereit sei, Zugang zu bestimmten Daten zu gewährleisten, der dürfe auf dem europäischen Markt nicht teilnehmen. "Das ist der Hebel!"

(jde)
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