Über den Tellerrand geschaut

Ein alter Franzose als Exportschlager

Ein Mann riecht an einem Glas Cognac in einer Hotelbar in München.
Alkohol als Genussmittel: ein Mann riecht an einem Glas Cognac in einer Hotelbar in München. © picture-alliance/ dpa
Von Daniela Kahls  · 21.01.2014
Auch wenn Cognac in Deutschland oder Frankreich nur noch wenig getrunken wird, ist er anderswo ein Trendgetränk: In Russland, China oder Amerika findet der französische Weinbrand reißenden Absatz.
32.000 Euro für eine Flasche Cognac. Wie kann es zu solchen Preisen kommen? Um das zu verstehen, muss man tief in das Mysterium Cognac eintauchen.
Der Dreh- und Angelpunkt ist eine kleine Stadt im Südwesten Frankreichs, im Departement Charente. Es ist die Kleinstadt Cognac. Sie liegt 100 Kilometer nordöstlich von Bordeaux, rund 80 Kilometer von der französischen Atlantikküste entfernt.
Der Fluss Charente fließt durch das Städtchen und unterstreicht den beinahe verschlafenen, ländlichen Eindruck. Es gibt eine Fußgängerzone, in der Passanten entspannt mit viel Platz flanieren können. Einige enge Gassen, die sich durch den mittelalterlichen Teil von Cognac winden, wirken so ausgestorben wie malerisch. Und vor den Toren der Stadt liegen direkt die Weinberge. Denn der dunkelbraune Cognac wird anders als Whiskey oder Rum aus Weißwein destilliert. Der Stadthistoriker Vincent Bretignolles:
"Cognac ist in der ganzen Welt bekannt, hat aber trotzdem nicht das Image eines Weinbaugebietes. Nicht jeder weiß, dass Cognac ein Eau de Vie aus Wein ist. Und doch ist es so, überall um Cognac herum stehen Weinreben. Und die Herkunftsbezeichnung Cognac umfasst eines der größten Weinanbaugebiete in Frankreich."
Weißwein wird in vielen Regionen Frankreichs angebaut. Doch vor allem in der Region Cognac hat sich vor mehr als 400 Jahren die Tradition des Weinbrennens entwickelt und durchgesetzt.
Den Anfang machten vor allem holländische Händler, die in der Region waren, weil sie den Fluss Charente für ihren Salzhandel genutzt haben. Zwischen ihren Salzfässern nahmen sie auch gerne Weinfässer mit auf die Fahrt nach Hause. Doch welch böse Überraschung: wegen seines niedrigen Alkoholgehaltes übersteht der Wein die lange Seefahrt allzu oft nicht. Und so kamen die Holländer auf die Idee, den Wein zu destillieren. Der "Brandwijn" war geboren, oder kurz der Brandy.
5000 Winzer allein in der Region Cognac
Innerhalb weniger Jahre haben die Franzosen vor Ort dann die zweifache Destillation entwickelt. Der ursprüngliche Branntwein wurde so in hochkonzentriertes Eau de Vie verwandelt. Und wieder hat eine - diesmal schöne - Überraschung eine wichtige Rolle gespielt: Denn als es zu Verzögerungen beim Transport der Eichenfässer kam, in denen das Eau de Vie gelagert wurde, merkte man, dass eine Reifung im Eichenfass das Eau de Vie geschmacksmäßig in völlig andere Dimensionen katapultierte. Im 18. Jahrhundert begann das Geschäft mit dem Cognac dann zu brummen, die ersten zwei großen Handelshäuser haben sich angesiedelt und im 19. Jahrhundert ging es dann richtig los. Immer mehr Händler siedelten sich an, die Winzer in der Region setzten nach und nach fast alle aufs Destillieren ihres Weins. Noch einmal Stadthistoriker Bretignolles:
"Um Ihnen eine Idee zu geben: zu Beginn des 19.Jahrhunderts leben 3000 Menschen in Cognac. Es war also ein großes Dorf. Und innerhalb von 70 Jahren ist die Bevölkerung von 3000 auf 20.000 Einwohner angewachsen, eine regelrechte Bevölkerungsexplosion. Und all diese Leute kamen, weil es in der Cognac-Produktion viel Arbeit gab."
Das fängt natürlich beim Weinbau, bei den Winzern an. 5000 von ihnen gibt es in der Region Cognac. Christian Thomas vom Weingut Chateau de Beaulon ist einer von ihnen.
Seit gut 50 Jahren arbeitet Thomas als Winzer auf dem Weingut, das seit 5 Jahren Generationen im Familienbesitz ist. Noch immer fährt der 80-Jährige täglich mit seinem Jeep in die Weinberge und kontrolliert die Reben. Welche Rebsorte man für die Cognac-Destillation anbaut, ist eine wichtige Entscheidung, ein Faktor für die Qualität des Cognacs. Thomas baut unter anderem die ursprüngliche Cognac-Rebe, die Folle Blanche an. Sehr empfindlich ist diese Traube, die meisten Winzer sind deshalb mittlerweile auf die robuste Sorte Ugni Blanc umgestiegen. Nicht aber Christian Thomas:
"Hier sehen Sie die berühmte Folle Blanche. Das finden nur auf Chateau de Beaulon und das macht die besten Eau de Vie der Welt. Diese Eau de Vie sind sehr blumig, sehr parfümiert, haben viel Geschmack. Wenn dieses Eau de Vie 10, 15 oder 20 Jahren alt ist, und Sie es kosten, dann entfaltet es eine unglaublicher Geschmack: Er kann Stunden präsent bleiben."
Bevor aus den Weintrauben, die Christian Thomas hier in der Hand hält, der Cognac wird, ist es noch ein langer Weg. Zunächst wird direkt nach der Lese der Traubensaft in einem ganz speziellen Brennverfahren destilliert. Es ist immer noch die zweifache Destillation wie seit hunderten Jahren. Für Christian Thomas ist die Destillation die Königsetappe in der Cognac-Herstellung. Durch die erste Destillation wird der trübe Weinbrand gewonnen. Dieser wird je nach Geschmack entweder mit oder ohne trübe Bestandteile noch einmal gebrannt. Danach muss das Destillat in drei Bestandteile getrennt werden, nur das Beste der Destillation, genannt das Herz, wird anschließend zu Cognac verarbeitet.
In den Wintermonaten bis Ende März brodeln in der Region Cognac die Brennöfen. Tag und Nacht. Christian Thomas ist in dieser Zeit rund um die Uhr in seiner Destillerie. 18 Stunden am Tag überwacht er höchstpersönlich den Brennvorgang. Nur wenige Stunden schläft er auf einer Liege, direkt neben den Brennöfen, umhüllt von einem unnachahmlichen alkoholischen Duft. Für den 80-jährigen Christian Thomas muss so das Paradies aussehen, das er trotz seines hohen Alters noch nicht verlassen will:
"Ich bete zu Gott, dass er mir nicht dieses Vergnügen, dieses Glück verweigert. Es ist wirklich ein großes Glück, hier sein zu können. Das ist eine ganz besondere Umgebung und nach zwei, drei Tagen, wenn man tief einatmet, das ist das pure Glück!"
Auch in den Monaten jenseits der heißen Brennphase kann man viele Destillerien besichtigen. Wie richtige Museen. In den großen Kesseln kann man dann immer noch den starken Duft des Eau de Vie riechen, sein Theater der Aromen, sagt Christian Thomas als er den Deckel eines Brennkessels anhebt:
Qualität eines Cognac-Fasses ist vom Holz abhängig
Nach der Destillation wird das Eau de Vie klar und durchsichtig zur Reifung in ein Eichenfass gefüllt. Welches Eichenfass gewählt wird, hat wieder einen entscheidenden Einfluss auf die Qualität des Cognacs. Kein Wunder, dass sich deshalb in der Region Cognac die Kunst der Fassmacherei besonders entwickelt hat. Fässer aus Cognac werden auch heute noch in die ganze Welt exportiert.
Und hergestellt werden sie unter anderem in der Fassmacherei Vicard in Cognac. In diesem Familienunternehmen in der 6. Generation stellen 200 Mitarbeiter rund um die Uhr 40.000 Eichenfässer pro Jahr her. Und sie sind sich der Bedeutung ihrer Arbeit für den Geschmack des Cognacs sehr wohl bewusst, sagt Pierre Marchais von der Fassmacherei Vicard:
"Das Fass gibt dem Cognac nicht nur die Farbe, sondern spielt eine wichtige Rolle für die Reifung, die Struktur, die Aromen und den Tanningehalt des Cognacs."
Die Qualität eines Cognac-Fasses beginnt mit der Auswahl des Holzes. Eiche muss es sowieso sein, das sehen die Richtlinien der Herkunftsbezeichnung AOC vor. Doch in welchem Wald die Eichen gewachsen sind, ist auch eine wichtige Frage. Vicard kauft seine Eichen, die zwischen 150 und 200 Jahren alt sein müssen, deshalb direkt im Wald. Die Stämme lagern dann auf dem Betriebsgelände und werden dort sorgfältig mit Wasser besprengt. Firmenchef Jean-Charles Vicard:
"Manche Cognac-Marken verwenden vor allem Holz aus den Wäldern des Limousin. Hier ist der Boden sehr reichhaltig, das sorgt dafür, dass die Eichen schnell wachsen und viel Tannin entwickeln. Andere Cognac-Marken bevorzugen Eichen mit feiner Maserung, die wachsen eher auf armen Böden unter anderem in Zentralfrankreich. Durch diesen Boden wachsen die Eichen viel langsamer, dadurch kommen die Aromen viel stärker zum tragen und das Tannin ist viel feiner."
In den Weinkellern, die im Cognac Chai genannt werden, lagern oft tausende Fässer. Und egal ob der Chai ein dunkles Kellergewölbe ist oder eine moderne riesige Halle - sobald man den Ruheraum der Cognacfässer betritt, schlägt einem ein unverkennbarer Geruch entgegen. Celine Poibelaud vom Cognac-Haus Camus:
Hier riechen Sie die Verdunstung des Alkohols. Ungefähr 3 Prozent verdunstet pro Jahr, das ist schon eine Menge. Wenn man die Zahl der Fässer und die Weinkeller zusammennimmt, dann kommt da schon einiges zusammen. Und für diesen Weindunst haben wir einen sehr poetischen Namen, wir nennen ihn den Anteil der Engel.
Insgesamt verdunstet in der gesamten Region Cognac das Äquivalent von mehr als 20 Millionen Flaschen Cognac pro Jahr. Dieser luftgewordene Cognac, dieser Anteil der Engel, hinterlässt aber immerhin seine Spuren, erklärt der Stadthistoriker Vincent Bretignolles:
"In Cognac ist viel aus diesem weißen Stein gebaut, was aus Cognac eine weiße Stadt macht. Aber Cognac ist auch eine schwarze Stadt, weil der Anteil der Engel, der Alkoholdunst, einen kleinen Pilz ernährt. Und dieser Pilz färbt die Mauern schwarz. Und so erklärt sich der scheinbare Widerspruch, dass Cognac eine schwarz-weiße Stadt ist."
All diese Berufe: Glasmacher, Winzer, Destillateur und Fassmacher ernähren noch heute in der Region Cognac tausende Menschen. Die Kleinstadt Cognac selbst und auch benachbarte malerische Dörfer wie Jarnac oder Saint-Simon sind durch das Eau de Vie groß geworden und leben noch heute davon. Interessanterweise ist Cognac ein Produkt, das vor allem außerhalb von Frankreich gekauft und getrunken wird.
97 Prozent der jährlichen Cognac-Produktion gehen in den Export. In 160 Länder weltweit wird das Luxusgetränk aus Frankreich exportiert, die Hauptabsatzmärkte sind Nordamerika und Asien. Anders als beispielsweise die französischen Autos ist Cognac also ein absoluter Exportschlager, das betont auch Agnès Aubin vom Branchenverband Cognac:
"Wir haben im Vergleich zur Industrie den absoluten Vorteil, dass unsere Arbeit nicht delokalisiert werden kann. Wir haben eine regionale Herkunftsbezeichnung. Man kann also nicht beliebig viel Cognac produzieren, im Gegenteil, es ist begrenzt. In puncto Angebot und Nachfrage ist Cognac also ein absoluter Erfolg. Eine ganze Branche kann deshalb gut von dem Produkt leben."
Viele von den 5000 Winzern in der Region Cognac liefern den großen Häusern ihre Trauben oder auch ihre Destillate, die die Handelshäuser dann weiterverarbeiten und vermarkten. Ungefähr 300 Winzer jedoch stellen aus ihren eigenen Trauben ihren eigenen Cognac her und verkaufen diesen dann zum Teil auf ihren Höfen. Das Cognac-Universum ist also viel komplizierter und reichhaltiger, als man auf den ersten Blick denken mag.
Cognac als Geldanlage
An einem Abend im Jahr treffen sich also alle wichtigen Vertreter dieser ganz eigenen Cognac-Welt zur jährlichen Versteigerung. Diesmal sind auch zwei junge Deutsche dabei, die Geschwister Max und Sophie. Die beiden bekommen einen Preis für besondere Verdienste um den Cognac verliehen. Der Grund: Max und Sophie betreiben einen Cognac-Blog. Per Facebook, Twitter und die Internetseite wollen sie hiermit vor allem junge Leute für ihre Leidenschaft Cognac gewinnen. Das scheint zu funktionieren, mittlerweile klicken mehr als 500.000 Menschen aus aller Welt im Monat ihre Internetseite an.
Tatsächlich ist Cognac in den USA beispielsweise wieder ziemlich hipp. Auch weil die bekannten Rapper sich gerne mit kleinen Cognac-Flaschen in ihren Video-Clips zeigen. Und in Paris haben erst Ende September fünf angesagte Clubs Cognac-Cocktail-Tage veranstaltet. So viel zu Cognac als urbanem Trend. Auch in China ist Cognac ziemlich angesagt. Das kann der Chinese Man Chan bestätigen. Auch er läuft an dem Cognac-Abend des Jahres als Gast durch das Festzelt. Der Chinese ist als guter Kunde und Sammler geladen. Man Chan hat mittlerweile
14.000 Cognac-Flaschen -Miniaturen in Hongkong zusammengetragen. Außerdem schreibt Man Chan gerade auf Chinesisch ein Buch über Cognac. Dass Cognac bei seinen Landsleuten populär ist, weiß Man Chan, nur findet er, dass die Chinesen Cognac noch nicht so richtig zu schätzen wüssten:
"Mein Ziel ist, den Chinesen beizubringen, wie man Cognac genießt. Ich will ihnen auch die Geschichte von Cognac erzählen, denn die Chinesen sagen immer "ganbe, ganbe", das heißt, trink alles, das ganze Glas und das ist nicht gut für die Gesundheit."
In China ist man gerne bereit, viel Geld für teuren Cognac zu bezahlen. In Asien verkaufen sich vor allen die alten sprich also teureren Cognacs besonders gut. Für einen XO einer guten Marke muss man schon mindestens 100 Euro zahlen. Nach oben gibt es natürlich fast keine Grenze, wie auch die Versteigerung gezeigt hat. Insgesamt kamen hier für die 26 erlesenen Flaschen 170.000 Euro zusammen. Und anders als man vielleicht denken könnte, sind es nicht nur reiche Russen oder Chinesen, die ein paar tausend Euro für eine Flasche Cognac als Geldanlage auf den Tisch legen.
Die teuerste Flasche des Abends, ein Louis XIII von Remy Martin in einer aus fünf Kilo Kristall mundgeblasenen Flasche, hat der Vertreter einer Winzerkooperative aus dem Cognac für 32.000 Euro ersteigert:
"Ich kenne das Haus Remy-Martin ziemlich gut, auch den Kellermeister und ich denke, dass das ein sehr guter Tropfen ist. Und dieses Produkt wird sicherlich nicht an Wert verlieren. Durch die Ersteigerung habe ich außerdem einfach meinen Berufsstand gewürdigt."
Und indem der Vertreter der Winzerkooperative 32.000 Euro für eine Flasche Cognac bezahlt hat, hat dieser Mann auch auf den Punkt gebracht, was für ein besonderes und wertvolles Produkt Cognac ist. Kein Wunder, dass der Gala-Abend des Cognac-Universums denn auch mit diesem bejubelten Wunsch endet.
Mehr zum Thema