Studie

Schützt Alkohol vor Herzinfarkt?

Von Sigrun Damas · 21.12.2013
Jeder weiß es: Zuviel Alkohol ist nicht gut. Aber zu wenig vielleicht auch nicht? Eine neuen Studie zufolge schützt Alkohol schützt vor Herzinfarkt. Doch Forscher warnen: Die positiven Wirkungen von Alkohol würden oft übertrieben.
Prost, darauf ein Bier. Wer die Zeitung aufschlägt, liest es immer wieder: Alkohol soll ganz gesund sein. "Warum Rotwein das Herz schützt" heißt es da oder: "Zwei Gläser verlängern das Leben". Bier- und weinseelige Schlagzeilen gibt es genug. Und auch Brauhausgäste sind sich einig: Ein bisschen Alkohol ist gar nicht so schlimm.Einer geht noch. Alles eine Frage der Menge? Ist Wein besser als Bier – und Abstinenz gar ein Gesundheitsrisiko? Dazu muss man schon Experten fragen. Und feststellen: Auch die sind sich in Sachen Alkohol nicht immer ganz einig.Professor Heinrich Holzgreve interessiert sich seit Langem für Alkohol. Er ist Internist und Herzspezialist in München – und verfolgt die Studienlage zum Thema seit Jahren. Daraus hat er folgende Erkenntnis destilliert:"In Maßen langfristig getrunken ist Alkohol gut fürs Herz. Es schützt vor Herzerkrankungen, vor allem vor der Durchblutungsstörung am Herzen, die letztlich zum Herzinfarkt führt."In Maßen gutDer Kardiologe verweist auf die jüngste Studie aus den USA. Wissenschaftler dort hatten Ärzte ins Visier genommen, die vorher einen Herzinfarkt erlitten hatten."Und dann hat man die Ärzte befragt, wie viel Alkohol sie trinken. Und es hat sich herausgestellt, dass die Ärzte mit einem vorausgegangenen Herzinfarkt, die regelmäßig Alkohol getrunken haben, länger gelebt haben und weniger Re-Infarkte hatten, als diejenigen, die keinen oder reichlich Alkohol getrunken haben."Alkohol in Maßen schützt also vor dem erneuten Herzinfarkt, weil er offensichtlich positiv auf die Blutgefäße wirkt. Welche Mechanismen da im Körper unter Alkoholeinfluss ablaufen, ist aber noch umstritten."Die einen meinen, es sei der Alkohol selbst, der durch eine Erweiterung der Arterien diese günstigen Effekte bewirkt oder es sind Inhaltsstoffe des Alkohol – zum Beispiel Polyphenole – oder es ist der Anstieg des guten Cholesterins, des HDL. Die Forscher sind sich noch nicht einig. Wir wissen nicht, worauf die Wirkung beruht."Schutz vor Herzinfarkt nur bei ÄlterenAlkohol ist gut fürs Herz - das ist leider nur die halbe Wahrheit, sagt Helmut Seitz vom Zentrum für Alkoholforschung in Heidelberg. Denn die herzschützende Wirkung des Alkohol, sie kommt nur einer sehr kleinen Gruppe von Menschen zugute."Er schützt vor dem Herzinfarkt bei Älteren. Und bei solchen, die ein Risiko für einen Herzinfarkt haben oder gehabt haben. Hier kann man sagen: Ein Glas Wein am Tag ist sinnvoll."Kurz: Nur wer über 60 ist und herzkrank oder kurz davor, für den lohnt ein Schoppen am Abend. Ob Bier, ob Schnaps, ob Wein - die Art des Alkohol ist dabei übrigens egal. Für junge und gesunde Menschen gilt das aber nicht. Sie haben durch Alkohol keinerlei gesundheitliche Vorteile, im Gegenteil. Und Herzspezialist Heinrich Holzgreve schenkt gleich den nächsten Wermutstropfen ein. Auch unter den Älteren und Herzkranken profitieren nämlich nur die sparsamen Trinker:"Der Grat zwischen der guten und der schädigenden Wirkung des Alkohols ist außerordentlich schmal. Unter moderatem Alkoholkonsum versteht man die Aufnahme von unter 30 Gramm pro Tag. Das entspricht einem Pokal Wein oder Dreiviertel Liter Bier. Über diese Menge hinaus langfristig genossen ist Alkohol schädlich."Alkohol ist vor allem Zellgift Überhaupt: Die günstigen Wirkungen von Alkohol werden maßlos übertrieben, findet Suchtforscher Fred Rist von der Universität Münster:"Das Problem bei solchen Informationen ist ja, dass übersehen wird, dass sie nur für eine kleine Gruppe anwendbar sind, und dass nie erwähnt wird, dass diese Effekte so gering sind, als wenn Sie am Tag zwei Treppen hochgehen oder eine Tomate essen."Die Gesundheitseffekte von Alkohol, sie sind also minimal und gelten auch nur für ältere, herzinfarktgefährdete Menschen. Nüchtern betrachtet ist Alkohol vor allem eins: ein Zellgift."Alkohol ist löslich, wasserlöslich, Alkohol geht durch Fettgewebe durch, geht überall hin. Alkohol ist ein kleines Molekül, das sie überall im Körper finden. Er wird verstoffwechselt, und es entstehen Gifte. Und diese Gifte verändern viele Funktionen und die Erbsubstanz,"sagt der Alkoholforscher und Internist Helmut Seitz."Er richtet gewaltige Schäden an. Alkohol ist verantwortlich für über 60 Krankheiten. Und deswegen kann man Alkohol nicht empfehlen."Der Experte zählt eine lange Liste von Krankheiten auf: die Leber nimmt Schaden, die Bauchspeicheldrüse, die Speiseröhre, der Magen. Das Krebsrisiko steigt, Nerven und Muskeln leiden."Alkohol überwindet spielend jeder Barriere der Körpers, gelangt über das Blut an jede einzelne Zelle – und dringt in sie ein. Hier schädigt er Eiweiße und schließlich sogar die DNA, die Erbsubstanz, den Baustein menschlichen Lebens."Normalerweise kann das repariert werden. Aber Alkohol schädigt auch diese Reparaturmechanismen. Das heißt, wenn sie chronisch trinken, gibt es keine Reparatur mehr, und dann ist der Schaden umso größer.Traubensaft statt RotweinAch ja, der Rotwein. Die vermeintlich letzte Bastion gesunden Trinkens: Polyphenole sollen darin sein und andere gesunde Inhaltsstoffe, so genannte Anti-Oxidantien. Aber auch hier kontert Helmut Seitz mit ernüchternden Fakten:"Im Rotwein ist ein bisschen mehr Resveratrol, ein Anti-Oxidantium. Aber wenn man bedenkt, dass Alkohol per se oxidativen Stress macht - dann reichen die antioxidativen Substanzen gar nicht aus, um diesen oxidativen Stress zu kompensieren.Sie können auch Traubensaft nehmen. Dann haben Sie den Alkohol weg und nur die antioxidativen. Substanzen drin, das wäre das Allerbeste."Traubensaft statt Wein – Alkohol ist eben doch kein Medikament. Es lebe also der Genuss in Maßen. Alkoholforscher Helmut Seitz nennt vertretbare Trinkmengen."Wenn Sie gesund sind, beim Mann nicht mehr als ein Viertel Wein, umgerechnet ein halber Liter Bier. Bei der Frau die Hälfte. Aber wichtig: Man sollte zwei bis drei Tage keinen Alkohol zu sich nehmen, um zu sehen, ob man es aushält. Und weil sich an diesen Tagen Organe wie die Leber regenerieren."
Das klingt streng und lässt wenig Raum, mal über die Stränge zu schlagen. Will er uns nicht am liebsten alle gleich zu Abstinenzlern machen?
"Um Gottes Willen, das will ich gar nicht. Jemand, der vernünftig seinen Alkohol trinkt, den muss man nicht zum Abstinenzler machen. Aber man muss einen Abstinenzler auch nicht zum Trinker machen."
Abstinenzler haben es oft nicht leicht, das weiß auch der Suchtforscher Fred Rist. Sie werden schief angesehen und abgestempelt, als humorlose Spaßbremsen.
"Aber das ist letztlich ein Problem der Trinker und nicht der Nichttrinker. Man möchte immer das eigene Leben absichern und akzeptabel machen, indem man schaut: Wer macht denn das genauso wie ich? Wenn man sieht: Ich mach das als Einziger so – und alle anderen machen es anders, dann ist das eine für Menschen sehr irritierende Position."
Kritische Selbstbeobachtung
Wer trinkt sucht also Mittrinker – um nicht alleine dazustehen. Aber wo beginnt die Gefahr? Suchtforscher Fred Rist rät, sich selbst kritisch zu beobachten. Denn in seinen Augen gibt es keinen gesunden und auch keinen risikolosen Alkoholkonsum. Körperliche Schäden seien nur das eine – psychische Abhängigkeiten beginnen meist schon viel früher, nämlich mit schlechten Angewohnheiten.
"Kommt es vor, dass ich morgens denke: Heute Abend trinke ich mal nichts – und abends denke ich: Ach, ich trinke jetzt doch. Kommt es vor (…) dass man sich Gedanken macht, wie man am Abend noch zu Alkohl kommt. Ist einem das wichtig? - Dann hat man die erste Stufe eines psychologischen Risikos erreicht. Und ich spreche nicht über Menge, ich spreche über Gewohnheit."