Udo Pollmers Mahlzeit

Landwirtschaft unter Hochspannung

Eine chinesische Bäuerin sprüht Pestizide auf Gemüsepflanzen; Aufnahme aus der Provinz Guangdong vom März 2006
Der Einsatz von Pestiziden lässt sich durch Elektrokultur deutlich verringern, berichten chinesische Landwirte. © (c) dpa - Report
Von Udo Pollmer · 16.11.2018
Weniger Dünger und Pestizide - aber dennoch eine deutlich bessere Ernte: In China wird die sogenannte Elektrokultur ausgebaut. Und der Anbau von Lebensmitteln unter hochfrequenter Spannung zeigt erstaunliche Erfolge.
Der Kampf zwischen den Anhängern der biologischen Landwirtschaft und der konventionellen Produktion gehört wohl bald der Vergangenheit an. Aus China erreicht uns die frohe Kunde, dass sich dort ein neues Anbausystem etabliert, eines, das deutlich höhere Erträge liefert als konventionell bewirtschaftete Flächen – im Schnitt 20 bis 30 Prozent mehr. Dennoch werden 20 Prozent weniger Dünger benötigt, auf Pestizide kann der Landwirt sogar fast völlig verzichten. Da staunt sogar der überzeugte Bioköstler.
In China liegt der Schwerpunkt dieser sogenannten Elektrokultur beim Anbau von Gemüse im Treibhaus. Die Pflanzen wachsen unter blanken Kupferdrähten heran, die vom Dach herabhängen. In ihnen pulsiert eine hochfrequente Spannung von Zigtausenden Volt. Die Hochfrequenz-Felder töten Schaderreger in der Luft und im Boden ab, dadurch sind Pestizide überflüssig. Zugleich erleichtern die elektrischen Felder der Pflanze die Aufnahme von Nährstoffen, besonders von Stickstoff und Kohlendioxid. Das stimuliert das Wachstum und garantiert Mehrerträge.

Das Verfahren stammt ursprünglich aus Europa

Die Luft in den Anlagen riecht wie nach einem Sommergewitter. Trotz der Hochspannung fließt in den Drähten nur wenig Strom, pro Draht ist es gerade mal ein Millionstel Ampere, also viel, viel weniger als im Ladekabel eines Smartphones. Für die Menschen, die unter den Kupferdrähten arbeiten, ist dies vollkommen belanglos. Der Energiebedarf pro Hektar und Tag liegt bei 15 Kilowattstunden, etwa so viel wie ein Einfamilienhaus an Strom verbraucht. Bis alle chinesischen Treibhäuser mit ihren vier Millionen Hektar mit Kupfer verkabelt sind, dürfte es noch dauern, dann aber läppert sich auch deren Bedarf an Energie.
Ursprünglich stammt das Verfahren aus Europa. Die ersten Experimente fanden bereits 1746 in Edinburgh statt. Der entscheidende Durchbruch gelang allerdings erst 150 Jahre später dem finnischen Geophysiker Selim Lemström. Bei seinen Reisen durch die Arktis war ihm aufgefallen, dass dort die Pflanzen trotz Kälte und Dunkelheit vitaler gediehen als in milderen Gefilden. Er vermutete als Ursache eine Himmelserscheinung - das Nordlicht. Eine Analyse der Baumringe bestätigte ihn: Je intensiver der Himmel nachts leuchtete, desto kräftiger wuchsen die Bäume.
Mit einem Generator und einer Antennenanlage zeigte Lemström, dass elektrische Entladungen tatsächlich das Wachstum von Gemüse wie Kartoffeln oder Sellerie beschleunigten. Erdbeerstauden bildeten ihre Früchte in der halben Zeit. Die Ernte an Himbeeren und Karotten verdoppelte sich. Das Verfahren funktionierte gleichermaßen bei Weizen, Hafer und Gerste. Dennoch setzte sich die Methode nicht durch, mutmaßlich aufgrund der damals erforderlichen Investitionen und der technischen Hürden, die Anlagen zu steuern.

Eine Technologie ohne Gefahr?

Diese Experimente wurden von chinesischen Agrarwissenschaftlern aufgegriffen und abermals als Elektrokultur zur Praxisreife gebracht. Inzwischen exportiert China die Technologie nach Holland, in die USA, nach Australien und Malaysia. In Deutschland werden es die Landwirte angesichts der Anti-Agrar-Stimmung wohl kaum noch wagen, den technischen Fortschritt zu unser aller Vorteil zu nutzen, schließlich bietet das Wort "Hochspannung" eine Steilvorlage für jene, die auf Schritt und Tritt ohne jede Skrupel Gefahren beschwören.
Auf den Äckern unter freiem Himmel dürfte diese Technik derzeit noch an ihre Grenzen stoßen. Dabei gäbe es längst praktikable Lösungen. In Deutschland widmeten sich einst viele Forscher dem Elektroanbau. Deren Anlagen kamen ohne Strom aus, sie nutzten Ferrit-Magnete oder gleich das Erdmagnetfeld. Dazu wurden Stahldrähte im Erdreich verlegt, an der Nord-Süd Achse ausgerichtet und mit einer Antenne verbunden, die wie ein Blitzableiter aus dem Boden ragte. Werden die Drähte in 50 bis 80 cm Tiefe, also unterhalb der Pflugsohle verlegt, dann funktioniert das System auch auf freiem Feld. Die Ertragsteigerungen übertrafen schon damals die heutigen Erfolge der Chinesen. Leider sind diese Forschungen auch bei uns in Vergessenheit geraten.
Literatur:
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Zurbicki Z: Atmospheric electricity and plant nutrition. Acta Horticulturae 1973; 29: 413-428
Fleming S: China has made a shocking food production discovery – electro culture. World Economic Forum 2018, 23. Oct.
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Lemström S: Electricity in Agriculture and Horticulture. The Electrician Printing & Publishing Co LTD, London 1904
Wust M: Vortrag über die Geschichte & Anwendung der Elektrokultur sowie deren aktuelle Umsetzung. http://www.naturschule-oberlausitz.de/wp-content/uploads/2015/12/elektrokultur-3-14.pdf
*)
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WU X-h et al: 静电场对植物的生物学效应 (Biologische Wirkungen elektrostatischer Felder auf Pflanzen.) Heilongjiang Agricultural Sciences 2005; (2): 44-46
*) Wir haben den Beitrag an dieser Stelle redaktionell überarbeitet.
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