Udo Lindenbergs Songtexte und MeToo

"Du bist 14, und das ist zu gefährlich"

05:53 Minuten
Udo Lindenberg in weißem Sakko während einer TV-Aufzeichnung.
Fragwürdige Songtexte: der Musiker Udo Lindenberg, hier während einer TV-Aufzeichnung vor Jahrzehnten. © Getty Images / ullstein bild / ARTCO-Berlin
Von Ina Plodroch · 16.01.2020
Audio herunterladen
In den Kinos läuft gerade ein Film über den jungen Udo Lindenberg an. Was trotz MeToo bislang kaum thematisiert wird: Dass es in Songs des Musikers auch um erotische Fantasien mit Minderjährigen geht.
"ENDLICH! Der große Udo Lindenberg im Kino. Ich kann es kaum erwarten: Wird sein 15-jähriges ~Zauberweib~ auch zu sehen sein?", schreibt die Autorin Giulia Becker unter ihrem Pseudonym Schwester Ewald bei Twitter.
Gemeint ist mit dem "Zauberweib" ein Mädchen mit dem Namen "Lolita".
Aus dem Song "Lolita":
"Ich war so um die 40
und sie war 15
wir wollten uns zusammentun
ja, wo ist'n da das Problem?"
Wenn man den Songtitel "Lolita" bei Google eingibt, erscheint als allererstes ein Hinweis von Google: Kindesmissbrauch ist illegal. Lindenberg beschreibt in dem Song aus dem Jahr 1991, wie ein Mann ein 15-jähriges Mädchen begehrt.
"Da plötzlich kamen Männer
von der deutschen Sitte
Sie sagten Stotter - Stotter
sie wären von der Polizei
sie starrten auf mein Zauberweib
und wurden geil dabei"
Klar, das lyrische Ich. Dieser Song zeigt nicht, dass Udo Lindenberg seine Fantasien in die Tat umgesetzt hat. Besungen hat er sie aber nicht nur einmal. Auch im Song "14 oder 40":
"Ob Du 14 oder 40 bist,
ist dann alles total egal
Alter ist dann doch nur irgendeine Zahl."

Mit fragwürdigen Songtexten nicht alleine

Udo Lindenberg ist mit seinen diversen fragwürdigen Songtexten nicht alleine. Die Rolling Stones beschreiben ihren Lifestyle 1994 auf einem Plakat unter anderem so: "Alkohol, Drogen, Sex mit Minderjährigen".
Der Song "You’re 16, you’re beautiful, and you’re mine", ursprünglich gesungen von Johnny Burnette, machte vor allem in der Version von Ringo Starr Karriere. Und auch Iggy Pop ist heiß auf eine 16-Jährige, wie er im Song "Sixteen" singt.
Bei all diesen weißen Männern scheint es auch 2020 kaum zu interessieren, dass sie diese Songs gesungen haben. Christoph Joseph Ahlers, Sexualwissenschaftler und Autor des Buches "Himmel auf Erden, Hölle im Kopf", relativiert und meint, diese Rockstars beschrieben nicht mehr als ein uraltes Begehren. "Wir haben in unserem Kulturkreis in jüngster Zeit eine Entwicklung, die dieses Phänomen quasi pathologisiert, problematisiert, dramatisiert."

Also, alles gar nicht so schlimm, dass Udo Lindenberg es normalisiert hat, dass sich ein älterer Mann an ein minderjähriges Mädchen ranmacht?
"Ich finde das schwierig. Ich fand das damals schon schwierig, da war ich selber noch jugendlich", sagt die Psychologin Julia von Weiler, die sich seit fast 20 Jahren mit sexuellem Missbraucht beschäftigt. Sie meint: "Da entsteht eine hierarchische Schieflage. Der alte Mann ist immer sehr viel mächtiger, und jemand wie Udo Lindenberg mit seiner Popularität ist noch fünf Mal mächtiger als ein jugendliches Mädchen." Es entstehe der Eindruck, findet sie, "als müssten sie es als ein totales Kompliment erleben, dass so jemand wie ein Udo Lindenberg sich ihnen so zuwendet."
Das Farbfoto aus dem Jahr 1980 zeigt Udo Lindenberg im nahen Profil mit langen Haaren und seinem markanten Hut.
Neben Udo Lindenberg, hier um 1980, schrieben auch andere Musiker Songtexte, die kritisch gesehen werden.© getty images / ullstein bild / Calle Hesslefors

Interviewanfrage unbeantwortet

Aus dem Song "Nina":
"Und das hast du gemerkt, und das findst du gut, nicht?
Sei mal ganz ehrlich
Doch wir können solche Sachen leider nicht machen
denn du bist 14, und das ist zu gefährlich."
Den Song "Nina" hat Udo Lindenberg auch in der ZDF-Hitparade performt. Im Text schickt das lyrische Ich, wieder ein älterer Mann, ein Mädchen weg, solange er sich noch im Zaum halten kann. Zitat: "Du bist 14, und das ist zu gefährlich". Das singt Lindenberg einem jungen Mädchen direkt ins Gesicht.
Die Psychologin Julia von Weiler sagt: "Die mag alles gewesen sein, zwischen 12 und 15 vielleicht. Und wenn ich mir das anschaue, dann wird mir wirklich richtig unangenehm, wie so ein älterer Mann sich an ein junges Mädchen ranwanzt."
Aus dem Song "Nina":
"Wir sollten uns erst mal nicht mehr wiedersehn
weil das zu gefährlich ist
ich hätte dich heute beinahe geküsst"

Sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen und Minderjährigen sind nicht zwangsläufig strafbar. Und es gibt keine Hinweise darauf, dass Udo Lindenberg Sex mit Minderjährigen hatte. Aber er singt davon. Der Sexualwissenschaftler Ahlers meint, solche Texte würden keine Sexualstraftaten legitimieren.
Julia von Weiler allerdings sieht in Lindenbergs Texten auch keine gelungene künstlerische Auseinandersetzung. "Dass er da irgendwas provokant in den Mittelpunkt rücken will, um zum Beispiel diesen betroffenen Frauen, die damals schon laut protestiert haben und gesagt haben 'Es tut uns nicht gut' zur Seite zu springen und zu sagen ‚Ihr habt total recht. Männer missbrauchen hier ihre Macht‘; sondern er hat das, was eben immer schon stattgefunden hat, genommen und verherrlicht und auf eine wirklich romantische Art und Weise dargestellt."

Die Interviewanfrage an Udo Lindenberg zu diesem Beitrag blieb unbeantwortet – und damit auch die Frage, ob er es immer noch für angemessen hält, die Perspektive der Mädchen völlig außer Acht zu lassen, die es vielleicht nicht so toll finden, von einem viel älteren Mann aufdringlich angebaggert zu werden. Die MeToo-Debatte hat viel erreicht – aber es wäre an der Zeit, auch weiße, männliche Rockstars zu hinterfragen.
Mehr zum Thema