"Typisch deutsch?"

Manchmal spielen die Bettler wunderschöne Musik

Ein Bettler hält eine alte Zigarrenkiste für Geldspenden in der Hand.
Ein Bettler in der Fußgängerzone in Osnabrück © dpa / Friso Gentsch
04.05.2017
Gebettelt wird überall auf der Welt - auch in Deutschland. Manche meinen, für Bettler in Deutschland sei das Leben etwas leichter als in anderen Ländern. Bettelverbote gibt es kaum, und die Polizei lässt sie meist in Ruhe.
Thibaut Madelin, Frankreich:
"In Deutschland gibt es relativ wenige Bettler. In Frankreich gibt es sie fast in jeder Straße. In Paris kannst du keine Station mit der Metro fahren, ohne dass dich jemand anbettelt. Das Betteln selbst unterscheidet sich zwischen Frankreich und Deutschland kaum. Hier wie dort gibt es Bettler, die einfach nur den Becher hinhalten, andere, die eine Obdachlosenzeitung verkaufen, und wieder andere, die in den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind und Musik machen. Was ich in Frankreich mehr als in Deutschland sehe, sind Bettler mit körperlichen Gebrechen, die an das Mitleid der anderen appellieren."

Xuejun Feng, China:
"In China gibt es auch Bettler. Der Unterschied zu Deutschland besteht darin, dass sie in Deutschland, so wie ich es beobachtet habe, von der Polizei nicht behelligt werden. Hin und wieder gebe ich ihnen etwas Geld, besonders wenn sie Musik machen und mir die Musik gefällt. Manche Bettler habe ich auch als recht aggressiv erlebt. Da bekomme ich dann Angst und mache einen großen Bogen um sie."

Kapka Todorova, Bulgarien:
"Wir Bulgaren sind ja mit der Ideologie erzogen worden, dass die Russen die Sieger sind und die Deutschen die Besiegten. Aber nun hat sich das Blatt gewendet. Man sieht hier unglaublich viele russische Musiker betteln. Nun sind offensichtlich die Deutschen die Sieger, und die Russen kommen als Bettler hierher. Ich glaube, im gesamten Ostblock ist das Leben für Bettler härter. In Deutschland gibt es ja in allen Großstädten, die ich hier besucht habe, diese Obdachlosenzeitung. Außerdem haben Bettler viele Orte, an denen sie übernachten können. Es geht hier menschlicher zu, finde ich. Was man hier nicht sieht, sind bettelnde Frauen, die ein Baby im Arm haben. Das ist in Bulgarien Alltag."

Evelyn Peternel, Österreich:
"In Wien ist Betteln eine traurige Angelegenheit. Da zeigen Menschen ihre Verstümmelungen, um Geld zu bekommen. Das gibt es natürlich in Deutschland auch, aber zumindest in den Großstädten hat das Betteln bisweilen auch ein fröhliches Gesicht, wenn die Leute in den öffentlichen Verkehrsmitteln musizieren. Die spielen Gitarre, Akkordeon, Geige und singen oft sehr schön dazu. So genießen Bettler in Deutschland nach meinem Eindruck ein höheres Ansehen, während in Österreich – besonders von rechts – sogar laut über Bettelverbote nachgedacht wird. Ich finde das absurd, aber es ist so: Ich gebe Bettlern in Deutschland mehr als in Österreich. Bei uns handelt man sich oft verständnislose Blicke ein, wenn man etwas gibt."

Sudqi Hamdan, Jordanien:
"Das Betteln läuft in Deutschland nach meinen Erfahrungen ruhig und gesittet ab. In Syrien beispielsweise gibt es Straßenzüge, in denen man von Bettlern geradezu bedrängt wird. In Bonn, wo ich längere Zeit gelebt habe, gab es sehr wenige Bettler. In Berlin ist das jetzt anders. Vor Supermärkten ist mir aufgefallen, dass es Hoheitsgebiete bestimmter Bettler zu geben scheint. Was ich in Berlin einmal in der S-Bahn erlebt habe, hat mich tief beeindruckt. Da hat ein Mann so schön Geige gespielt und dazu noch gesungen. Das war unglaublich. Das war für mich kein Bettler, sondern ein Künstler. Dem musste ich dann auch einfach etwas geben. Musik bringt Freude ins Herz."

Unsere Serie "Typisch deutsch" wird an jedem Donnerstag um 17.50 Uhr in der Sendung "Studio 9" ausgestrahlt. Die Autoren Matthias Baxmann und Matthias Eckoldt haben Korrespondenten aus rund 30 Ländern zu ihren Erfahrungen befragt. Dazu ist auch das Buch "Typisch deutsch" im Holiday Verlag erschienen.


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