Türkischer Pop in Deutschland

In eine musikalische Parallelwelt gedrängt

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Jugendliche in einem Plattenladen in Hamburg in den 1970er Jahren.
Türkischstämmige Kundschaft gab es in Plattenläden kaum, weil die Musik dieser Zielgruppe von der Industrie vernachlässigt wurde. © dpa/ Hennigsen
Sebastian Reier im Gespräch mit Martin Böttcher · 10.02.2020
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Für ihre musikalische Kultur schufen sich die Deutschtürken in Deutschland in den Anfängen eigene Vertriebskanäle, denn die Plattenindustrie nahm sie als Kundschaft nicht wahr. Ein Rückblick auf die Anfänge türkeideutscher Musikproduktion.
Das Label Türküola wurde in den 1970er-Jahren zu einer der größten unabhängigen Plattenfirmen Deutschlands. Dieser Aufstieg lag daran, dass andere Plattenfirmen die Deutschtürken als Kundschaft vernachlässigten, sagt der Hamburger DJ Sebastian Reier alias Booty Carrell, der die Entwicklung dieser Musikszene schon lange verfolgt.
Tausende Veröffentlichungen habe es gegeben, sagt Reier, und in den goldenen Zeiten wurden mehr als eine Million Tonträger nach Deutschland und in die angrenzenden Länder verkauft.

Eine eigene Szene entwickelt sich

Die ersten Jahre türkeideutscher Musikproduktion waren geprägt durch den Import anatolischer Stars. Aber schnell wurden nicht nur eigene Vertriebswege, sondern auch eigene Stars aus Deutschland aufgebaut, die das Leben der Gastarbeiter und deren Ausgrenzung musikalisch verarbeiteten.
Der Arbeiter Metin Türköz veröffentlichte 13 Alben und hat in seiner Musik gerne das Motiv des Maestros, des Meisters, also des Vorarbeiters auf die Schippe genommen. Er griff auch die deutsche Sprache auf, aber eher in Form eines Stigmas. Er wiederholte typische Sätze seiner Vorarbeiter, die von Vorurteilen geprägt waren.
Mit den politischen Unruhen in der Türkei Mitte der 1970er-Jahre kam eine zweite Welle von Künstlern, politisch Verfolgten, Aleviten, Kurden und Linken. Darunter waren viele intellektuelle Musikerinnen und Musiker, wie Cem Karaca, einer der größten Rockstars der Türkei. Während einer Deutschlandtournee wurde er in der Türkei zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, ausgebürgert und sein Vermögen wurde konfisziert. In Deutschland hat er mit "Willkommen" ein bitteres Lied auf Deutsch geschrieben.

Unternehmen kennen Bedürfnisse ihrer Kunden

Doch Türküola war nicht die einzige Plattenfirma, die sich speziell auf die Musik türkischstämmiger Gastarbeiter einstellte. Die beiden größten Mitbewerber waren Minareci in München und Uzelli in Frankfurt.
Letztere hatten ein besonderes Alleinstellungsmerkmal: Für die langen Autofahrten von Deutschland in entlegene Gegenden Anatoliens im heißen Sommer brauchten die Menschen besonders hitzebeständige Kassetten. Uzelli betrieb ein eigenes Kassettenwerk und hatten ein Patent für eine besonders hitzebeständige Musikkassette.
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