Türkische Wahlkampfauftritte

Verbote sind kontraproduktiv

Anhänger des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan halten in Köln Fahnen und ein Bild des Staatschefs.
Anhänger des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan halten in Köln Fahnen und ein Bild des Staatschefs. © dpa-Bildfunk / Henning Kaiser
Von Frank Capellan · 05.03.2017
Die Diskussion um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland wird zunehmend zu einer Belastungsprobe für die diplomatischen Beziehungen. Die Bundesregierung müsse mit Erdoğan Tacheles reden, so Frank Capellan. Nicht mit Verboten, sondern mit Argumenten.
Reden und reden lassen. Eine andere Wahl hat die Bundesregierung nicht. Merkel und Gabriel müssen mit Erdogan Tacheles reden, aber sie können ihm und seinen Ministern nicht den Mund verbieten. Selbst auf deutschem Boden nicht. Unsere Demokratie kann und muss einiges ertragen. Sie muss damit leben, dass ein deutscher Geschichtslehrer namens Björn Höcke ungestraft die Geschichte verfälscht und ausspricht, was leider auch nach Ansicht vieler deutscher Landsleute mal gesagt werden muss. Genauso muss diese Demokratie auch damit leben, dass ein türkischer Autokrat für die Abschaffung eben dieser Demokratie im eigenen Land wirbt und werben lässt.
Dass Recep Tayyip Erdogan möglicherweise auf die gut 1,4 Millionen in Deutschland lebenden wahlberechtigten Türken angewiesen ist, dass sie zum Zünglein an der Waage werden könnten, weil sie ihm und seiner AKP in aller Regel folgen, ist schlimm und bedenklich genug. Es wirft einen dunklen Schatten auf die Integration von Türken in Deutschland, die hier alle Freiheitsrechte genießen, zugleich aber einem Mann folgen, der sein Land gerade herunterwirtschaftet und Menschenrechte mit Füßen tritt. Schwer erträglich ist für uns, wie ihm türkische Mitbürger massenhaft zujubeln, aber nur wenige für die Freiheit von Landsleuten wie Deniz Yücel auf die Straße gehen.

Neue Munition für Erdogans Propagandafeldzug

Es verwundert da kaum, dass kurz vor den heutigen Auftritten des türkischen Wirtschaftsministers in Leverkusen und Köln mehr als 80 Prozent der Deutschen die Meinung äußern, dass wir uns von der Türkei viel zu viel gefallen lassen. Und dennoch: Die Antwort kann nicht sein, dass wir Erdogan mit seinen eigenen Mitteln schlagen wollen. Ein Auftrittsverbot liefert ihm nur neue Munition für seinen Propagandafeldzug, das haben die Reaktionen auf die Absage der Veranstaltung im baden-württembergischen Gaggenau eindrucksvoll bewiesen. Er versucht es sogar mit der Nazi-Keule und unterstellt deutschen Behörden heute nationalsozialistische Praktiken. Es ist zu befürchten, dass solche Kraftmeierei bei seinen fanatisierten Anhängern verfängt. Diese Flanke dürfen wir ihm erst gar nicht geben. "Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden!" Dieser Rosa-Luxemburg-Satz gilt selbst für einen Agitator namens Erdogan, und dass die, die unter ihm zu leiden haben, vor Auftrittsverboten warnen, sollte uns zu denken geben: die Journalisten Can Dündar und Deniz Yücel - oder der Oppositionspolitiker Mithat Sancar.
Erbärmlich ist es vor diesem Hintergrund, wenn Angela Merkel und ihr Vizekanzler Sigmar Gabriel nun die Verantwortung für Auftrittsverbote auf Städte und Kommunen schieben. Eine Bundesregierung darf sich nicht hinter Ordnungsbehörden verstecken, Politik darf nicht mit Parkplätzen gemacht werden. Wenn solche Veranstaltungen allein wegen fehlenden Parkraums verboten werden können, machen wir uns lächerlich.

Noch sind die diplomatischen Möglichkeiten nicht ausgereizt

Selbst der Mangel an Polizei darf kein Hinderungsgrund sein: Bei riskanten Fußball-Begegnungen oder Aufläufen von Neo-Nazis gibt es schließlich auch Unterstützung vom Bund oder aus anderen Ländern. Die Latte für ein Verbot liegt sehr hoch. Und in welch absurde Argumentationsmuster die Verantwortlichen in der Provinz von der Berliner Bundespolitik getrieben werden, zeigt heute Leverkusen: Da als Kulturveranstaltung zu Ehren eines türkischen Musikers gedacht, sollte sich Wirtschaftsministers Zeybekci dort nicht mit Blick auf das Referendum äußern dürfen. Geht´s noch? So sieht Meinungsfreiheit wahrlich nicht aus! Nein, nicht mit Verboten, nur mit Argumenten müssen wir Erdogan begegnen. Wirtschaftshilfe für Ankara? Realistischer ist die Aussicht auf Sanktionen! EU-Beitrittsgespräche? Sind schon lange eine Farce und gehören abgebrochen! Noch sind die diplomatischen Möglichkeiten nicht ausgereizt.
Selbst Präsident Erdogan will es sich mit den Europäern nicht völlig verscherzen, sonst hätte er seine Drohungen längst wahr gemacht und die Grenzen seines Landes für Flüchtlinge wieder weit geöffnet. Wenn Außenminister Gabriel am Mittwoch seinen türkischen Kollegen trifft, kann er einiges auf den Tisch bringen. Und reden - Tacheles reden!

Frank Capellan, geboren 1965 im Rheinland, studierte Publizistik, Neuere Geschichte und Politikwissenschaften, Promotion an der Universität Münster. Nach einer Ausbildung bei der Westdeutschen Zeitung folgte ein Volontariat beim Deutschlandfunk, dem er bis heute treu geblieben ist.

Zunächst Moderator der Zeitfunk-Sendungen, unter anderem der Informationen am Morgen; seit vielen Jahren als Korrespondent im Hauptstadtstudio tätig, dort u. a. zuständig für die SPD, die Familienpolitik und Entwicklungszusammenarbeit.

Frank Capellan, Hauptstadtstudio
© Deutschlandradio / Bettina Straub
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