Tücken des Steuerrechts

Antifaschisten kämpfen um ihre Gemeinnützigkeit

11:15 Minuten
Im Bild ist eine Fahne der VVN-BdA zu sehen, und im Hintergrund ein Polizist. Aufgenommen während des Gedenkens an den Tod von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde.
Fahne der VVN-BdA, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten © imago images / Christian Spicker
Von Jens Rosbach · 15.01.2021
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Ein Berliner Finanzamt hat der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes die Gemeinnützigkeit abgesprochen. Grund: Der bayerische Verfassungsschutz stuft den regionalen Vereinsableger als extremistisch ein. Die Rechtslage dazu ist undurchsichtig.
"Heute gehen wir davon aus, dass ungefähr 60 Millionen Menschen Opfer des Faschismus geworden sind. Es gibt seit 1990 mindestens 209 Opfer rechter Gewalt im neuen Deutschland."
Cornelia Kerth steht auf der Ladefläche eines Pritschenwagens in Berlin-Mitte. Die Bundesvorsitzende der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten" (VVN-BdA) gestikuliert an einem Oktoberabend vor einer blauweiß gestreiften Verbandsfahne mit rotem Winkel – eine Reminiszenz an die KZ-Häftlingskleidung.

"Das hat nichts mit Demokratie zu tun"

Kerth betont, bei der größten rechtsextremen Mordserie, den NSU-Morden, sei die Rolle des Verfassungsschutzes bis heute ungeklärt. Und ausgerechnet dieser Verfassungsschutz verunglimpfe ihren antifaschistischen Verband als extremistisch.
"Dieser Begriff des Extremismus, auf dem die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden stattfindet und auf deren Grundlage die VVN-Bund der Antifaschisten in elf von 16 Bundesländern und vom Bundesdienst beobachtet wird, das muss aufhören! Das hat mit Demokratie nichts zu tun."
So schreibt das Berliner Finanzamt für Körperschaften I der antifaschistischen Vereinigung im Mai 2019:
"Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (…) wird seit mehreren Jahren als linksextremistische Organisation im Bayerischen Verfassungsschutzbericht aufgeführt."
Und erklärt rückwirkend, dass "für die Jahre 2016 – 2018 die Anerkennung der Gemeinnützigkeit daher zu versagen" sei.
Der Hintergrund: Laut Steuerrecht wird Körperschaften die Gemeinnützigkeit nicht gewährt, wenn sie in einem Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt werden. Dies besagt Paragraf 51 der Abgabenordnung.

Es drohen hohe Steuerzahlungen

Thomas Willms sitzt in seinem Schlafzimmer in Potsdam, vor einem Ehebett aus hellem Holz. Der 53-Jährige telefoniert mit einem Festnetztelefon, seine Antworten nimmt er gleichzeitig mit einem Smartphone auf, das vor ihm auf einem Bücherstapel liegt – so werden zu Coronazeiten Radio-Interviews geführt. Willms ist Bundesgeschäftsführer der VVN-BdA und kämpft seit fast zwei Jahren mit Hilfe von Anwälten und Steuerberatern mit dem Finanzamt.
"In dieser Zeit hätten wir ja auch was anderes machen können – wofür wir da sind, ja. Die Erinnerung an die Verfolgten aufrecht zu erhalten, Neonazismus zu bekämpfen. Tatsächlich ist es so, dass ich einen erheblichen Teil meiner Arbeitskraft mit diesem Problem beschäftigen muss. Ich schätze mal, die Hälfte meiner Zeit geht dafür drauf, weil es hier einfach um unsere Existenz geht."
Dem antifaschistischen Verband drohen nach eigener Aussage Steuerzahlungen von bis zu 100.000 Euro. Zudem darf die Bundesvereinigung – im Gegensatz zu den meisten Landesvereinigungen – keine Spendenbescheinigungen mehr ausstellen.

Das Berliner Finanzamt hält sich bedeckt

Wer bei der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen nach den Details fragt, wird abgewiesen - Begründung "Steuergeheimnis". Manchmal erregt sich aber auch die Pressesprecherin am Telefon, die VVN – Zitat – "sei ja auch ganz schön auffällig geworden".
Nur selten gewährt ihr Chef, Finanzsenator Matthias Kollatz, ein Interview dazu - wie im vergangenen Sommer. Aber selbst dann lässt sich der SPD-Politiker nicht viel entlocken über den Streit mit der antifaschistischen Vereinigung.
"Es ist nicht abwegig darauf hinzuweisen, dass wir in Berlin ein faires Verfahren führen und auch alle Organisationen, die in einem solchen Verfahren sind, die Gelegenheit erhalten zu belegen, dass die Vorwürfe, die ihnen gemacht werden, nicht zutreffend sind."

Belege sind "geheim"

Das Problem: Berlin entscheidet auf Grundlage eines Verfassungsschutzberichtes eines anderen Bundeslandes.
"Diese Berichte – das sind keine Tatsachenberichte, sondern es sind Bewertungen. Und wenn man dann fragt: Was sind denn die zehn oder zwanzig Beweise, sagen Sie uns die doch mal! Dann tun sie das nicht, weil sie sind ja geheim."
Thomas Willms, der Bundesgeschäftsführer der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten", spricht von einer sogenannten Beweislastumkehr: "Wir müssen dann dagegen angehen, wissen aber gar nicht genau, wogegen eigentlich."

Erwähnung im bayerischen Verfassungsschutzbericht

Der bayerische Verfassungsschutzbericht von 2019 etwa sieht in der VVN-BdA "die bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich Antifaschismus."
Dennoch widmet der Geheimdienst den Verfolgten des Naziregimes nur rund eine DIN-A4-Seite. Dort steht zum Beispiel, eine VVN-Ortsgruppe habe an einer Demonstration gegen die Münchner Sicherheitskonferenz teilgenommen. Bei der Protestaktion sei auch ein Schwarzer Block mit bengalischem Feuer aufgetreten.
Laut dem Verfassungsschutzbericht stehe die antifaschistische Vereinigung der DKP nahe und betrachte "alle nicht-marxistischen Systeme – also auch die parlamentarische Demokratie - als potenziell faschistisch (…), die es zu bekämpfen gilt".
"Das möchten Sie uns bitte mal beweisen! Sowas haben wir nie gesagt und auch nie gedacht. Unser Verband kommt ja aus den Trümmern der Diktatur, aus den Trümmern des Faschismus. Und wie viele Demokraten gab es denn 1945 in Deutschland? Und diejenigen, die es in allervorderster Front waren, das waren die Überlebenden der Konzentrationslager. Die ein allergrößtes Interesse daran hatten, dass eine Demokratie in Deutschland gibt. Und dafür auch mit allergrößter Kraft dafür eingetreten sind. Und genau diesen Leuten wird jetzt unterstellt, sie hätten etwas gegen Demokratie. Das ist eine absolute Unverschämtheit."
"Deshalb haben wir gefordert, dass es eine Regelung in der Abgabenordnung geben muss, dass politisches Engagement nicht schädlich sein darf für die Gemeinnützigkeit."

Berliner Finanzverwaltung gibt nicht nach

Bundestagsabgeordneter Jörg Cezanne von den Linken, bei einer VVN-Protestkundgebung im Dezember vor dem Reichstag. Die Antifaschisten erhalten ebenfalls von den Grünen Unterstützung. 2019 hat sich auch der SPD-Bundesparteitag und 2020 der Berliner SPD-Landesparteitag mit der VVN solidarisiert. Obwohl all diese Parteien die rot-rot-grüne Landesregierung stellen, gebe die Berliner Finanzverwaltung nicht nach – wundert sich Thomas Willms, der Bundesgeschäftsführer der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes.
"Es kann schon sein, dass sich der Berliner Senat insgesamt vielleicht durch unseren Berliner Landesverband, der sehr aktiv ist, über die Jahre hinweg genervt fühlt. Unser Berliner Landesverband hat ja mal zum Beispiel die Innenbehörde kritisiert, wenn die Innenbehörde Neonazi-Aufmärsche nicht intensiv genug bekämpft hat. Es könnte eine Erklärung sein, dass sie die Berliner Politik dadurch genervt fühlt."

SPD-Politiker hofft auf Lösung

Sven Kohlmeier schüttelt darüber den Kopf. Kohlmeier ist rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und hat, nach eigenen Angaben, kein Problem mit Nichtregierungsorganisationen, kurz NGOs.
"Politiker sind durchaus gewohnt, dass ihre Arbeit kritisch betrachtet wird. Wir können damit auch umgehen. Dass da jetzt einer NGO die Gemeinnützigkeit entzogen wird, weil sie zu kritisch vorgeht, habe ich bisher noch nicht gehört. Dafür gibt es auch keine Beweise."
Sozialdemokrat Kohlmeier sieht aber auch die Widersprüche: Die meisten anderen Bundesländer gewähren der VVN die Gemeinnützigkeit. Berlin gewährt sie auch dem Berliner VVN-Landesverband, aber nicht der VVN-Bundesvereinigung. Wegen Bayern.
"Ich schätze die Arbeit des VVN ein bisschen anders ein als der bayerische Verfassungsschutz. Ich meine, dass es aus Berliner Sicht bestimmt eine Lösung geben wird und geben kann."

Anderen NGOs geht es ähnlich

Allerdings haben auch andere NGOs mit Sitz in Berlin ihre Gemeinnützigkeit verloren – wie die Kampagnenplattformen Campact. Gregor Hackmack von der Petitionsplattform Change.org fühlt sich ebenfalls vom Berliner Finanzamt drangsaliert.
"Wenn man sich jetzt andere prominente Fälle anschaut, beispielsweise Wirecard, da ist die Bankenaufsicht auf Bundesebene zuständig. Da werden dann zwei Mitarbeiter abgestellt. Und in Berlin geht man – gefühlt – mit einer ganzen Abteilung auf uns los. Das kann kein Mensch nachvollziehen."

Grundsatzurteil des Bundesfinanzhofs

Der Hintergrund bei vielen NGO-Konflikten ist – anders als bei der VVN – ein Grundsatzurteil des Bundesfinanzhofs von 2019, das der globalisierungskritischen Bewegung Attac die Gemeinnützigkeit abspricht. Begründung: Die Aktivisten arbeiteten zu allgemeinpolitisch, ähnlich wie eine Partei.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz, SPD, versprach daraufhin zwar eine Gesetzesreform zugunsten der NGOs, passiert ist aber bislang nichts. Lediglich im Jahressteuergesetz 2020 wurde der Katalog gemeinnütziger Zwecke erweitert – etwa um den Klimaschutz. Berlins Finanzsenator Kollatz strebt nun – bundesweit – einen neuen Vereinsstatus an, der politischen NGOs zwar finanzielle Vorteile gewährt, aber keine Gemeinnützigkeit mehr.
"Die würden eben von Steuerbegünstigungen profitieren, was auch für deren Aktivitäten wichtig ist. Im Gegenzug müssten sie sich halt gewissen Transparenzregeln unterwerfen."

"Im Grunde Ausgestoßene"

SPD-Landespolitiker äußern hinter vorgehaltener Hand die Befürchtung, dass eine zu weit gefasste Gemeinnützigkeit auch radikalen Vereinen, etwa aus der Islamistenszene, zugute käme.
Thomas Willms von der antifaschistischen VVN-BdA resümiert, man sei nicht extremistisch und hätte daher auch keine Probleme mit mehr finanzieller Transparenz. Allerdings warnt der Aktivist: Ohne das Label "Gemeinnützigkeit" verliere seine spendenbasierte Vereinigung ihr gesamtes Renommee.
"Man wird ja sozusagen moralisch abgewertet: Ihr seid jetzt nicht nur zweiter Klasse, sondern im Grunde Ausgestoßene."
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