Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes

Erinnerung als Prävention

Der Berliner Historiker Hans Coppi, Veranstalter der Demonstration gegen den Neonazi-Aufmarsch, spricht im brandenburgischen Halbe am Samstag (03.03.2007) mit Polizisten. Auf dem Soldatenfriedhof von Halbe liegen 24 000 deutsche Tote aus der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs.
Ehrenvorsitzender des VVN und unermüdlicher Streiter gegen rechtes Gedankengut: Der Berliner Historiker Hans Coppi, hier auf einer Demo im sächsischen Halbe (2007) © dpa / picture alliance / Patrick Pleul
Von Kolja Unger  · 17.01.2018
Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes entstand kurz nach dem Krieg. Während der deutschen Teilung erlebte sie eine wechselvolle Geschichte in West- und Ostdeutschland - doch in den 90ern wurde ihr Anliegen wieder jäh aktuell.
"Das war erstmal ein Anlaufpunkt für Überlebende aus Konzentrationslagern, Zuchthäusern, von Hinterbliebenen, die sich dorthin wandten und das war ein Treffpunkt für Verfolgte des Naziregimes. Also meine Eltern waren im Widerstand, sind verhaftet und in Plötzensee hingerichtet worden und meine Großeltern waren auch in der VVN. Es war auch so, dass in Berlin zum Beispiel, im August, im August 1945 darüber nachgedacht wurde, inwieweit man mal eine größere Veranstaltung macht, die an die Opfer des Faschismus erinnert."
Hans Coppi, der heutige Ehrenvorsitzende der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), erinnert sich, wie er 1950 das erste Mal an einer Kundgebung zum Tag der Opfer des Faschismus teilnahm.
Coppi: "Da waren viele Leute da. Aber mir war das ein bisschen unheimlich. So viele Leute wie dort, dann guckten die mich immer so traurig an, und dann ging's ja auch immer wieder um meine Eltern. Und vieles habe ich nicht verstanden, aber ich habe natürlich gemerkt, dass dieser Verbund und das Vertrauen untereinander dort auch ganz anders war. Man ging in gewisser Weise von gleichen Erfahrungen aus. Von Verfolgung. Und das habe ich später auch oft bemerkt, dass wenn man solche Menschen kennenlernte - man hatte schnell eine Verbindung zueinander."

Starke Zersplitterung der Szene

Die VVN gründet sich in den späten 1940er-Jahren über alle vier Besatzungszonen hinweg als Vertreter-Organisation für Opfer des Faschismus. Schon wenige Jahre später kritisiert die Hamburger SPD, die Vereinigung sei zu sehr von Kommunisten geprägt. Sie beschließt die Unvereinbarkeit von SPD und VVN. Im Westen spaltet sich der christdemokratische Bund der Verfolgten des Naziregimes von der VVN ab.
Prof. Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand:
"Der in Westdeutschland herrschende oder vorherrschende Antikommunismus führte zu der Situation, dass verschiedene Organisationen dann als kommunistische Vorfeldorganisationen betrachtet wurden. Also eine klare Ausgrenzung."
Aber auch interne Streitereien der Widerstandskämpferinnen und -kämpfer führen zu einer Zersplitterung der Szene.
Tuchel: "Da spielten auch persönliche Motive eine Rolle mit. Ich sitze heute immer fassungslos davor und frage mich, warum konnten die wenigen, die im Nationalsozialismus noch zusammengestanden haben, die Gemeinsamkeit nicht in die nachnationalsozialistische Zeit rüberretten. Aber es war nicht möglich."
In der Bonner Adenauer-Republik war die VVN quasi schon SED. Das Innenministerium versuchte, sie 1959 als kommunistische Tarnorganisation zu verbieten, scheiterte aber 1962 am Verwaltungsgericht. Den abzusehenden Ausgang kommentierte der damalige Präsident der VVN, Joseph Roissant:
"Die Vereinigungen der Verfolgten des Naziregimes sehen darin eine Bestätigung ihrer Auffassung, dass dieses beschämende, die Bundesrepublik diskreditierende Verfahren sofort beendet und der Antrag der Bundesregierung zurückgezogen werden muss."

Im Visier des Verfassungsschutzes

Das gescheiterte Verbotsverfahren änderte jedoch nichts an der Ächtung der VVN. Mitglieder, die sonst mit kommunistischen Parteien nichts am Hut hatten, wurden vom Verfassungsschutz beschattet. Arbeiteten sie im öffentlichen Dienst, kam es nicht selten zu Berufsverboten. Zugleich erstarkte der kommunistische Flügel der Vereinigung.
Tuchel: "Ich habe aber immer den Eindruck von kommunizierenden Röhren gehabt, je weiter man die VVN in diesen Bereich reinstellte, desto stärker wurde sie auch in diesen Bereich integriert."
Und in der DDR? Auch da gab es die VVN, auch da hatte die VVN Probleme. Denn die SED hatte kein Interesse an einer Erinnerungskultur, die nicht von ihr selbst gesteuert wurde. Zum Teil gab es sogar Parteiausschlussverfahren gegen manche der mehrheitlich jüdischen Mitglieder der VVN wegen angeblicher Kontakte zu zionistischen Vereinigungen.
1953 löste sich die VVN in der DDR als selbstständige Organisation auf; der Staat übernahm die Interessensvertretung von Opfern des Faschismus. Die VVN im Westen unterstützte die DDR hingegen:
"Wir wissen, dass hier auch namhafte Summen flossen, um die West-VVN zu erhalten."
Im Westen wurden nach und nach offene Debatten um die Erinnerung an die Nazizeit geführt. Im Osten gibt es diese so nicht. Nur die SED-Doktrin, als Staat das Erbe des Antifaschismus angetreten zu sein. Mit der Wiedervereinigung 1990 begann auch für die VVN eine neue Zeit.
Tuchel: "Man musste sich neu orientieren."

Gegen das "Aufwärmen von völkischem Gedankengut"

Dabei ging es auch um die eigene Verbandsgeschichte – seit dem Zusammenschluss mit dem ostdeutschen Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten wieder eine gesamtdeutsche.
Coppi: "1990 gab es eine große Diskussion darüber, inwieweit man sich mit dem Stalinismus auseinandersetzt und es gab dazu auch eine Erklärung, die dazu führte, dass einige daraufhin auch den Bund verlassen hatten. Und 1990 war dann eben auch die Auseinandersetzung, dass man gesagt hat: Eins müssen wir auf jeden Fall verhindern, dass wir je wieder das gedenkpolitische oder erinnerungspolitische Sprachrohr einer Partei werden."
Was die VVN in den 90ern wieder geeint hat, war der Kampf gegen den aufkommenden Neonazismus mit Angriffen auf Asylheime und andere rassistisch motivierte Straftaten. Diese Themen sind auch heute wieder sehr aktuell.
Coppi: "Wie können wir Dingen entgegentreten, wie sie aus der AfD oder auch von anderen uns entgegenschlagen, dass die Erinnerungskultur eigentlich eine Schandkultur ist? Erinnerung ist Prävention und Prävention heißt, dass man auch mit der Auseinandersetzung mit der Geschichte und dem Wissen über das, was geschehen ist, einen Damm aufbaut gegen Fiktionen und rückwärtsgewandte Sehnsüchte und Denken und ein Aufwärmen von völkischen Gedankengut, was wir derzeit erleben."
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