Trendsport Pilates

Kraft aus der Körpermitte

06:24 Minuten
Frauen üben Pilates im Freien im April 2021 in Brooklyn Heights Promenade, New York City, USA.
Viele Pilates-Anhänger gehen für das Training gerne an die frische Luft und nehmen ihre Matten mit ins Freie. © imago / agefotostock / Jose Peral
Von Caroline Kuban · 31.10.2021
Audio herunterladen
Joseph Pilates, geboren 1883 in Mönchengladbach, entwickelte eine Bewegungslehre, die heute sehr beliebt ist. Er versprach nach 30 Stunden einen neuen Körper. Das bestätigen Trainierende nicht unbedingt. Aber viele schätzen die Ganzheitlichkeit.
Joseph Pilates hat den Effekt seiner Trainingsmethode einmal so auf den Punkt gebracht: "Nach zehn Stunden fühlst Du den Unterschied. Nach 20 Stunden siehst Du den Unterschied. Und nach 30 Stunden hast Du einen neuen Körper."
Diese verheißungsvolle Ankündigung, vor nahezu hundert Jahren formuliert, zieht heute wieder Menschen jeden Alters in Fitnessstudios, Krafträume und Turnhallen. So auch nach Berlin-Konradshöhe.

Für Körper, Geist und Seele

Es ist neun Uhr an einem sonnigen Morgen. Sieben Frauen mittleren Alters liegen bäuchlings auf den Matten, stützen die Arme seitlich auf, heben ihren Oberkörper vom Boden ab und dehnen sich weit nach hinten. Sie üben den "Schwan". Trainerin Melanie Zippel steht beobachtend am Rand und gibt die Kommandos: "Komm hoch, aus dem Wasser aufgetaucht, schieb die Ellenbogen nach unten hin zu den Hüften, das Brustbein strebt nach vorne."
Zwischendurch in Vergessenheit geraten, gehört Pilates seit einigen Jahren zu den angesagten Trainings-Methoden. Melanie Zippel, Sportlehrerin, Pilates-Trainerin, Physiotherapeutin und Tänzerin, erklärt, woran das liegt: "Pilates ist ja keine Sportart. Pilates sind Bewegungsübungen, die aber weiter greifen, die tiefer gehen. Wir arbeiten immer mit Körper, Geist und Seele zusammen. Alles, was wir körperlich erreichen, wirkt sich automatisch auf Geist und Seele aus."
Es ist ein funktionelles, ganzheitliches Training. Man kann es auf der Matte betreiben, im Stehen oder im Liegen. Pilates dreht sich immer um drei Elemente: Stretchen, Kraft und kontrolliertes Ausführen.

Pilates verlangt Konzentration

Ohne Köpfchen kommt man hier nicht besonders weit, erklärt Trainerin Zippel. "Pilates-Prinzipien arbeiten sehr viel mit Konzentration, mit Kontrolle, mit Zentrierung, mit Atmung, mit Bewegungsfluss, was alles einen Zusammenhang, einen Link hat zum Nervensystem, zum Geist, und damit steigern wir auch unsere Leistungsfähigkeit."
Es ist kein Training, das mit Hektik, Stress und lauter Musik stattfindet. Das weiß Karin besonders zu schätzen. Sie nimmt erst wenige Wochen am Training teil. Ursprünglich, um ihre Mutter, eine Frau in den Siebzigern, in Bewegung zu halten, jetzt sind beide mit Begeisterung dabei: "Man merkt, dass man doch durch diese Dehnübungen mehr Beweglichkeit bekommt, von Kopf bis Fuß, ohne eben Muskelgruppen zu überlasten.
Drei Frauen machen unter Anleitung Pilatesübungen auf der Yogamatte.
Pilates im Haus Konradshöhe© Deutschlandradio / Caroline Kuban
Ihre Mutter stimmt zu: "Anfangs brauchte ich noch viel mehr Hilfe, aber ich mach denn die Übungen mit, die ich kann. Es strengt an, muss ich schon sagen, aber es hat schon geholfen."
Melanie Zippel erläutert, was beim Training passiert: "Wir gehen an die tiefe, feine Muskulatur, die eigentlich immer aktiv sein sollte, die aber viele verlieren. Die zu aktivieren und dauerhaft festzuhalten, ist die große Herausforderung für Viele."

Geräte aus dem Gefangenenlager

Joseph Pilates wurde 1883 in Mönchengladbach geboren. Er war ein schwächliches Kind, litt an Rachitis und Asthma. Bereits in jungen Jahren beschäftigte er sich mit Bewegungslehre und begann seinen Körper zu kräftigen. Mit 29 Jahren ging er nach England, verdiente sein Geld als professioneller Boxer, Zirkusartist und Lehrer für Selbstverteidigung an Polizeischulen.
Zwei Frauen und ein Mann machen unter Anleitung Pilatesübungen auf einer Liege.
Pilates im Kraftraum Charlottenburg© Deutschlandradio / Caroline Kuban
Als er zu Beginn des Ersten Weltkriegs als Deutscher interniert wurde, entwickelte er sein Konzept eines ganzheitlichen Körpertrainings und nannte es "Controllogy". Für die Kriegsversehrten baute er Apparate aus Bettfedern und Lederriemen, montierte sie an ihre Betten, sodass sie trainieren konnten. Daraus entstanden die Pilates-Geräte, die noch heute verwendet werden. Zum Beispiel im Kraftraum Pilates in Berlin-Charlottenburg.
"Wir haben Matten, wie wir sie sonst in der Halle auch haben, haben aber eine Wall Unit, diese Geräte", zählt Zippel auf. "Wir haben Federn für die Beine, für die Arme, die Arm Series."
Konzentration, die richtige Atemtechnik und ganz wichtig: die Stabilisierung des Rumpfes durch Muskelanspannung. Der Pilates-Fachbegriff für den Körperteil: Das Powerhouse. Immer wieder wird das Zentrum des eigenen Körpers gesucht, die Körpermitte. Dorthin wird der Atem gelenkt und von da geht alle Kraft aus. Der Effekt: Die Aufrichtung des ganzen Körpers.

Aufrichtung durch das Pilates-Training

"Diese Aufrichtung, diese Kraft, auch emotional, psychisch mitzunehmen", das sollten die Kursteilnehmer schaffen. "Man geht aufgerichtet und aufrichtig durchs Leben. Man geht kraftvoll hinaus in die Welt."
Und wie sieht es aus mit dem neuen Körper nach 30 Stunden Pilates-Training? Können die Teilnehmer das bestätigen? Linda, Peter und Marie meinen "Jein":
"Ich glaube, dass seine Zeitangabe nicht ganz stimmt, ich weiß nicht, wie oft wir das jetzt gemacht haben, bestimmt über dreißig Mal", sagt Linda. "Ich bin wirklich fitter."
"Ich bin nicht zu Pilates gekommen, weil ich meine Kondition aufbauen wollte, sondern weil ich Schmerzen hatte" erklärt Peter seine Motivation. "Am Anfang von Corona habe ich eingeklemmte Nerven in der Wirbelsäule gehabt. Ich konnte kaum richtig laufen, und das hat tatsächlich geholfen. So nach ein bis zwei Monaten waren die Schmerzen fast weg."
"Ich würde sagen: wirklich absolut: Ja!", sagt Marie. "Dass ich überhaupt geradestehen kann, weil ich den ganzen Tag sitze, Büroarbeit. Und dann ist es schon ein Unterschied, wenn ich hier rausgehe, ich habe das Gefühl, ich kann mich überhaupt strecken. Es ist einerseits dieses Stretchen, aber auch diese Kraft, und die tut richtig gut."
Mehr zum Thema