Trashvariante der "Buddenbrooks"

Rezensiert von Wolfgang Schneider |
Der "erste Familienroman der Popliteratur" - derart augenzwinkernd kündigt sich Joachim Lottmanns neues Buch "Zombie Nation" an. Johannes Lohmer, Lottmanns Alter Ego, muss wieder einmal Weihnachten ohne eigene Familie abfeiern. Und stellt sich deshalb die Herkunftsfrage. Er forscht seinen lebenden Verwandten und toten Ahnen nach. Kaum verwunderlich, dass ihm bald ein üppiger Stammbaum aufsprießt, um den ihn mancher beneiden könnte.
Darunter ein Schulreformer der Goethezeit, ein Hofchirurg, ein weltberühmter Physiker des neunzehnten Jahrhunderts, ein von Fürst Pückler geschwängertes Milchmädchen, ein Vizeflottenchef im Zweiten Weltkrieg. Natürlich hat auch wieder der "Harem" rund um Jolos Ziehvater Rainer Langhans einen Auftritt, und schließlich stößt die Recherche ums Jahr 1400 auf den "eigentlichen Ur-Lohmer"‚ seines Zeichens Hofnarr des Kurfürsten von Mainz.

Klingt so, als hätte Lottmann tatsächlich eine figurenreiche, handlungsstarke Trashvariante der "Buddenbrooks" vorgelegt. Aber dieser Autor ist zwar ein genialischer Schwadroneur und Mitschreiber der Gegenwart, als raunender Beschwörer des Imperfekts und Großepiker macht er sich weniger gut. Und so neigt auch der Leser bisweilen zum Überblättern der Familienrecherche.

Spannend wird es immer dann, wenn die Forschungen zu konkreten Begegnungen in der aktuellen Wirklichkeit führen. Etwa mit Maria, der diffusen Tochter von Onkel Heinz, einer Kampflesbe aus dem Friedrichshainer Schäferhundgebiet. Oder mit einer anderen Berliner Verwandten, einer "Ipod-Oma", die mit 80 aussieht wie sechzig und sich wie vierzig fühlt. Und mehr über HipHop als über die Hitlerzeit zu erzählen weiß. Deutschland, das Land in dem die Jugend alt wirkt und die Alten so jung wie möglich daherkommen - das ist der vielfach wiederholte Kernbefund. Gerne kokettiert Lottmann/Lohmers dabei mit dem Unkorrekten: Ein bisschen Frauenverachtung, Schwulenspott und Proletenschelte, das "Dritte Reich" als Reservoir für schrägen Humor.

Mit fünfzig Jahren gefällt sich Joachim Lottmann in der Selbstinszenierung als gefragter Mann, Talkshowgast und Popspezialist. Natürlich ist sein Lohmer auch wieder feldforschermäßig im Wartburg unterwegs - Recherchen in Sachen Popstandort Deutschland. Denn seitdem sein letztes Buch "Die Jugend von heute" ein sagenhafter Erfolg wurde (behaupten kann man das ja mal), hagelt es Anfragen von den überregionalen Blättern, Lohmer möge für sie Grundsatzbetrachtungen schreiben.

Lohmer ist immer dabei, wenn im Jahr 2005 etwas los ist. Zu den Großereignissen des Pop gehörte der Auftritt des neuen Papstes in Köln. Im Angesicht von Benedikt erlebt der Held die Spontanheilung seiner sexistischen Anwandlungen. Ingredienzen einer Komödie bietet das angeknackste Verhältnis mit Ehefrau Barbi, deren Liebe zum Zwei-Zentner-Hund Lizzy für Lohmer stark demütigende Nebenwirkungen hat. Lottmann gelingt es, banale Ehemalaisen auf rührend komische Weise darzustellen.

Gewidmet ist das Buch dem ehemaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder und seiner Ehefrau Doris. "Zombie Nation" ist die Verabschiedungshuldigung eines "Schröderisten", bei der auf den letzten hundert Seiten allerdings die Luft raus ist. Lottmann schreibt da noch einmal die Wahlkampfauftritte des vergangenen Jahres mit, rekapituliert die Polit-Sommerfeste und Talkshows vor der Wahl. Wer will das lesen?

Lottmanns rasant geschriebene Texte leben vom faszinierend schillernden Gemisch von Realität und Fiktion. Wie heißt es doch im Roman: "Alles neu erfinden, alles umlügen, dass sich die Balkan biegen, aber so verblüffend intim, dass es jeder glaubt." Lottmann ist ein großer Plünderer der Medienkultur. Prominente aller Schattierungen werden in die Simulationsmaschinen seiner Romane hinein gesogen. Alles Fake, und zugleich Bruchstücke einer Konfession, die vor keiner Selbstentblößung zurückscheut. "Zombie Nation" ist amüsant und geschwätzig, sehr unterhaltsam und zwischenzeitlich nervtötend - auf jeden Fall kein Durchschnittsbuch.

Joachim Lottmann: Zombie Nation
Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006,
400 S., EUR 9,95
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