Toxische Männlichkeit und Computerspiele

Panische Angst vor dem Machtverlust

08:50 Minuten
Ein Mann sitzt mit Labtop auf dem Sofa. Sein Gesicht ist nicht zu erkennen.
"Krise der Männlichkeit": Manche Spieler suchen in Games einen Rückzugsraum. (Symbolbild) © Unsplash / Andrew Neel
Harald Koberg im Gespräch mit Ramona Westhof · 10.11.2021
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In der Computerspielszene ist toxische Männlichkeit bisweilen sehr präsent. Verunsicherte Männer - eine laute Minderheit - attackieren Frauen und queere Personen. Der Anthropologe Harald Koberg hat das Phänomen erforscht.
Um Ideen von Männlichkeit und Weiblichkeit und alternative Vorstellungen von Geschlechterrollen wird in der Computerspielszene immer wieder erbittert gestritten. Das geschieht zum Teil auf äußerst aggressive und übergriffige Art und Weise. Unter dem Stichwort #Gamergate hat eine Serie von Attacken Schlagzeilen vor einigen Jahren gemacht.

Frauen sind halbnackt und müssen gerettet werden

Spiel-Entwicklerinnen und -Journalistinnen wurden von Teilen der Community beschimpft und bedroht, weil sie sich für eine andere Darstellung von Frauen in Computerspielen aussprachen. Bis heute sind Frauen in vielen Spielen nur halbnackt zu sehen, als Prostituierte oder potenzielle Opfer, die von männlichen Helden gerettet werden müssen.
Der Kulturanthropologe Harald Koberg hat im Rahmen seiner Doktorarbeit biografische Interviews und teilnehmende Beobachtungen in der Gaming Community durchgeführt. Dabei begegneten ihm häufig Männer, die die Angst vor einem politischen und sozialen Machtverlust umtreibt und die Probleme mit dem Feminismus haben.
Das gelte selbstverständlich nicht für alle männlichen Computerspieler, aber das Gefühl einer "verdrängten Männlichkeit" sei "eine wahrnehmbare Tendenz in Videospiel-Communities", sagt Koberg. Manche verteidigten aus dieser Haltung heraus auch die ehemaligen #Gamergate-Angriffe.
Ein entscheidender Hintergrund für die Debatte um wütende Männer im Internet sei die bereits länger anhaltende "Krise der Männlichkeit", so Koberg: "Männliche Machtstrukturen werden immer mehr hinterfragt und kritisiert. Und das bedeutet natürlich vor allem dort, wo sich Männer auch schon vorher nicht als besonders machtvoll erlebt haben, dass diese dann oft großen zusätzlichen Druck wahrnehmen und immer mehr nach Ausweichmöglichkeiten suchen. Und die finden sie im Internet, vor allem in den Kommunikationsräumen rund um Videospiele, wo noch relativ wenig Gegenwind kommt."

Attacken einer lauten Minderheit

Das sei gerade in der Gaming Community auch eine Frage der Sichtbarkeit, sagt Koberg: "Wir wissen aus der Forschung, dass Frauen oder nicht heterosexuelle Männer sich tendenziell weniger sichtbar machen in Gaming Communities."
Ein Problem, das auch aus anderen Bereichen des Internets bekannt sei: Kleine Teile von Communities seien besonders laut, "und dazu gehören diese antifeministischen Gruppen, die verschaffen sich recht gut Gehör, erleben zu wenig Widerspruch und stellen sich deswegen immer wieder so dar, als wären sie die Mehrheit der Spielenden".
Hier sieht Koberg auch die Spielefirmen in der Verantwortung: Diese sollten Aggressionen in Foren und auf Veranstaltungen konsequent ahnden und sich in ihrer Werbung künftig nicht mehr so stark auf Anhänger einer traditionellen machistischen Männlichkeit fokussieren, sondern auch andere Zielgruppen ansprechen.
(fka)

Harald Koberg: "Freies Spiel. Digitales Spielen und die Sehnsucht nach Wirkmächtigkeit"
Büchner Verlag, Marburg 2021
200 Seiten, 28 Euro

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