Weg von den Männerfantasien

Marcus Richter im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 23.04.2013
Das Geschlechterbild in Computerspielen wird derzeit heiß diskutiert und ist auch ein Thema auf den Gamestagen in Berlin. Nach Einschätzung des Game-Experten Markus Richter werden in der aktuellen Debatte dabei durchaus ernsthaft und breit die herrschenden Klischees hinterfragt.
Matthias Hanselmann: Heute beginnen in Berlin die Gamestage, eines der beiden großen deutschen Fachforen rund um Computerspiele. Ein Thema dort und in der Computerspielszene allgemein ist das Geschlechterbild, das in den Spielen transportiert wird. Wir finden eine Welt von Superhelden, von muskulösen, tatkräftigen, physisch und mental hochbegabten Männerfiguren, auf der anderen Seite Frauen und Mädchen, die gerettet werden wollen: schwach, Sexy, leichtbekleidet oder in rosa. Und wenn es dann einmal eine Heldin gibt wie Lara Croft, die alle Männer in die Tasche steckt, dann wird erst recht diskutiert: Ist die Superarchäologin eher eine Ausgeburt von Männerfantasien oder eine Vorreiterin der Emanzipation? Bei uns ist unser Game-Experte Markus Richter, willkommen im Studio!

Marcus Richter: Hallo, guten Tag!

Hanselmann: Nehmen wir doch mal dieses Superweib Lara Croft. Für viele ist sie ja immer noch das, was manche als Busenwunder bezeichnen – großer Busen also –, aber sehr schmale Hüften. Nun habe ich gehört, dass es in Bezug auf Lara Croft ein sogenanntes Reboot gegeben hat, also einen Neuanfang. Wie und wohin hat sie sich denn entwickelt oder besser gesagt: Wurde sie entwickelt?

Richter: Das kann man auf jeden Fall sagen. Es gab vor allen Dingen zwei Punkte, die neu sind, das eine ist, es gibt eine richtige Geschichte, also neben den einzelnen Spielszenen gibt es sozusagen filmmäßig aufproduziert, also wirklich filmreif könnte man sagen, eine Geschichte, die erzählt wird der ganz jungen Lara Croft, also wie sie dazu wird, dass sie zu dieser Heldin wird, und dann wurden die, ich nenne sie mal, anatomischen Besonderheiten, so ein bisschen realistisch angepasst. Also sie sieht jetzt wirklich aus wie ein wirklicher Mensch und nicht wie jemand, der in der Mitte auseinanderbricht, wenn man ihn auf der echten Welt sehen würde.

Hanselmann: Ist das alles, was an Relaunch passiert ist?

Richter: Das ist alles, aber das ist sozusagen, wenn man die Geschichte der Computerspiele angeht und auch Lara Croft, schon ziemlich viel, was da passiert ist. Also gerade der Fokus aufs Realistische.

Hanselmann: Also der Busen ist, sagen wir es ganz klar, verkleinert worden. Ist das nun ein Fortschritt oder ein Rückschritt? Hat man Frau Croft irgendwie dem Zeitgeist angepasst?

Richter: Das kommt drauf an, wie man fragt. Also tatsächlich ist es erst mal – könnte man objektiv fast schon sagen – ein kleiner Fortschritt zumindest, denn realistisch, menschlich vor allem. Die Frage ist dann aber, ob es in diesem Geschlechterbild tatsächlich auch ein Fortschritt ist. Und da gibt es zwei Kritiken. Das eine ist: Die Frau Lara Croft ist immer noch sozusagen deutlich attraktiv, also könnte man immer noch sagen, immer noch ein sexistisches Anschauungsmaterial, und andererseits hat sie zum Beispiel auch so ein ganz spaghettiträgerdünnes Tank-Top an, die ganze Zeit, auch wenn sie im Eis auf einem Berg entlangläuft. Und das ist natürlich auch so was, wo man sagt: Na ja, ist denn das jetzt wirklich schon ein Fortschritt. Und die andere Sache ist, dass auch die Geschichte, obwohl sie sozusagen besser ist, bemängelt wird, weil man sagt: Na ja, sie ist zwar immer noch eine Heldin, aber sie muss sich dieses Held sein, also dieses fit in der Welt unterwegs sein, dadurch erkämpfen, dass sie leidet. Sie darf also nicht, wie zum Beispiel Indiana Jones, einfach nur ein Held sein, sondern sie muss dafür leiden.

Hanselmann: Wenn wir über Genderfragen bei Computerspielen reden, und das tun wir ja jetzt, dann müssen wir auch über die Tropes versus Women in Videogames reden, das heißt frei übersetzt: bestimmte Erzählmuster in Computerspielen, die frauenfeindlich sind. Ins Leben gerufen und moderiert wird das ganze von der kanadischen Kulturwissenschaftlerin Anita Sarkeesian. Wer ist diese Frau?

Richter: Genau, aus Kanada, Kulturwissenschaftlerin, die sich schon immer mit also A) Feminismus und Geschlechterrolle beschäftigt hat und jetzt in den letzten Jahren immer häufiger dazu übergegangen ist, das auch im Computerspielebereich machen zu wollen und betrachten zu wollen, hat einen Webblog, Feminist Frequency heißt das, wo sie sich mit dem Thema beschäftigt, und hat dann eine sogenannte Crowd-Funding-Aktion losgetreten, wo sie gesagt hat: Liebes Internet, finanziert mir bitte eine Videoserie, wo ich euch mal ganz genau zeigen will, welche frauenfeindlichen Bilder eigentlich in Computerspielen so verwendet werden.

Hanselmann: Also jeder konnte einen kleineren oder größeren Betrag spenden, und dann ist dieser Blog zustande gekommen.

Richter: Genau, und das würde jetzt total überfinanziert, und da soll es jetzt bis zu zwölf Folgen wohl geben.

Hanselmann: So eine riesige Resonanz – das ist erstaunlich!

Richter: So groß, ja.

Hanselmann: Und dabei geht es ja um das Stereotyp "Damsel in Distress", kommt wohl aus dem Französischen: "Mademoiselle en détresse" oder ähnlich. Die Prinzessin, die in Not ist und folglich gerettet werden muss im Erzählmuster als Klischee bei Computerspielen. Worum geht es bei diesem Projekt?

Richter: Es geht um zwei Sachen: Einmal, um bewusst zu machen, was da passiert, also dass diese frauenfeindlichen Erzählmuster immer verwendet werden. Und dann auch um zu zeigen, warum das schlecht ist, dass es passiert. Und es ist ja so: Man kennt es vielleicht von "Super Mario", da muss die Prinzessin gerettet werden. Und die Hauptkritik ist: Eine Frau wird immer dargestellt als jemand, der nicht selbstständig ist, der nichts kann, sondern der eigentlich nur so eine Art Beiwerk ist und gerettet werden muss, also hat sozusagen keine aktive Rolle im Leben. Und die Befürchtung ist halt, dass sich das – obwohl man ja sagt, Computerspiele sind nur virtuell – dann doch irgendwie auf die echte Welt überträgt, weil das das Ausschließliche ist, was da kommuniziert wird, und es gibt quasi keine Gleichberechtigung.

Hanselmann: Wenn man auf die Homepage geht von Frau Sarkeesian, dann moderiert sie wunderbar, spricht einen an, erzählt einem alles über "Damsel in Distress". Es werden dann auch kleine Spots eingeblendet von den Computerspielen, alles sehr anschaulich gemacht und gut nachvollziehbar. Was wird auf ihrer Homepage sonst noch so angesprochen?

Richter: Also es geht generell wie gesagt ums Frauenbild, auch in anderen Kulturformen. Bei den "Tropes versus Women" geht es insbesondere halt auch noch um andere Frauenbilder, die nicht so toll sind, würde sie vielleicht sagen. Also es geht zum Beispiel um die kämpferische Sexbombe, also die auch wieder völlig überobjektifiziert ist und die Männer in die Tasche steckt, oder um den sexy Sidekick, also sagen, ein schönes kleines Mädchen, das dem Helden hinterherläuft, aber nichts selber kann, oder halt auch um die Problematik, dass Frauen oft so als Beiwerk verwendet werden, die aber auch keine Rolle spielen. Und all das soll mal aufgeklärt werden.

Hanselmann: Wir reden ja über die Gamestage, die ja im Wesentlichen von Spezialisten auch besucht und veranstaltet werden. Ist Frau Sarkeesian über ihre Homepage eigentlich hinaus in der Szene bekannt, oder ist sie nur sozusagen für Computerspielfreaks ein Thema?

Richter: Ich möchte diese Frage mit einem ganz klaren Jain beantworten, weil natürlich ist das von großem Interesse für Leute, die sich mit der Thematik eh schon beschäftigen. Andererseits ist es ein sehr interessanter Schnittpunkt. Sie ist Kulturwissenschaftlerin, und es gibt diese Diskussion schon ein bisschen länger, aber halt leider im wissenschaftlichen Elfenbeinturm, und sie halt halt die Credibility, also sie darf über Spiele reden, weil sie sich selber dafür begeistert, was auch nicht häufig ist. Und dann hat sie es auch geschafft, das Format so aufzubereiten, dass es leicht verständlich ist. Von daher ist es zwar vor allem interessant für Computerspiele, aber das erste mal, dass man so was mit einer allgemeinen Zugänglichkeit auch tatsächlich an die Öffentlichkeit bringen kann.

Hanselmann: Also sie ist schon eine zentrale Figur, was Gender und Computerspiele betrifft?

Richter: Derzeit, wenn man sich diese Diskussion anguckt, was darüber lernen will, kommt man an dem Namen nicht vorbei.

Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton" – wir sprechen mit Markus Richter. Er ist Experte für Computerspiele. Wir sprechen mit ihm aus Anlass der Gamestage, die heute in Berlin beginnen. Die Gamestage sind sozusagen das "Who is Who" der Computerspielbranche, also ein Meeting für Entwickler, andere Insider, aber auch Fans. Noch mal kurz zu Frau Sarkeesian: Wenn sie so wichtig ist, wird sie als Kulturkritikerin in der Szene eher, sagen wir mal, als eine klassische Spaß- und Spielverderberin wahrgenommen, also die Computerspiele nur abgrast nach Dingen, die nicht pc sind?

Richter: Nicht mehr. Seit jetzt dieses erste Video der Folge erschienen ist, gibt es zwar Kritik daran, aber die ist durchaus sozusagen auf einem Level, dass man sagen kann: Das ist inhaltliche Kritik, die da ausgegeben wird. Und sie sagt auch selber ganz deutlich, Leute, ich möchte nicht, dass ihr nicht mehr Computer spielt, ich möchte nur, dass ihr reflektiert, was da passiert, aber ihr sollt bitte nach wie vor Spaß daran haben. Das sagt sie zweimal, Anfang und Ende des Videos. Also es ist ja auch wichtig, dass Computerspiele weiterhin eine gute Kulturform sind. Was aber beachtenswert ist, ist, dass im Vorfeld, also bei dieser Kampagne, wo es um die Finanzierung ging, alleine die Ankündigung, dass sich mal jemand ausführlich mit Sexismus im Computerspielen beschäftigen will, gereicht hat, um wirklich finsterste Anfeindungen loszutreten. Also sie ist wirklich bedroht worden mit Vergewaltigung und allem, was man sich so an schlechten Dingen vorstellen kann, und das hat eigentlich ganz deutlich gezeigt, dass nicht nur wegen der Sachen in den Computerspielen, sondern auch vielleicht wegen der Leute, die sich mit dem Thema zu wenig beschäftigen, diese Diskussion einfach jetzt an dieser Stelle wirklich notwendig ist.

Hanselmann: Das lässt vermuten, dass es immer noch die berühmten Computerfreaks gibt – mit Betonung auf Freak.

Richter: Das ist so ein sehr, sehr zweischneidiges Schwert, weil: Einerseits ist das das Bild, was in der Öffentlichkeit immer noch existiert: Computerspielefreaks, die schließen sich im Keller ein, schießen sich gegenseitig bei Shootern ins Gesicht und können sonst nichts. Und jetzt sind sie auch noch sexistisch. Andererseits: Der Spieler selber hat auch diese Wahrnehmung gelernt, wenn irgendwoher Kritik kommt, bedeutet das meistens, dass die Computerspiele generell verboten werden sollen. Das ist immer die Öffentlichkeitsmeinung, die sozusagen sehr lange propagiert wurde, und das ist jetzt … das muss sich jetzt langsam entwickeln. Also einerseits muss die Öffentlichkeit lernen: Man kann das auch sozusagen distinguierter sehen, also nicht so einstellig, und andererseits müssen die Spieler lernen: Man darf auch mal kritisch über mein Medium berichten, und das ist aber nicht das Ende der Welt. Und das ist aber nicht, das muss sich wirklich erst entwickeln, und da ist, glaube ich, noch ein Lernprozess nötig.

Hanselmann: Also, Sie sprechen von Lernprozess – Wandel könnte man vielleicht auch sagen. Was meinen Sie: Werden Computerspiele in absehbarer Zeit sozusagen gesamtgesellschaftlich akzeptiert, werden sie rauskommen aus diesem Freak-Dasein?

Richter: Ich bin, muss ich gestehen, optimistisch, und zwar aus zwei Gründen. Das eine ist: Computerspiele sind ein sehr junges Medium, und es wächst jetzt die erste Generation heran, die Lust hat, sich nicht nur mit dem Medium selber zu beschäftigen, sondern auch mit der Reflexion über das Medium, die einfach Spaß daran hat, Freude, die auch möchte, dass es verstanden wird. Und das andere – ich kann mir das tatsächlich vorstellen, das hat einfach einen wirtschaftlichen Hintergrund –, dass die Spieleindustrie einfach irgendwann entdeckt: Moment mal, wir haben da eine Hälfte der Menschheit, die noch gar nicht so richtig Computer spielt, weil wir immer versucht haben, der irgendwie Ponyhofspiele zu verkaufen, wenn wir ein Spiel für Frauen gemacht haben. Und da wird es einfach einen Markt geben, und allein deswegen hoffe ich schon, dass sich da in nächster Zeit viel tun wird.

Hanselmann: Vielleicht demnächst auch sogar für Senioren.

Richter: Wer weiß!

Hanselmann: Wäre auch ein großer Markt, wird immer größer.

Richter: In der Tat!

Hanselmann: Vielen Dank, Marcus Richter, die Gamestage haben heute in Berlin begonnen. Danke für diese Information!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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