Tornados gegen den IS

Luftkrieg ist eine "Grauzone" für Deutschland

Tornados der Luftwaffe starten auf dem Stützpunkt in Jagel (Schleswig-Holstein)
Tornados der deutschen Luftwaffe könnten bald in Syrien eingesetzt werden. © dpa / picture-alliance / Carsten Rehder
Jochen Hippler im Gespräch mit Christian Rabhansl · 28.11.2015
Deutschland will sich am militärischen Kampf gegen den "Islamischer Staat (IS)" beteiligen und zur Unterstützung Frankreichs im Luftkrieg Aufklärungstornados entsenden. Der Politologe und Friedensforscher Jochen Hippler sieht den geplanten Einsatz rechtlich in einem Graubereich.
Als Konsequenz aus den Anschlägen von Paris will die Bunderegierung Einheiten der Luftwaffe und der Marine für den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bereitstellen um damit Frankreich im Kampf gegen die Extremistenmiliz IS zu unterstützen.
Der Politologe und Friedensforscher Jochen Hippler sieht die geplante deutsche Beteiligung am Luftkrieg gegen den Islamischen Staat (IS) in Syrien rechtlich in einer Grauzone und warnt angesichts der Erfahrungen in Libyen, Afghanistan und im Irak davor, "reflexartig" auf militärische Mittel zu setzen.
"Es gibt einen Graubereich: Viele dieser Rechtsgrundlagen sind real, aber sie sind in diesem Fall möglicherweise nicht wirklich anwendbar", sagte Hippler im Deutschlandradio Kultur. Er bezweifelte, dass sich die von der Bundesregierung angeführten rechtlichen Grundlagen für den möglichen Bundeswehreinsatz unter Rückgriff auf die jüngste UN-Resolution zu Syrien sowie die UN-Charta und die EU-Beistandserklärung auf einer tragfähigen völkerrechtlichen Rechtsgrundlage bewegten. So verpflichte etwa der EU-Vertrag nicht per se zu militärischem Beistand. Er enthalte zwar die Option von Kriegshandlungen, lege nicht konkret fest, was zu tun sei. Auch könne das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UN-Charta schlecht rückwirkend angewandt werden, "wenn man schon wochenlang vorher angegriffen worden ist", so der Politikwissenschaftler und Friedensforscher am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen.
Zunächst politische Lösungen suchen
Hippler plädierte zunächst für politische Lösungen, da der IS vorrangig nicht durch seine militärische Stärke, sondern durch das politischen Vakuum in Syrien und im Irak groß geworden sei. Teile der Bevölkerung nähmen ihn als "kleineres Übel" wahr. "Wenn seine Stärke eine politische ist, weil er akzeptiert wird von Teilen der Bevölkerung, dann müsste man sich erst einmal eine politische Lösung ausdenken und dann erst bombardieren." Auch die militärischen Einsätzen in Libyen, Afghanistan, Irak oder Somalia hätten "nicht dazu geführt, dass diese Regionen eine Insel der Stabilität geworden wären, sondern in manchen Fällen (...) eigentlich erst mal zu Brutstätten des Terrorismus geworden sind."
Hausgemachter Terrorismus
Hippler warnte davor, das militärische Vorgehen in Syrien mit dem Terrorismus in Europa zu begründen. "Wir haben in Europa eine Subkultur hausgemachter Terroristen", sagte der Politologe. Fast alle der Attentäter von Paris seien in Europa aufgewachsen und zur Schule gegangen und hätten sich in Europa radikalisiert: "Und das sind vermutlich auch noch gewalttätige Leute, wenn es den IS gar nicht gäbe."
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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Christian Rabhansl: Frankreichs Präsident Francois Hollande hat der Bundeskanzlerin ins Gewissen geredet, und schon hat sie eine Kehrtwende hingelegt. Jetzt also doch im Kampf gegen IS sollen Bundeswehrtornados Aufklärung leisten über Syrien und auch die deutsche Marine soll losgeschickt werden, zu Aufklärungszwecken, und im Bundestag dürfte die Sicherheit klar sein, denn die Mehrheit der Regierung, die ist groß. Ob das genügt, darüber spreche ich jetzt mit Jochen Hippler, Politikwissenschaftler am Institut für Entwicklung und Frieden an der Uni Duisburg-Essen. Guten Morgen, Herr Hippler!
Jochen Hippler: Guten Morgen, Herr Rabhansl!
Rabhansl: Also, wenn der Bundestag klargeht, Deutschland außerdem Frankreich gegenüber aufgrund der EU-Verträge in der Beistandspflicht ist, wenn die Vereinten Nationen in ihrer Charta ein Selbstverteidigungsrecht kennen und es auch sowieso eine Resolution des Sicherheitsrates gibt, die ein Vorgehen gegen den IS unterstützt, ist dann die Bundesregierung damit auf der rechtlich sicheren Seite?
Hippler: Nein, das ist nicht der Fall. Diese UNO-Resolution ist sicher besser als nichts, aber sie hat ein paar Unklarheiten: Beispielsweise bezieht sie sich nicht, was eigentlich notwendig wäre, auf Kapitel 7 der UNO-Charta, sondern hat nur so eine Ermächtigung, dass man alles tun kann, was man für nötig hält, den Terror zu bekämpfen, aber es ist nicht immer unumstritten, ob dieser Bombardierung in Rakka tatsächlich dazu da sind, den Terror in Europa zu bekämpfen, das ist der Bezugsrahmen. Dann gibt es noch ein paar andere Lücken: Der EU-Vertrag verpflichtet nicht zum militärischen Beistand, genauso wenig wie der NATO-Vertrag-Artikel 5, sondern zu Beistand, der dann von politischen Presseerklärungen bis zu Kriegseinsätzen reichen kann, legt aber nicht fest, was da zu tun ist. Das heißt, wir haben zwar ein paar juristische, sagen wir mal, Hinweise, aber die sind beide eigentlich so noch ziemlich grenzwertig.
Rabhansl: Das alles zusammengefasst und klar formuliert, wird da gerade ein völkerrechtswidriger Krieg vorbereitet?
Geplanter Militäreinsatz rechtlich "eher in einer Grauzone"
Hippler: Mir scheint es eher in einer Grauzone zu sein. Beispielsweise das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UNO-Charta kann eigentlich schlecht rückwirkend angewandt werden, wenn man schon wochenlang vorher angegriffen worden ist. Also es gibt so einen Graubereich. Viele dieser Rechtsgrundlagen sind real, aber sie sind in dem Fall möglicherweise nicht wirklich anwendbar.
Rabhansl: Kommen wir mal zur politischen Bewertung: Diese Militärschläge sollen den IS schwächen und damit Europa wieder sicherer machen. Wie plausibel ist das?
Hippler: In Maßen. Den IS zu schwächen ist sicher eine gute Idee, das ist eine sehr gefährliche, extrem gewalttätige Organisation, und die Menschen in Syrien und Irak leiden darunter, ich würde aber davor warnen, den Zusammenhang dieser Luftschläge mit dem Terrorismus in Europa, der ja eigentlich das offizielle Argument dafür ist, zu stark zu ziehen. Wir haben in Europa eine Subkultur hausgemachter Terroristen. Denken Sie daran, dass, soweit wir wissen, vermutlich fast alle oder alle dieser Attentäter aus Paris, Franzosen und Belgier waren, die hier geboren, die hier in Europa aufgewachsen, zur Schule gegangen sind, die sich hier radikalisiert haben, und das sind vermutlich auch noch gewalttätige Leute, wenn es den IS überhaupt nicht gäbe. Sie sind sicher durch ihre Radikalisierung und dann ihrem Besuch in Syrien im Kampfgebiet und als Mitkämpfer noch mal weiter radikalisiert worden, aber sie sind auch nicht vom IS erfunden worden, sondern in Europa hausgemacht. Insofern müsste wahrscheinlich die Sicherheitslage in Europa stärker in Europa gefördert werden und nicht woanders.
Rabhansl: Aber trotzdem ist es doch so, dass die sich zwar hier radikalisiert haben, dann aber eben sich vom IS trainieren lassen, indem sie dort rübergehen, zum Beispiel über die Türkei. Da muss es doch sinnvoll sein, diese Strukturen zu zerschlagen.
"Zuerst mal politische Gegenmaßnahmen ausdenken und dann vielleicht bombardieren"
Hippler: Diese Strukturen erst zu zerschlagen ist immer sinnvoll, völlig unabhängig davon, ob es in Europa Terrorismus gibt oder nicht. Es gibt keinen Grund, mit dem IS glimpflich umzugehen. Das eine ist aber eben die Frage, tut man das aus den Gründen für den Irak und Syrien oder hat das was mit der europäischen Terrorbekämpfung zu tun. Das andere ist eben die Frage, ob man so den IS besonders effektiv bekämpft, also seine Stärke ist ja nicht primär militärisch, sondern das politische Vakuum in Syrien, das politische Vakuum im Irak, so ist er groß geworden, so gewinnt er Anhänger, weil er als kleineres Übel empfunden wird. Da stellt sich die Frage, wenn die Stärke eine politische ist, nämlich, dass er akzeptiert wird von Teilen der Bevölkerung, dann müsste man möglicherweise auch sich zuerst mal politische Gegenmaßnahmen ausdenken und dann vielleicht bombardieren.
Rabhansl: Im Namen der Terrorbekämpfung haben die Briten und Amerikaner bereits im Irak Krieg geführt. Deutschland hat vor rund 13 Jahren begonnen, sich am Afghanistaneinsatz zu beteiligen – da gibt es zur Gegenwart Ähnlichkeiten, natürlich auch viele Unterschiede. Welche Fehler sollten nicht wiederholt werden?
Terrorismus zu bekämpfen, müsste nicht "reflexartig" bedeuten, militärische Mittel einzusetzen
Hippler: Wir haben tatsächlich gesehen, dass wenn wir an die beiden Fälle denken, Afghanistan, der große Militäreinsatz dort und im Irak, 170.000 Bodentruppen insgesamt, ausländische, plus massive Luftüberlegenheit, und dann aber auch der Luftkrieg gegen Muammar Gaddafi in Libyen, haben in allen drei Fällen – und dann könnte man Somalia noch nennen –, in allen Fällen eben nicht dazu geführt, dass diese Regionen eine Insel der Stabilität geworden wären, sondern in manchen Fällen – denken Sie jetzt auch an Libyen oder an die anderen – eigentlich erst mal zu Brutstätten des Terrorismus geworden sind. Da kann man schon relativ leicht sehen, dass die Notwendigkeit, Terrorismus zu bekämpfen, die Notwendigkeit, Stabilität in solchen Ländern zu fördern, nicht reflexartig bedeuten müsste und dürfte, militärische Mittel einzusetzen, sondern dass das manchmal nach hinten losgegangen ist.
Rabhansl: Genau das hat ja die Bundeswehr in Afghanistan versucht am Anfang mit zivilem Aufbau, Brunnengraben, Schulen wieder aufbauen, die sind da am Anfang ungepanzert und zu Fuß den Menschen gegenüber getreten – dauerhaft funktioniert hat das nicht.
Hippler: Nein, richtig, und das liegt unter anderem daran, dass man ja nicht in einer gesamten Kriegssituation, das ganze Land Afghanistan war in einem Bürgerkrieg, ist in einem Bürgerkrieg, und zwar seit 30 Jahren – 35 inzwischen –, da kann man ja nicht einfach sich so ein Eckchen raussuchen und dann dort eine Politik machen, die in dem Rahmen völlig andere Signale gibt, richtige im Übrigen, als das die anderen Kriegsparteien machen. Das ist eine sehr komische Vorstellung, das Land ist seit langer Zeit im Krieg und wir machen in einer Ecke jetzt eben positive Aufbauprogramme, während rundherum tatsächlich Bürgerkrieg herrscht. Das fand ich von Anfang an nicht sehr plausibel, wie das gehen sollte.
Rabhansl: Jochen Hippler, Politikwissenschaftler am Institut für Entwicklung und Frieden an der Uni Duisburg-Essen zu der Frage, was wir aus den bisherigen Einsätzen lernen sollten für die Gegenwart. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
Hippler: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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