Kriegsrhetorik gegen Terror-Miliz IS

Terrorbekämpfung beginnt vor der eigenen Haustür

Anwohner und Journalisten stehen am 26.06.2015 vor dem Wohnhaus von Yassine S. - er hat kurz darauf gestanden, bei einem Terrorakt seinen Chef geköpft zu haben - in Saint Priest, Frankreich, während Jugendliche vor dem Gebäude Fußball spielen.
Jugendliche spielen in Saint Priest, einem Vorort von Lyon, vor einem Wohnhaus Fußball. Dort lebte Yassine S., der im Juni 2015 gestanden hatte, bei einem Terrorakt seinen Chef geköpft zu haben © picture alliance / dpa / Marius Becker
Von Martin Zagatta · 28.11.2015
Frankreichs Präsident Francois Hollande ist auf einem rastlosen Krisen-Marathon. Er sucht auf der ganzen Welt Mitstreiter, um den Kampf gegen den selbsternannten Islamischen Staat, zu verstärken. Dabei liege der "Nährboden" für Terrorismus im eigenen Land, mahnt Martin Zagatta.
Wann, so fragt man sich, kommt der Mann überhaupt noch zum Nachdenken? Unmittelbar nach den Anschlägen von Paris hat es Francois Hollande noch seinem Außenminister überlassen, sich beim G-20-Gipfel in der Türkei die hilflosen Solidaritätsbekundungen abzuholen. Doch schon seit Tagen ist der französische Präsident auf einem rastlosen Krisen-Marathon, um ein internationales "Bündnis gegen den Terror" zu schmieden, das nicht nur die USA und Großbritannien einschließen soll, sondern auch Russland.
Abstecher ins Weiße Haus und in den Kreml, Treffen mit David Cameron und Angela Merkel: Krisendiplomatie mit ehrenhaften Motiven, mit bedeutungsschwangeren Erklärungen, doch unter dem Strich, und das war leider abzusehen, mit eher bescheidenen Ergebnissen. So teilt US-Präsident Barack Obama zwar die Einschätzung des französischen Staatsoberhaupts, dass sich ihre Länder in einem Krieg befinden. Auch dass die Terrororganisation, die sich Islamischer Staat nennt, zerstört werden soll. Über die bisher nicht sonderlich erfolgreichen Luftschläge hinauszugehen, ist Washington aber nicht bereit.
Premierminister Cameron will die britischen Luftangriffe im Irak nun auch auf Syrien ausweiten, was den Kopfabschneidern vom IS aber auch keine schlaflosen Nächte bereiten dürfte. Und erst recht nicht, dass Deutschland nun auch mit Tornado-Überwachungsflugzeugen zumindest ein bisschen mithelfen will, die Islamisten in Syrien zu treffen.
Nur Bodentruppen können laut Experten die Islamisten besiegen
Mit dem russischen Präsidenten Putin ist Hollande immerhin übereingekommen, sich bei Militäreinsätzen in Syrien abzustimmen und Angriffe auf bewaffnete Gruppen zu vermeiden, die ihrerseits gegen den Terror kämpfen. Eine Formulierung allerdings, die Moskau kaum davon abhalten wird, wie bisher auch schon, vor allem die vom Westen unterstützten Gegner des Assad-Regimes unter Feuer zu nehmen.
Und Moskaus Festhalten an Baschar Al-Assad, der für den Großteil der geschätzt weit mehr als 250.000 Toten in Syrien verantwortlich gemacht wird, steht einem breiten internationalen Bündnis gegen den IS noch immer im Wege.
Zu besiegen, da sind sich die Experten einig, sind die Islamisten ohnehin nur, wenn auch effektive Bodentruppen gegen sie eingesetzt werden. Dass die französische Regierung da jetzt auch die syrische Armee als möglichen Alliierten ins Spiel gebracht hat, ist noch kein Richtungswechsel. Sollte man sich - wie der Westen das anstrebt - mit Russland auf eine Übergangslösung in Syrien einigen können, die Assad dann verbindlich zum Abdanken zwingen würde, wären natürlich die syrischen Truppen gefragt, unterstützt von einer internationalen Allianz, gegen die Milizen vom Islamischen Staat zu kämpfen. Aber das ist, Krisen-Marathon hin oder her, bisher nur Wunschdenken.
Französische Regierung spricht von sozialer Apartheid in vielen Vorstädten
Und ganz grundsätzlich stellt sich doch die Frage, wie es in Syrien überhaupt weitergehen kann, sollte der IS eines Tages tatsächlich besiegt und auch der Diktator Assad in die Wüste geschickt werden. Die geschwächte und zerstrittene syrische Opposition scheint kaum in der Lage, das Land regieren zu können, und in weiten Regionen geben inzwischen ohnehin ganz unterschiedliche Islamistengruppen den Ton an. Planungen, in Syrien nicht die Fehler zu wiederholen, die im Irak und in Afghanistan gemacht wurden oder auch in Libyen, scheinen jedenfalls keine große Rolle zu spielen.
Aber die Freiheit von Ländern wie Frankreich oder auch Deutschland kann auch nicht nur am Hindukusch oder in Syrien verteidigt werden. Terrorbekämpfung fängt vor der eigenen Haustür an. Dabei muss die französische Führung aufpassen, dass sie im Schock der Anschläge jetzt nicht wie einst die USA über das Ziel hinausschießt mit Maßnahmen, die den Rechtsstaat in Frage stellen. Das schließt keineswegs aus, über sinnvolle Verschärfungen der Sicherheitsgesetze nachzudenken. Die Zusammenarbeit der Behörden und Geheimdienste in Europa hat im Vorfeld der Anschläge offenbar schwer versagt und muss dringend verbessert werden.
Darüber hinaus muss es bedenklich stimmen, wenn selbst die französische Regierung von sozialer Apartheid in vielen Vorstädten spricht und nun einräumt, dass es in Frankreich einen "Nährboden" für Terrorismus gibt. Dem jetzt ernsthaft entgegenzuwirken, ist wichtiger als Kriegsrhetorik und alle Solidaritätsbekundungen.
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