Tor Fretheim / Øyvind Torseter: "Eine Geschichte macht Geschichten"

Schau immer genau hin

06:13 Minuten
Cover des Buchs "Eine Geschichte macht Geschichten" von Tor Fretheim und Øyvind Torseter. Ein comicartig gezeichneter Schriftsteller läuft auf einem Bleistift entlang.
© Gerstenberg

Tor Fretheim, Illustriert von Øyvind Torseter

Übersetzt von Maike Dörries

Eine Geschichte macht GeschichtenGerstenberg, Hildesheim 2022

48 Seiten

13,00 Euro

Von Kim Kindermann · 17.05.2022
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Wer ein Buch schreiben will, der braucht Ideen. Was aber, wenn die nicht von allein kommen wollen? Tor Fretheim und Øyvind Torseter erzählen hintergründig vom Leben eines Schriftstellers. Ihnen ist ein wunderbares Kinderbuch gelungen.
Da sitzt er nun, der Schriftsteller. Am Schreibtisch vor einem leeren Blatt Papier. Ohne Idee. Vier Tage lang. Zum Entspannen geht er schließlich raus: frische Luft schnappen eigentlich, aber herauskommt, klar, eine Geschichte.
Eine, die es in sich hat. Die nicht nur über lustige Begebenheiten berichtet, sondern die vielmehr hintergründig ermutigt, in die Welt zu gehen und davon zu erzählen.
Draußen erlebt der Schriftsteller so viel, dass sich seine Geschichte scheinbar ganz von selbst schreibt. Und zwar indem er erzählt, was er sieht und wen er trifft - und wie schließlich seine Geschichte, nachdem sie geschrieben ist, selbst wieder Geschichten macht. 

Eine Frau, eine Katze, ein Junge und ein Mädchen

Da ist die schlecht gelaunte Frau am Fenster, der stille Junge auf dem Baum, das lachende Mädchen auf der Wippe. Sie alle werden Teil der Geschichte.
Zunächst, indem sie einfach da sind. Dann, indem sie aktiv teilnehmen und schließlich dem Schriftsteller folgen, der wiederum einer Katze hinterhergeht, obwohl er Angst vor Katzen hat. Zusammen stehen sie irgendwann vor dem Haus eines Mädchens, das in seinem Zimmer eine Geschichte liest. Und zwar die des Schriftstellers.
Irgendwann kommen der Schriftsteller und die schlecht gelaunte Frau ins Gespräch, darüber, ob Tiere lachen können, ob es Engel gibt und warum der Junge im Baum am glücklichsten ist.   

Eine hintersinnige Erzählung

Eine hintersinnige Erzählung entsteht so. Über Kreativität. Über das Geschichtenschreiben und darüber, wie man seine Umgebung sieht.
Denn natürlich kann man trefflich darüber reden, warum sich dieser Schriftsteller gerade für die schlechtgelaunte Frau interessiert. Warum sitzt das Mädchen allein beinebaumelnd oben auf der Wippe? Wie ist sie da hingekommen? Und ist das überhaupt wichtig?
Sucht also ein Autor eine Geschichte oder trifft die Geschichte ihn? Und was braucht es dazu?
Folgt man Tor Fretheim, dann sind es Aufgeschlossenheit, Fantasie, Mut und Unbeschwertheit. All das bringt schließlich der Schriftsteller im Buch mit, indem er unvoreingenommen und mit offenen Augen durch die Welt geht.
Der 2018 verstorbene Norweger erteilt in seiner posthum veröffentlichten Geschichte damit auch noch dem Klischee vom Schriftsteller als Genie charmant eine Absage - und ermuntert seine Leser*innen, sich alles genau anzuschauen.

Die Bildsprache überzeugt

Eine schöne Hommage auf das Geschichtenerzählen ist so entstanden. Eine, die Øyvind Torseter wunderbar illustriert hat. Seine schlichten comicartigen Zeichnungen tragen die Geschichte weiter und öffnen gleichzeitig den Blick für Details und für die Stimmungen. Mit der für den Norweger typischen Bildsprache.
Torseters Figuren sind immer mit wenigen Strichen gezeichnet - und trotzdem ausdruckstark. Der mürrische Geschichtsausdruck der Frau ist genauso wenig zu verkennen wie der überraschte Blick des Jungen im Baum oder die wachsende Sorge vor der Dunkelheit im Gesicht des Schriftstellers.
Eingetaucht in den detailreichen, oft farbigen Hintergrund entstehen so wunderbare Handlungsabläufe. Da sieht man den anfangs ideenlosen Mann Seiten später förmlich die Treppe runter rasen, mit wehendem karierten Bademantel, in einem gelben Treppenhaus, vorbei an den erstaunten Nachbarn; um ihn wenig später zwischen Straßenschluchten herumirren und dann wieder unter dem Fenster der schlechtgelaunten Frau stehen zu sehen.

Lustig und klug

Je mehr der Schriftsteller erlebt, umso mehr sieht man auch auf den Bildern. Tor Fretheim und Øyvind Torseter ergänzen sich perfekt: „Eine Geschichte macht Geschichten“ ist ein wunderbares, lustiges und kluges Kinderbuch für alle ab 6 Jahre.
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