Tomás Gonzáles: "Was das Meer ihnen vorschlug"

Existenzielle Kämpfe

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Schauplatz des Romans ist der kleine Ort Playamar an der kolumbianischen Küste. © picture alliance / dpa
Von Carsten Hueck · 24.06.2016
Vater, Mutter und zwei erwachsene Söhne leben in einer scheinbaren Idylle an der Küste Kolumbiens. Die Söhne betreiben für ihre Vater eine Hotelanlage, die Mutter ist verrückt. Dann fahren die drei Männer raus aufs Meer. Ein gelungener Psychothriller.
Alles könnte so schön sein: Den ganzen Tag scheint die Sonne, vor der Haustür erstreckt sich das Karibische Meer. Das Geschäft läuft gut, man trinkt Anisschnaps, raucht ab und zu einen Joint, und um sich mit leckerem Fisch zu versorgen, muss man nur auf den Golf hinausfahren und die Angel auswerfen – die Welt ist ein Füllhorn, heißt es im neuen Roman des kolumbianischen Autors Tomás González.
Schauplatz ist der kleine Ort Playamar an der kolumbianischen Küste. Dort leben die Zwillinge Javier und Mario. Sie betreiben für ihren Vater eine Hotelanlage mit Bungalows, Restaurant und Lebensmittelladen. Gerne freunden sie sich auch mit den Touristen an, Javier lässt sich von ihnen Bücher mitbringen, Mario versorgt sie bei Bedarf mit Drogen. Ansonsten kümmern sich beide verantwortungsvoll um ihre Mutter Nora, "die Verrückte". Sie wohnt in der Anlage, flippt manchmal aus, redet mit Geistern und neigt bei stürmischem Wetter zu Selbstmordattacken. Der Vater, ein gewalttätiger Patriarch, hat sich eine jüngere Frau genommen und mit dieser einen weiteren Sohn gezeugt.

Heillos zerstrittene Männer

Vor der Kulisse der an sich verführerisch schönen Küstenlandschaft entfaltet González eine Art Psychothriller. "Samstag, 4 Uhr", lautet die Überschrift des ersten Kapitels. Die weiteren bezeichnen die jeweils folgenden Stunden. Bis zum nächsten Morgen um sechs tickt die Uhr. Der Vater fährt mit seinen beiden Söhnen hinaus aufs Meer, um Fische zu fangen. Drei Männer in einem Boot, die Warnungen vor einem heraufziehenden Sturm ignorieren. Es ist ein Kräftemessen: Wer fängt den größten Fisch, wer gibt als erster auf, wer behält am längsten die Nerven, wer lockt wen aus der Reserve? Denn Vater und Söhne sind heillos zerstritten.
Der Alte beansprucht die Rolle des Königs, er fordert Unterwerfung von seinen Söhnen und beschämt sie. Nie ist ihm etwas gut genug. Seine Bemerkungen verletzen, sein Verhalten offenbart Despotentum und Aggressivität. Mario und Javier werfen ihm vor, dass er ihre Mutter in den Wahnsinn getrieben habe, seine Söhne nicht akzeptiere und ihre Fähigkeiten nicht anerkenne. Als der Motor aussetzt und der Sturm sich nähert, eskaliert die Situation.

Fragen nach dem Verhältnis von Mensch und Natur

Tomás González erzählt multiperspektivisch und auf verschiedenen Ebenen. Er switcht zwischen Land und Wasser, lässt Hotelgäste, die Mutter Nora oder die Köchin des Restaurants aus ihrer Sicht berichten. Dann wieder versetzt er den Leser ins Boot, wo das Gedachte immer neben dem Gesagten steht. Die daraus entstehende Spannung wächst kontinuierlich. Als der Sturm schließlich losbricht, bietet das Meer den Söhnen an, sich ihres Vaters zu entledigen.
Der Autor verbindet geschickt das Motiv eines archetypischen Vater-Sohn-Konfliktes und der Konkurrenz zwischen Brüdern mit den existentiellen Fragen nach dem Verhältnis von Mensch und Natur, nach Selbstbehauptung, Wahn und Lebenssinn, wie sie schon Hemingway oder Melville in ihren großen Romanen von Männern und dem Meer stellten. Kammerspielartig spitzt González die Situation zu, stimmungsvoll verdichtet er die Atmosphäre – und kann seinen großen Kollegen mühelos das Wasser reichen.

Tomás González: "Was das Meer ihnen vorschlug"
Aus dem Spanischen von Rainer und Peter Schultze-Kraft
mareverlag, Hamburg 2016
156 Seiten, 18,90 Euro