Tim Trzaskalik: Western

Rauchende Colts, lügende Frauen und allzu viel Testosteron

06:05 Minuten
Cover von Tim Trzaskaliks Lyrikband "Western".
© Matthes & Seitz

Tim Trzaskalik

WesternMatthes & Seitz, Berlin 2022

172 Seiten

22,00 Euro

Von Björn Hayer · 01.06.2022
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Tim Trzaskaliks neuer Lyrikband liest sich als Parodie auf das Western-Genre und sucht nach dem Fremden in der Dichtung. Ein veritables Lesevergnügen, auch wenn dem Langgedicht weniger Sprünge und Abschweifungen gut getan hätten.
„Das gedicht, dem alles fremde
ausgetrieben ist,
steht heute hoch im kurs.
Zumal wenn ‚wir‘ in ihm
erbauliche hügel klimmen“
Solch einen Anfang für einen neuen Lyrikband zu wählen, hat, bezogen auf den Literaturbetrieb, durchaus provokatives Potenzial. Auch wenn Tim Trzaskalik in seinem neuen Band nicht so genau sagt, worin sich denn offenbar das Allzubekannte und Selbstzirkuläre der heutigen Lyrik äußert, wird man einer vagen Ahnung gewahr.
Der Autor will offenbar keine therapeutische, tröstende Verskunst. Er will keine sich um die ewigen Themen Natur und Liebe kreisende Poesie mehr. Stattdessen gilt die Maxime: „Gedicht gibt’s nur, / wo es nach etwas grapscht, / das es ganz und gar nicht ist.“

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Mit reichlich Gespür für absurde Komik entführt uns der Autor daher in ein heute – ähnlich den Gefilden der Lyrik – etwas aus der Mode gekommenes Genre, nämlich dasjenige des titelgebenden Western.

Colts und Sheriffsterne

Wie man sich vorstellen kann, geht es in diesem Langgedicht hoch her: Saloons werden abgefackelt, Dampfloks dröhnen durch die Steppe, raubeinige Cowboys beschützen Goldtransporte. Skurrile John Wayne-Wiedergänger schlagen sich durch die wilde Prärie und eifern jedem Rachefeldzug und Kopfgeld hinterher, um den „Motor Anachronismus“ mit dem Sprit einer überkommenen Männlichkeitschimäre am Laufen zu halten.
Wer zwischen rauchenden Colts und durchschossenen Sheriffsternen überdies nicht fehlen darf, sind Indigene und Frauen. Während erstere, die „Indianer“, „schlimmer als haie“ sind, wirkt das Gift von letzteren entsprechend der polemischen Erzählinstanz subtiler. Denn „Weiber lügen wie gedruckt“.

Der Witz verzerrt die ernste Realität

Dass derlei Stereotypen nicht perpetuiert, sondern dekonstruiert werden, bemerkt man vor allem an Trzaskaliks durch und durch parodistischen Zugriff auf Motive und Narrative des Western. Der Witz verzerrt die ernste Realität aus Blut und Duellen. „Treffen viehzüchter und ackerbauern / in der stadt zusammen, geht es nicht nur um / modekataloge“. Aus Sarkasmus besteht eben die Luft, die Outlaws und Revolverhelden atmen: „Man muss / all seinen Feinden verzeihen, / aber nicht früher, als bis sie / gehenkt worden.“
Unterstrichen wird der Farcecharakter durch Sprachspiele, Lautmalereien und herrlich-stumpfsinnige Reime wie „Das land, das helden braucht, heißt noch immer trauer […] Wir alle brauchen es rauer“. Darum tönt es von den Stiefeln schlichtweg „klong, klong, klong“.
Wo man also nichts für bare Münze nehmen darf, wirken so manche Formulierungen verdreht. Auch aus diesem Grund zählen Über-Kreuzstellungen à la „Die produktion des raumes / wird zum raum der produktion“ zu den häufigsten rhetorischen Mitteln des Bandes.

Ein bisschen mehr Reifezeit

Sowohl das Verrühren aller möglichen Filmzitate – von „Yuma“ bis „The Revenant“ – und unmittelbar wiedererkennbarer Storyfetzen als auch die stilistischen Eigenarten des Textes bereiten ein veritables Lesevergnügen. Trotzdem hätte dem Langgedicht etwas weniger Sprünge und Abschweifungen zugunsten von mehr Konzentration gut getan.
Zudem erschließt sich bis zuletzt nur unzureichend, was nunmehr die Dichtung mit dem Western genau verbindet. Gibt sich das gemeinsame Dritte einzig in der mehrfach vom Schriftsteller angedeuteten Gestrigkeit und Überholtheit der beiden Kunstformen (die man durchaus als These anzweifeln kann) zu erkennen?
Obwohl dieser Lyrikband somit noch etwas mehr Reifezeit benötigt hätte, lohnt sich dessen Lektüre. Denn hier haben wir es mit einem wahren Experiment zu tun, in dem Innovation, formale Radikalität und Humor auf verblüffende Weise zusammenfinden.
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