Tiger in der US-Literatur

Halbreales Wesen, Familienerinnerung oder Gerippe

11:09 Minuten
Ein Tiger pirscht sich von rechts ins Bild, er ist im Profil zu sehen.
In der aktuellen US-amerikanischen Literatur kommen Tiger in ganz unterschiedlicher Weise vor. © Unsplash / Clovis Wood Photography
Katharina Borchardt im Gespräch mit Frank Meyer · 01.02.2022
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In Büchern junger Autorinnen, deren Vorfahren aus Ostasien in die USA kamen, finden sich derzeit erstaunlich viele Tiger. Die haben sie sozusagen mitgebracht, denn in den USA gibt es diese Tiere nicht. Die Tiger stehen für ganz Unterschiedliches.
Den Tiger trifft man in aktueller amerikanischer Literatur überraschend häufig an – vor allem dafür, dass in den USA Tiger nicht heimisch sind. Besonders ist das der Fall bei jungen Autorinnen, deren Eltern oder Großeltern einst aus Ostasien nach Amerika eingewandert sind.
Zudem ist der 1. Februar in spezieller Weise mit dem Tiger verbunden: Denn im Osten Asiens beginnt das Jahr des Tigers – mit dem chinesischen Neujahrsfest. Alle zwölf Jahre gibt es ein Jahr des Tigers.

Tigerschwanz am Rücken

In den Büchern, die der Literaturkritikerin Katharina Borchardt aufgefallen sind, in denen Tiger auftauchen, kommen diese Tiere in ganz unterschiedlicher Art und Weise vor.
Im neuesten Roman „Bestiarium“ von K-Ming Chang, einer taiwanisch-amerikanischen Autorin zum Beispiel wächst einer jungen Frau ein Tigerschwanz am Rücken – aus einer Stelle, die verletzt wurde. Das sei ein Zeichen dafür, dass die junge Frau lernen wird, sich zu wehren, sagt Katharina Borchardt. Und es habe etwas Märchenhaftes.

Kinder finden Tigergerippe

Tae Keller hat eine koreanische Großmutter. In ihrem aktuellen Jugendroman „Wie man ein Tiger fängt“ streift ein Tiger um das Haus einer Großmutter im US-Bundesstaat Washington. Er sei ein halbreales Wesen, erklärt Borchardt. „So etwas wie eine gebändigte, unterdrückte Lebensenergie, Erinnerungsenergie.“
C Pam Zhang, die als kleines Kind aus China in die USA kam, lässt chinesische Kinder in ihrem Western „Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“ in der amerikanischen Prärie auf Tigergerippe stoßen. Hier sei der Tiger nicht mal mehr eine Art Realfantasie, sondern tauche nur noch in Form von Schriftzeichen und als Gerippe auf, so Borchardt.
(abr)

Bücherliste:

K-Ming Chang: „Bestiarium“
Aus dem amerikanischen Englisch von Stefanie Jacobs
Verlag Hanser, Berlin 2021
288 Seiten, 24 Euro

Tae Keller: „Wie man einen Tiger fängt“
Aus dem amerikanischen Englisch von Ilse Rothfuss
Dragonfly bei HarperCollins, Hamburg 2021
272 Seiten, 14 Euro
ab 11 Jahren

C Pam Zhang: "Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“
Aus dem amerikanischen Englisch von Eva Regul
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2021
352 Seiten Seiten, 22 Euro

Eka Kurniawan: „Tigermann“
Aus dem Indonesischen von Martina Heinschke
Ostasien Verlag, Großheirat 2015
227 Seiten, 24,80 Euro

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