Tier und Wir

Ein Loblied auf die Kuh

05:49 Minuten
Eine Kuh auf einer Weide
Sinnbild für die heile Bergwelt: die Kuh. Ihr Leben fristet sie meist jedoch weit ab jeglicher Idylle. © picture alliance / Bildagentur-online / Schickert
Von Jenny Rieger · 05.03.2020
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Ohne die Kuh wären wir Menschen nicht das, was wir heute sind: In den Jahrtausenden unseres Zusammenlebens haben wir uns evolutionär aneinander angepasst. Höchste Zeit für eine Würdigung des sogenannten Milchviehs.
Grüne Wiesen voller brauner Kühe mit Glocken um den Hals, die gemütlich grasen. Aber hinter dem Landidyll versteckt sich eine Industrie, die uns mit Milch, Käse und Fleisch versorgt – oder überversorgt.
Das können auch die Besucher der Regionalviehschau im Zürcher Stadtteil Albisrieden erleben: Um den kleinen Platz vor der Alten Kirche haben sich schaulustige Städter geschart. Gerade ist die zweitletzte Kategorie der Viehschau dran – die Veteraninnen unter den Milchkühen. Mindestens sechs Kälber hat jede von ihnen zur Welt gebracht, über 100.000 Liter Milch gegeben.
Schaurichter Martin Haab begutachtet die Kandidatinnen mit geübtem Blick. Viehschauen sind hartes Business. Die Besitzerinnen und Besitzer nationaler Champions können den Verkaufspreis ihrer Kühe schon mal verdoppeln oder deren Embryonen gewinnträchtig an Züchter verkaufen.
Wie sieht die ideale Kuh aus? – Da seien die Kriterien weltweit gleich, meint Schaurichter Haab. "Es geht vor allem um das Format, also um den Rahmen der Kuh, wie ist sie gebaut." Das zweitwichtigste Kriterium sei das Euter. Schließlich werde die Kuh dort zweimal am Tag gemolken und die Wirtschaftlichkeit der Kuh hänge von diesem ab. Über Jahrtausende ist die Kuh Begleiterin des Menschen – und die Zucht hat immer größere, leistungsstärkere Tiere hervorgebracht. In den letzten 100 Jahren hat sich die durchschnittliche Milchleistung mehr als verdreifacht. Heute geben die Spitzenreiterinnen bis zu 30.000 Liter Milch im Jahr.

Ein Leben wie ein ständiger Marathonlauf

Martin Ott leitet eine Schule für biodynamische Landwirtschaft. Man könnte ihn einen Kuhphilosophen nennen. Aus sei seiner Sicht gleicht das Leben einer Hochleistungskuh einem durchgehenden Marathonlauf. Von dem Moment an, in dem die Kuh ein Kälbchen auf die Welt bringt, produziere ihr Herz "eine Pumpenleistung wie ein durchtrainierter Läufer und wir züchten die Kuh da hin". Ein Problem, findet Martin Ott. Er will einen nachhaltigeren Umgang mit dem Milchvieh vermitteln.
Ohne die Kuh, meint Ott, wären wir Menschen nicht das, was wir heute sind. Denn Kühe verwandeln das für uns unverdauliche Gras in Eiweiß – für unsere Vorfahren eine wichtige Nahrungsquelle.

Werbeträgerin, Maskottchen, Projektionsfläche

Vor etwa 10.000 Jahren hätte die Kuh in Mitteleuropa damit begonnen, ihre Eiweiße im Euter so zu verändern, dass der Mensch die Laktose vertragen konnte. "Und zur selben Zeit haben die Menschen ihre Verdauung genetisch so verändert, dass sie das trinken konnten." In der Genetik das Beispiel einer Koevolution. "Das heißt, es könnte sein, dass auch wir Menschen in der Evolution domestiziert wurden; oder es ist eben eine Zusammenarbeit."
Die Kuh ist längst als Symbolträgerin über sich hinausgewachsen – vor allem in der Schweiz. Mal kommt sie als dummes, störrisches Vieh daher, als Sinnbild für die heile Bergwelt, oder als übersubventionierte, rülpsende Klimakillerin. Sie ist inoffizielles Wappentier, Werbeträgerin für Produkte und Parteien, Maskottchen für Sportevents. Und eine Projektionsfläche, meint Ott, als eine Tier, das "mir hilft, dort zu bleiben, wo ich bin. Und diese kulturelle Errungenschaft, auf der sich unsere ganze Kultur baut, ist eigentlich der Kuh geschuldet, die ist verbunden."

Eine Kuh, die weiß, was sie will

Zurück auf der Albisriedener Viehschau, wo die Dauerleistungskühe im Ring stehen. Die Kuh, die laut Schaurichter am meisten Jugendlichkeit ausstrahlt, gewinnt. Ihr Besitzer Dani Buchli ist sichtlich stolz auf seine Korea – zwölf Jahre alt ist sie, 123.000 Liter Milch hat sie in ihrem Leben produziert.
Sie sei eben eine spezielle Kuh mit einem speziellen Charakter, meint Buchli. Deswegen sei sie auch so alt geworden. "Sie weiß, was sie will." Und wer dies wisse, komme besser durchs Leben. Egal, ob nun Mensch oder Tier.
Korea ist Dani Buchlis Hobby. Auf seinem Hof bekommt sie ihr wohlverdientes Gnadenbrot. Wirtschaftlichkeit hin, Projektionsfläche her – manch glückliche Kuh ist eben nicht mehr oder weniger als nur ein Tier.
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