Gnadenhof "Happy Kuh"

Gerettete Rinder gehören hier zur Familie

Von Natalie Putsche · 16.07.2019
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Eine Mutter, zwei Jungs, 24 Kühe und Ochsen: Das Projekt "Happy Kuh" ist eine ungewöhliche Lebensgemeinschaft. Mit einem ausgebüchsten Kalb fing vor einigen Jahren alles an. Engagierte Menschen brachten Tiere aus ganz Deutschland dazu.
"Aruna, wenn du raus gehst, kriegst du Ärger!"
"Wow, konnte die da unten drunter durch krabbeln? Kann ich irgendwie helfen?"
Freilaufender Teenager auf 12 Uhr. Ein einjähriges Kalb scheint sich unter dem Weidezaun durchgeschoben zu haben. Eine andere junge Kuh sieht aus, als würde sie auch nicht lange fackeln, um auf die gegenüberliegende Wiese zu gelangen. Und Sita wird die Herde bald auf diese frische Weide lassen.
"Die wissen schon, dass ich eine neue Weide für die vorbereite und die werden voll aufgeregt. Du brauchst nur eins, dass das sieht und hört, sagt die anderen Bescheid: Und die warten alle am Tor und wollen raus."
In ein paar Tagen geht es los. Bis dahin gibt es mehr Heu als sonst. Beruhigt die Nerven, erklärt Sita. Die 45-Jährige leitet das Projekt "Happy Kuh". Gegründet hat ihr Lebensgefährte den Verein, vor mehr als zehn Jahren. Damals arbeitete er in einer Bio-Gärtnerei, zu der auch ein Rinderzuchtbetrieb gehörte. Ein frischgeborenes Kalb konnte flüchten, und Sebastian hat es gefunden.

Start mit einem geflüchteten Kalb

"Und er hat ihm versprochen, ich rette dich" erzählt Sita. "Shiromani heißt er, ist immer noch bei uns."
Durch engagierte Menschen, und häufig mit Sebastians Hilfe, sind mehr und mehr Kühe aus ganz Deutschland dazu gekommen. Gerettet, nachdem sie zum Teil jahrelang im Stall angebunden waren oder weil sie als Milchkuh ausgedient hatten und der Weg zum Schlachter drohte.
Mittlerweile ist der Happy-Kuh-Gründer aus dem Projekt ausgestiegen. Aus gesundheitlichen Gründen. Sohn Srida habe, genau wie sie selbst, sagt Sita, vieles bei Sebastian über den Umgang mit den Kühen gelernt.
Sita: "Ich finde, dass die fast wie die Menschen sind, nur dass die vier Beine haben. Die einigen sich auch wie Menschen."
Autorin: "Streiten die auch?"
Sita: "Ja, manchmal schon. Der Zweitchef, wurde ja mal von zwei anderen ganz lange gejagt. Jeden Tag. Und dann haben sie sich langsam wieder geeinigt."
Autorin: "Hat man da seine Lieblinge? Oder ist das so, dass alle gleich toll sind?"
Sita: "Also ich hab eine Lieblingskuh, die ist aber auf der zweiten Wiese. Ich hab nur ein bisschen Angst, seitdem mich mal eine Kuh mit den Hinterbeinen weggetreten hatte. Auf der zweiten Wiese, bei Surabhi, wenn die so liegt, dann kann ich mich sogar auf den Rücken setzen."
Autorin: "Und wer ist das zum Beispiel, Sita? Das sind zwei nebeneinander, die haben irre lange Hörner. Normalerweise kennt man das ja gar nicht mehr, dass Kühe überhaupt noch Hörner haben."
Sita: "Das ist ein Pärchen. Das ist Beria, er war der Chef, acht Jahre lang. Und das ist seine Frau. Eine Milchkuh, Fleckvieh. Und sie haben sich kennengelernt, sie war fünf Tage alt und hat den Schutz vom Chef genommen, und seitdem ist sie treu und bleibt immer bei ihm. Die essen zusammen, schlafen zusammen, kuscheln, ja. Und ja, die meisten Kühe bei uns haben Hörner. Wir haben auch ein paar Kühe ohne Hörner. Von Milchbetrieben."
Autorin: "Die werden denen dann entfernt."
Sita: "Ja, oder genetisch so geboren."

Beim Kuscheln immer auf die Hörner achten

Sitas kleiner Sohn steht vor einem der riesigen Ochsen und streichelt die Hörner. Der Dreijährige wirkt winzig gegen die Tiere.
"Der weiß schon, man muss immer auf die Hörner aufpassen", sagt Sita. "Wenn eine Fliege kommt, dann kann die Kuh oder der Ochse den Kopf bewegen, und das kann wehtun."
Ein kleiner Junge streichelt eine Kuh zwischen den Hörnern.
Trotz Größenunterschied keine Berührungsängste: Sitas Sohn Subala streichelt eines der vierbeinigen Familienmitglieder.© Natalie Putsche
Auch Sita hatte vor dem Projekt nie mit so großen Tieren zu tun.
"Ich kann von einer Sache erzählen, als mein Mann nicht da war. Da bin ich auf den Traktor von einem Bauern geklettert, weil ein Ochs rausgegangen ist. Da hatte ich Angst."
Sie hat Wirtschaftsingenieurwesen studiert und sei für ihren Master von Peru nach Deutschland gekommen. "Und da habe ich Sebastian kennengelernt. Und dann hab ich auch die Kühe kennengelernt. Und die haben mein Herz gestohlen."

Spenden aus Kuhpatenschaften finanzieren die Versorgung

Aber seitdem sie das Projekt alleine führe, sei sie auf jede Hilfe angewiesen. Vor allem das Misten und die großen Heuballen täglich auf den zwei Weiden zur Futterstelle schieben ist mühevoll. Am Wochenende bekommt Sita fast immer Hilfe: von engagierten Kuhfans. Finanziert wird die Versorgung der Tiere durch die Spenden aus Kuhpatenschaften.
Aber das Geld hat nie gereicht, um größere Maschinen anzuschaffen, die die Arbeit erleichtern, sagt Sita. "Wir bräuchten dringend einen Traktor, einen kleinen Traktor, dass ich das Futter zum Futterplatz bringen kann, ohne mich körperlich so anzustrengen."
Es gibt immer was, um dass sich Sita kümmern muss. Als Wildschweine zum Beispiel vor kurzem mehrmals die Weide verwüstet hatten, hat Sita mit Helfern einen 500 Meter langen Wildtierzaun gebaut, um Wald und Wiesenstück zu trennen. Dazwischen der Tod der ältesten Kuh.
"Und wir haben bemerkt, wie bei alten Menschen: 'Ich hab keine Lust mehr, lass mich einfach'. Und dann haben wir sie massiert, und ein paar Minuten später hat sie den Körper verlassen. In Frieden."
Jetzt ist Raghu der Älteste.
"Raghu ist mein Lieblingsochse. Er ist schon alt und er ist einfach wunderschön. Es kann Regenwetter geben, es kann alles passieren. Und er kaut immer wieder und guckt in den Himmel, und alles ist cool. Und er freut sich."

Die Lieblingskuh hat ein Herz auf der Stirn

Srida will mir unbedingt seine Lieblingskuh zeigen. Ein kurzer Waldweg führt zur anderen Weide für die zweite Herde. Vor allem Mütter und Töchter.
"Ja, für uns ist sehr wichtig, dass die Menschen spüren, dass die Kühe auch eine Familie haben. Hier zum Beispiel haben wir viele Mütter mit ihren Kindern. Die leben zusammen. Manche Kinder sind schon zwei, drei Jahre alt."
"Das ist Surabhi, auf der Stirn hat sie so ein Herz", zeigt mir Srida endlich seine Lieblingskuh.
Autorin: "Und wer ist das?"
Srida: "Ihr Kind."
Autorin: "Ihr Kind ist riesig."
Und auch da lerne ich: Wenn eine Milchkuh kein Kalb auf die Welt bringt, wird sie größer und massiver, denn Schwangerschaften und Milch geben verbraucht Kraft. Srida umarmt Surabhis Hals. Nicht nur die Kinder von Sita haben Sanskrit Namen, auch alle Kühe. Einige haben zwei Namen.
Sita: "Zum Beispiel der Sri: bedeutet Glück. Aber er heißt Heinz Horst. Aber wir nennen ihn Sri, weil es auch für Kühe leichter ist, wenn sie einen kurzen Namen haben. Wenn etwas ist, dann: 'Sri'! Und er kommt."
Autorin: "Plant ihr noch weitere Aufnahmen von Tieren, oder ist das gar nicht möglich?"
Sita: "Nein, das ist gar nicht möglich. Ich begleite nur die, das wir haben. Weil ich mir bewusst bin: Ich werde nicht jünger. Ich muss auch Zeit haben für meine Kinder, weil die sind sehr wichtig. Das Projekt mit Kühen, das ist auch Familie, aber man muss sich auch Zeit für sich selber nehmen, sodass alles funktioniert. Es müssen alle glücklich sein."
Der alte Ochse Raghu schaut in dem Moment wiederkäuend in den Himmel. Und sieht auf alle Fälle ziemlich glücklich dabei aus.
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