Tiananmen-Massaker

"Wir gingen davon aus, es sei ein Gerücht"

Nur wenige Tage nach dem Massaker: Panzer stehen am 6. Juni 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens Wache.
Was passierte wirklich bei dem Massaker in Peking? © picture alliance / dpa / Catherine Henriette
Moderation: Julius Stucke  · 04.06.2014
Vor 25 Jahren ließ die chinesische Regierung die Demokratiebewegung blutig in Peking niederschlagen. Judith von Bresinsky war damals als Studentin in der Stadt. Nach ihrer Einschätzung interessiert sich dort "heute nur noch eine Minderheit" dafür.
Julius Stucke: Tiananmen, 25 Jahre danach. Ins Studio gekommen ist Judith von Bresinsky, sie war damals als Studentin in Peking für zwei Jahre, heute arbeitet sie für den Rundfunk Berlin-Brandenburg. Schön, dass Sie hier sind, Frau von Bresinsky!
Judith von Bresinsky: Dankeschön!
Stucke: Sie haben die Nacht zum 4. Juni, als die Panzer und die Soldaten kamen, und den Tag wo erlebt?
von Bresinsky: Ich war am Vorabend des 4. Juni auf der Haupttangente kurz vor dem Tian'anmen, es fuhren keine Busse mehr, und wir sind in der Nacht zurückgelaufen, haben nicht geschlafen, weil die Gerüchte kamen, dass etwas passieren würde.
Stucke: Was war das für ein Gefühl? Angst, Entsetzen, wie haben Sie das erlebt?
von Bresinsky: Spannung. Es war von meiner Seite aus keine Angst, und ich denke, für die meisten ausländischen Studenten auch nicht, weil es nicht das erste Mal war, dass die Gerüchte kursierten, das Militär werde eingreifen, und bis dato war nichts passiert. Ganz im Gegenteil hatten sich einzelne Verbände, Militärverbände, mit den Studenten verbündet und solidarisiert. Wir gingen davon aus, es sei ein Gerücht.
Stucke: Sie waren in jener Zeit als deutsche Studentin in Peking in einem Programm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Standen Sie als Studentin an der Seite der chinesischen Studenten, oder waren Sie doch eher Beobachterin von außen?
von Bresinsky: Ganz klar, von meiner Warte aus Beobachterin von außen. Ich habe zwar viele Aktionen mit Freunden und anderen chinesischen Studenten mitgemacht, aber ich war nicht Teil der Demonstration selbst.
Stucke: Aber Sie hatten Freunde unter chinesischen Studenten?
von Bresinsky: Ja.
Stucke: Und welche Konsequenzen haben Sie dann gezogen aus dem 4. Juni?
von Bresinsky: Ich hab mein Studium abgebrochen. Und auch nachdem ich nach Berlin zurückgekehrt war, hab ich nicht mehr hier weiterstudiert.
Stucke: Und wie ist das abgelaufen, wollten Sie eigentlich noch länger bleiben?
"Die Berichterstattung war für uns sehr schwierig nachzuvollziehen"
von Bresinsky: Ich hatte den Wunsch, das war das Ideal, und ich hatte viel dafür getan, Kontakte zu knüpfen mit der dortigen Filmakademie, wäre gerne dort länger geblieben, aber als ich noch einmal zurückkehrte nach anderthalb Monaten, um meine ganzen Sachen zu holen, die dort geblieben waren, besuchte ich auch die Filmakademie, und es kannte mich niemand mehr. Es gab niemanden mehr, der dort noch arbeitete von denjenigen, mit denen ich gesprochen hatte zuvor. Sie waren alle verschickt aufs Land, und ich habe nie wieder mit einem derjenigen dort gesprochen.
Stucke: In der Betrachtung von außen haben andere Länder das Ganze ja direkt danach und auch eine ganze Weile noch ein bisschen vereinfacht dargestellt, das zeigt sich auch in dem Schlagwort, das wir benutzen: Wir sprechen ja immer von dem Massaker auf dem Tian'anmen, aber auf dem Platz selber fand es ja gar nicht statt, sondern eher in der Umgebung. Wie haben Sie denn diese Darstellung damals verfolgt?
von Bresinsky: Die Berichterstattung für uns war sehr schwierig nachzuvollziehen. Viele Informationen, die wir hatten, kamen aus Telefonanrufen mit Verwandten und Freunden in der Bundesrepublik. Zugang zu Zeitungen, Zeitschriften war schwierig, der "Spiegel" war zeitweise verboten, die "Zeit" wurde nicht ausgeliefert, chinesische Blätter berichteten gar nicht darüber, das Fernsehen war zensiert. Die Informationen waren mehr gerüchteweise, was wir mitbekamen.
PLA-Soldaten marschieren.
China demonstriert anlässlich des 25. Jahrestages Stärke.© dpa/picture alliance/epa/Rolex Dela Pena
Nach dem 4.6. wohnte ich bei jemandem, die direkt an der Chang'an, dieser Haupttangente, eine Botschaftsmitarbeiterin, ihre Unterkunft hatte, und dort konnte ich plötzlich perfekt beobachten, was dort sich zutrug. Das Bild, das sehr bekannt wurde, wo ein Student vor einem Panzer steht, das habe ich aus dem zehnten Stock eines solchen Gebäudes beobachten können. Dieses Bild ist sehr berühmt geworden.
Stucke: Aber das war eben auch nicht auf dem Platz, sondern vor dem Platz?
von Bresinsky: Das war kurz vor dem Platz, genau.
"Eine politische Bewegung mit demokratischen Forderungen interessiert heute nur sehr wenige"
Stucke: Dieser Tag ist in China ja, diese Ereignisse sind ein verordnetes Tabu bis heute. Wie viele starben, ist nicht ganz klar, wo die Toten begraben sind, das wissen eben nur wenige, wissen die Verwandten, Medien dürfen nicht an den Tag erinnern. Das ist ein gezieltes, ein verordnetes Vergessen. Glauben Sie, dass die chinesische Führung damit Erfolg haben kann, dass die Menschen dieses verordnet vergessen?
von Bresinsky: Meine Einschätzung ist, dass sich heute nur noch eine Minderheit auch von Chinesen dafür interessiert, was sich vor 25 Jahren in Peking zugetragen hat. Es war ja im Übrigen auch nicht nur Peking, es war ja eine Bewegung, die in allen großen Städten Chinas unterstützt wurde. Ich denke, eine politische Bewegung mit demokratischen Forderungen interessiert heute nur sehr wenige, es geht darum, in irgendeiner Weise den Wohlstand zu sichern.
Stucke: Halten Sie heute noch Kontakt zu Freunden von damals?
von Bresinsky: Nicht in China, nur in der Bundesrepublik.
Stucke: Judith von Bresinsky, sie war damals als Studentin in Peking, 1989. Frau von Bresinksy, ich danke Ihnen sehr fürs Gespräch!
von Bresinsky: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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