Thüringen

Notstand in Erfurts Kulturpolitik

Blick auf die Krämerbrücke in Erfurt mit ihren alten Fachwerkhäusern.
Blick auf die Krämerbrücke in Erfurt mit ihren alten Fachwerkhäusern. © picture alliance / ZB / Martin Schutt
Von Henry Bernhard · 19.04.2016
Kultur ist eine "freiwillige Aufgabe" der Kommunen und wenn Geld gespart werden muss, dann wird dort als Erstes Hand angelegt. Kultureinrichtungen und Künstler sind daran gewöhnt, so auch in der Thüringer Landeshauptstadt Erfurt. Dort wurde der kulturelle Notstand ausgerufen.
Ein Dutzend Jugendlicher probt im Theater SCHOTTE in Erfurt. Bewegungsübungen in der Gruppe. Die Schotte ist ein renommiertes Jugendtheater, schon viele Preise hat es eingespielt. Aber darum geht es gar nicht, findet die Vereinsvorsitzende Barbara Eger. Wichtig sei für die Kinder und Jugendlichen etwas anderes.
Barbara Eger: "Im Hintergrund steht die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen. Kameradschaft, vertrauen, Disziplin, Teamgeist, Freude in der Gruppe. Das lernen sie durch die kulturelle Bildung; und es hilft ihnen einfach, viel besser zurechtzukommen mit den Dingen, die auf sie einströmen."
Elf Festangestellte kümmern sich zur Zeit um 250 Kinder und Jugendliche. Aber ihre Arbeit ist gefährdet: Die Stadt Erfurt hat nach einem Viertel des Jahres immer noch keinen Haushalt, um die 25 Millionen Euro fehlen, um ihn auszugleichen. Jede Ausgabe steht auf dem Prüfstand. "Vorläufige Haushaltsführung" bedeutet: Nur vertraglich vereinbarte Leistungen werden bezahlt und das Unaufschiebbare. Für die Schotte bedeutet das:
"Also, wir bekommen von der städtischen Förderung, gemessen am Vorjahr, 73 Prozent."
Das bedeutet, dass momentan ein gutes Viertel der Förderungssumme der Stadt wegfällt. Sollte nicht bald ein Haushalt beschlossen oder Extra-Geld für die Kultur gefunden werden, muss die Schotte Konsequenzen ziehen.
"Wir sind noch nicht durch. Aber es würde wahrscheinlich heißen, dass wir die Gehälter kürzen; das ist das einzige, woran wir noch drehen können. Gehälter kürzen, Kurzarbeit."

Selbstausbeutung im Ehrenamt

Da die Kinder aber nicht unter der Haushaltsnot leiden sollen, bedeutet es konkret, dass die elf Angestellten zwar weniger verdienen werden, aber nicht weniger arbeiten.
"Selbstausbeutung, genau!"
Selbstausbeutung im Ehrenamt oder im prekären Angestellten-Verhältnis – ein weitverbreitetes Phänomen in der Kunst, gerade in der freien Szene. Dort ist Friederike Günther tätig. Sie koordiniert und überblickt die breite Szene junger Leute, die abseits der Hochkultur Konzerte und Ausstellungen organisieren, Filme drehen und Musik produzieren. In der Projektförderung, die ohnehin nur ein Viertel Prozent des Erfurter Kulturetats umfaßt, gehe es oft nur um 100, 200 €, mit denen ein Projekt gelingen oder scheitern kann, meint sie. Dabei ist die Bedeutung der letztlich preiswerten Soziokultur erheblich.
Friederike Günther: "Nach innen bedeutet sie für viele junge Leute ein Grund, zu bleiben, ein Grund, warum ihre Stadt interessant ist, ein Grund, warum sie vor die Haustür treten, ein Grund, warum sie sich vielleicht auch selber engagieren. Also da ist Soziokultur ein wichtiges Identifikationspotential für die Leute in der Stadt!"

Schweigen ist auch eine Aussage

Gut angelegtes Geld also, dass nun angesichts der versperrten und noch dazu leeren Erfurter Stadtkasse fehlt. Die Erfurter Museen und Galerien können ihrerseits in diesem Jahr nur ihre altbekannten Dauerausstellungen zeigen, für die zumeist besser besuchten Sonderausstellungen ist kein Geld da. Wolfgang Beese, SPD-Stadtrat und Vorsitzender des Kulturausschusses, hat aus all diesen Gründen für Erfurt den "kulturellen Notstand" ausgerufen. Das Einsparpotential in der Kultur sei minimal, die Möglichkeit, Schaden anzurichten, dagegen immens.
Wolfgang Beese: "Wir sind eine Stadtgesellschaft. Und Grundlage dieses Zusammenlebens sind kulturelle Dinge. Und das macht die Stadt lebenswert, und das macht sie auch schön! Und das macht sie attraktiv. Da nützt es mir auch nicht, dass man sagt, das ist eine freiwillige Leistung! In der Bildung kommt man doch auch nicht auf die Idee und sagt, 'Wir subventionieren Schulen.' Und so spreche ich auch nicht davon, dass Theater subventioniert wird oder dass Künstler subventioniert werden. Das sind völlig falsche Begriffe."
Beese fordert: Die Stadt müsse ein aktuelles Investitionsprojekt einfrieren und dafür die Kultur fördern. Das habe sich schon einmal bewährt. Weder der Oberbürgermeister noch die Kulturdezernentin sehen sich jedoch in der Lage, vor Ablauf einer Woche Stellung zum Vorwurf zu nehmen, dass in der Thüringer Landeshauptstadt der "kulturelle Notstand" ausgebrochen sei. Schweigen ist auch eine Aussage, möchte man da meinen.
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