Thüringen

Da ist Leben!

Frank Baumgarten aufgenommen am Dienstag (24.07.2012) in Kirchheiligen. Er ist der Vorsitzende der Stiftung Landleben, die die Gegend um Blankenburg, Kirchheilingen, Sundhausen, Tottleben und anderen angrenzenden Gemeinden als lebens- und liebenswerte Region erhalten und gestalten will.
Frank Baumgarten, Vorsitzender der Stiftung Landleben © picture alliance / ZB / Michael Reichel
Von Henry Bernhard · 13.02.2014
Damit die Menschen in Sundhausen, einem kleinen Dorf in Thüringen, bleiben, hat sich die Stiftung Landleben einiges ausgedacht. Unter anderem kaufte sie eine Schule und ließ altersgerechte Wohnungen bauen.
Frank Baumgarten geht die Treppe vom "Lädchen" hoch. Früher war hier der Dorfkonsum von Sundhausen, einem Ort im Norden Thüringens.
Baumgarten: "Ja, das ist so ein bisschen als Café eingerichtet worden, Bäckerei …."
Es gibt nur das Nötigste im Lädchen: frisches Brot, Fleisch, Kartoffeln, Gemüse. Der tägliche Bedarf.
"Tja, das sind die Spezialistinnen im Laden Sundhausen, im Lädchen."
Der Laden rechnet sich nicht, aber für die Alten, die nicht mit dem Auto in die Stadt zum Einkaufen fahren können, ist der Laden ein Segen. Martina Schmitter kommt hinter der Kasse vor, sie ist eine der beiden Verkäuferinnen.
"Das machen wir alles - einen richtigen 'Tante-Emma" …." Mit Tasche raustragen, mit Heimbringen, alles gehört dazu."
Frank Baumgarten ist ein großer Mann mit kräftigem Händedruck und sanftem Wesen. Er ist der Vorsitzende der Agrargenossenschaft.
"Wir finanzieren das Personal und kaufen die Waren; und die Gemeinde finanziert die Festkosten."
Es ist sehr fraglich, erzählt Baumgarten, als der Trecker passiert, ob sich die Gemeinde das noch lange wird leisten können. Aber dennoch: Sie haben ein Ziel:
"…dass die Leute hier einkaufen können. Es wär' natürlich schön, wenn alle Einwohner das nutzen würden und nicht nur das holen, was sie vergessen haben in der Stadt, sondern eher umgedreht."
"Wir übernehmen die soziale Verantwortung"
Baumgarten holt sich Zigaretten am Automaten. Er ist nicht nur Vorsitzender der Agrargenossenschaft, sondern hat auch mit Gleichgesinnten eine Stiftung gegründet. Die "Stiftung Landleben" von vier benachbarten Dörfern will Bedingungen schaffen, die junge Menschen anzieht und alte davon abhält, sich eine altersgerechte Wohnung in der Stadt zu suchen. Ein ungewöhnliches Projekt - mitten in der Provinz.
Baumgarten: "Wir sind Nachfolgeunternehmen der LPG Kirchheilingen und der LPG Sundhausen. Und wir haben nicht nur die Flächen und Produktionsstätten übernommen, sondern übernehmen auch ein bisschen noch die soziale Verantwortung hier im ländlichen Raum. Gibt schon Berufskollegen, die uns hier belächeln, weil wir ja eigentlich kapitalistisch denken sollten …."
Gerade erst haben die vier thüringischen Dörfer Blankenburg, Kirchheilingen, Sundhausen und Tottleben in Berlin einen Preis bekommen: "Kerniges Dorf" heißt er und prämiert Ideen, die Ortskerne wieder beleben. Frank Baumgarten führt über den Platz zwischen Agrargenossenschaft und stillgelegtem Bahnhof.
"Und nach der Wende lag das ganze Bahnhofsgelände dann brach, verfiel so zeitweise. Und irgendwann haben wir uns dran erinnert, was hier alles so war, und haben so ein paar kleine Highlights mit dem Kleinbahnmuseum, mit der Kleinbahnpension, mit dem Öbsterstübchen und dem Alten Speicher als Eventgaststätte dann gebaut."
Das Kleinbahnmuseum besteht nur aus einem Raum. Eine riesige Eisenbahnplatte, die die längst stillgelegte Strecke nachstellt. Gebaut von Schülern und Lehrern der Schule. Gleich nebenan stehen eine Rangierlok und ein Waggon der Reichsbahn - umgebaut zu zwei Ferienwohnungen. Das Museum ist gut besucht, die Eisenbahnpension gut gebucht - und die Leute haben etwas, auf das sie stolz sein können.
"Jungen die Chance geben, das Dorf kennenzulernen"
Auf der Fahrt durch die vier Stiftungs-Dörfer zeigt Baumgarten Häuser, die sie saniert haben, das kleine Landambulatorium, für das sie wieder eine Ärztin gefunden haben.
"Hier links ist die ehemalige Schule. Die sollte eigentlich jetzt abgerissen werden. Da hat sich jetzt auch ein junges Pärchen gefunden, mit drei Kindern, die das kaufen und sanieren wollen."
Die neue Schule hat der Landkreis vor zwei Jahren geschlossen. Die Grundschule ist heute zwölf Kilometer entfernt. Da hat die Stiftung die Schule gekauft, um sie wieder zu eröffnen.
"Wenn wir junge Leute für das Leben hier im Dorf begeistern wollen, wir ihnen auch die Chance geben müssen, das Dorf kennenzulernen, in einem Dorf aufzuwachsen, Vereinsstrukturen kennenzulernen. Das fällt halt schwer, wenn ich früh mit dem Bus halb sechs wegfahre und nachmittags halb fünf wiederkomme.
"Da ist er doch, der Bürgermeister! Der ist einer der Erstinitiatoren."
In Sundhausen spaziert Bürgermeister Jürgen Ehrlich durchs Dorf.
"Hast Du Zeit, Jürgen, noch?"
Jürgen Ehrlich: "Ich habe immer erleben müssen - auch zu DDR-Zeiten: Ich bin seit 1984 Bürgermeister - wenn ich alte Leutchen verabschieden musste ins Altersheim … bin ich zur Beerdigung gegangen, weil die Leute ihre Heimat vermisst haben."
Baumgarten: "Liebe Helga, wir sind's nur! "
"Wichtig, dass wir nicht in die Stadt müssen"
Ein paar Häuser ist das Vorzeigeprojekt der Stiftung "Landleben": 4 altersgerechte Wohnhäuser.
Baumgarten: "Komm her, soll ich dir was abnehmen?"
Nur gut 50 Quadratmeter groß, ebenerdig, ohne Türschwellen, mit Fußbodenheizung und einem großem Bad, in das auch der Rollator passt. Helga Walther hat zuvor ein paar Straßen weiter gewohnt. Eine sehr lebendige, alte Dame.
Walther: "Ich wohne nun schon über ein Jahr hier!"
Autor: "Wo haben sie vorher gewohnt?"
"In einem alten Bauernhof."
"Warum sind sie da raus?"
"Weil ich ihn nicht mehr halten konnte! Und weil er dann langsam zusammenfällt. Wenn man alleine ist, ist das so!"
Baumgarten: "Gerade für Frau Walther war es entscheidend, dass sie die Aktivitäten, die sie hier im Dorf macht, weiter beizubehalten."
Walther: "Ich geh' immer noch viel fort; wir gehen zum Singen; wir gehen zum Rentnertreff; wir gehen zum Kartenspielen; wir gehen zum Sport!"
Ingrid Streibel: "Wir gehen zum Kaffeetrinken!"
Walther: "Und wir gehen zum Kaffeetrinken, also …"
Ingrid Streibel, ihre Nachbarin, ist aus der Stadt hierher gezogen, wo ihre Söhne sich besser kümmern können. Von der nötigen Infrastruktur haben die beiden Damen sehr genaue Vorstellungen.
Walther und Streibel: "Arzt, Apotheke, einen Schönmacher, den muss man haben. Fleischer und Bäcker. Und einen Bäcker haben wir hier. Und die Sparkasse haben wir hier; das ist auch ganz wichtig für uns, dass wir nicht in die Stadt rein müssen. Und das Bestattungsinstitut, das ist auch bei uns!"
Streibel: "Also alles da! Sie lachen - aber wir nehmen's mit Humor, das Leben!"
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