Thriller "Berlin Falling" von Ken Duken

"Ich wusste, ich darf überhaupt keine Kontrolle mehr haben"

Der Schauspieler Ken Duken auf einer Gala für seinen Film "Berlin Falling", die im Rahmen des Filmfests München im Gasteig stattfand.
Ken Duken auf dem Münchner Filmfest 2017 © picture alliance / dpa / Felix Hörhager
Ken Duken im Gespräch mit Patrick Wellinski · 08.07.2017
Jahrelang hat der Schauspieler Ken Duken bei der Produktion von Musikvideos das Regieführen geübt. Jetzt kommt sein Spielfilm-Debüt "Berlin Falling" ins Kino. In dem Thriller spielt er auch die Hauptrolle - und ist dabei über sich hinaus gewachsen.
Patrick Wellinski: Genrekino aus Deutschland, das ist immer noch eine Seltenheit, und manche würden sagen: ein Paradox. Aber wie wir während des Filmfests in München ja schon besprochen haben: Gerade junge Regisseure trauen sich derzeit immer häufiger an Genrestoffe heran. Und das gilt auch für den Schauspieler Ken Duken, der mit "Berlin Falling" sein Regiedebüt präsentiert. Es ist die Geschichte einer Entführung und eines geplanten terroristischen Anschlags in Berlin. An Weihnachten nimmt der Exsoldat Frank den stillen Andreas in seinem Auto mit. Doch schon bald entpuppt sich dieser Beifahrer als recht teuflischer Weltverschwörer.

Wellinski: Regisseur, Produzent und Hauptdarsteller Ken Duken hat uns gestern im Studio besucht und ich konnte ihn gleich eingangs fragen, ob es von ihm schon ein lang angelegter Plan war, jetzt endlich Regie zu führen oder ob das Debüt nun eher ein Ergebnis einer spontanen Entscheidung war.
Ken Duken: Sagen wir es mal so, seit 2003 mache ich Regie, was die wenigsten Leute wissen. Viele Musikvideos, Kurzfilme, Werbung, ich glaube, ich weiß nicht genau, wie viele, aber 16, 17, 18 Musikvideos. Das war so ein bisschen meine Filmhochschule. Und das war eigentlich immer der Drang und Wunsch, selber einen Film zu machen, aber als Filmemacher. Ist in vielen Ländern auch gar nicht so unüblich, dass Schauspieler auch mal hinter die Kamera rutschen. Aber ich bin, glaube ich, als Regisseur immer – oder war oder bin, keine Ahnung – einfach fast noch kompromissloser als Schauspieler. Weil man als Schauspieler natürlich eine Vision zusammen mit einem Regisseur entwickeln kann, aber ab einem gewissen Punkt muss man abgeben, muss man vertrauen, muss man fallenlassen. Und genau auch dieses andere, das hat mich immer mal gereizt, mal wirklich den Film so machen zu können, wie man ihn selber sieht.
Wellinski: Das Extreme zeigt sich vielleicht auch darin, dass das Genre, das Sie sich für Ihr Spielfilmdebüt ausgewählt haben, eben nicht das ist, was viele Debutanten sich nehmen. Also, meistens sind es Beziehungskomödien oder Coming-of-Age-Dramen. Ihres ist ein schon sehr harter Genrethriller. Wie kam denn die Idee zu "Berlin Falling" zustande?

"Wir erzählen einen kaputten Helden, einen zerstörten Menschen"

Duken: Ich glaube, dass ich das Thema gar nicht wirklich ausgesucht habe, sondern das Thema mich. Ich habe an drei, vier sehr, sehr unterschiedlichen Stoffen gearbeitet, entwickelt, die Idee kam mir irgendwann. Ich habe sie meinem Kollegen Norbert Kneißl erzählt, der hat die Idee wiederum weitergegeben an die Wolfpack-Jungs, unsere Koproduzenten, die haben Christoph Mille und seinen Drehbuchautoren ins Spiel gebracht. Das entwickelte sich so ein bisschen mit der Grundidee, kurz nach der Grundidee war Charlie Hebdo. Dann haben wir diesen Stoff entwickelt und wir haben gemerkt, dass die Thematik, die wir da beschreiben wollten, immer realer geworden ist. Und irgendwann war klar, wir machen diesen Film jetzt oder nie. Und dann hat sich das so verselbstständigt.
Wellinski: Interessant ist ja auch die Figurenzeichnung. Also, im Kern geht es um zwei Figuren, die eigentliche Hauptfigur ist aber Frank, ein deutscher Soldat, der traumatisiert aus dem Afghanistan-Krieg oder -Einsatz zurückkommt. Er ist auf dem Weg mit dem Auto nach Berlin, um seine Tochter endlich mal wieder zu sehen, und er hofft, wenn er sie dann in den Armen hat, dass er das ganze Trauma auch mal hinter sich lassen kann. Warum war es Ihnen so wichtig, dass diese eine zentrale Hauptfigur, dass dieser Frank eben diesen Soldatenhintergrund hat?
Duken: Dieser Soldatenhintergrund ist primär gar nicht wichtig für den Verlauf der Geschichte, sondern für die Emotionalität der Figur. Wir erzählen einen gefallenen Helden, wir erzählen einen kaputten Menschen, den die Gesellschaft heutzutage so gar nicht wahrnimmt. Weißt du, wenn ein Bein fehlt oder ein Arm fehlt, dann können die Leute sofort nachvollziehen, aber dass dieser Mensch zerstört ist, dass er mittlerweile an seinem Alkoholismus zerbricht, dass er kaputtgeht, dass er seine Frau verloren hat, seine Tochter verloren hat. Er gibt praktisch dieses perfekte Bild ab, was die Gegenseite braucht für diesen manipulativen Plan, den die haben. Aber die täuschen sich. Und genau darum geht es in diesem Film. Und dieses Über-sich-Hinauswachsen, wie weit geht man für das Leben seiner Tochter, ohne vielleicht das aus einem klischeehaften Actionfilm zu kennen, sondern mit diesen Elementen zu spielen. Vielen Leuten wird die politische Aussage des Films erst im Nachhinein bewusst und genau das war das, was wir erreichen wollten.
Wellinski: Sie haben das ja schon ein bisschen erwähnt, Sie haben sehr viele Aufgaben übernommen, Regie, Produzent letztendlich, auch am Drehbuch haben Sie mitgeschrieben, die Hauptrolle. Wie war denn die Erfahrung, sich selbst zu inszenieren? War das schwer? Weil, es fällt ja auch so ein bisschen die Kontrollinstanz weg, wenn ein Regisseur Sie führt, wahrscheinlich?

"Habe nach diesem Film noch freier aufgespielt als davor"

Duken: Genau, es war irgendwie sehr spannend, ich hatte Angst davor. Aber ich habe gemerkt: Als Schauspieler hat man über die Jahre diese ganzen Netze und doppelten Böden und Sicherheitsseile irgendwie losgelassen. Also, man muss sich fallenlassen, man muss einfach, wenn man was Besonderes oder was Ehrliches erzeugen will…Es ist ja nicht lügen und darstellen, es ist ja in dem Moment sein, Figuren glaubhaft darzustellen, da muss man sich von diesen Kontrollen lösen. Und in dem Moment, wo ich gespielt habe und inszeniert habe, wusste ich, ich darf überhaupt keine Kontrolle mehr haben, sonst schaffe ich das nicht, sonst fahre ich das gegen die Wand. Und habe eigentlich plötzlich so letztendlich Sicherheitsseile entdeckt, die ich gar nicht gewusst habe, dass sie da sind, also, dass irgendwas noch ist, was mich hält, und so die letzte Kontrollinstanz irgendwie von mir verlangt hat, nein…
Und ich dann einfach nach zwei, drei Tagen gemerkt habe, die müssen auch weg, sonst geht es nicht. Und habe losgelassen und irgendwie war es dann auch über so ein Vertrauen, dass ich mir selber gedacht habe: Egal, was Ken jetzt als Schauspieler hier verbockt und was für eine Scheiße ich zusammenspiele, wenn es Kacke ist, wird es nicht im Film sein! Und das hat mir komischerweise auch über die Dreharbeiten danach hinaus geholfen. Also, ich habe das Gefühl, dass ich nach diesem Film noch freier aufgespielt habe als davor.
Wellinski: Deutscher Genrefilm ist ein problematisches Wortkonstrukt, schon auf der Leinwand.
Duken: Paradoxon!
Wellinski: Paradox, das kann man schon sagen! Ich habe immer das Gefühl: Der Wunsch und der Wille und die Sehnsucht, sowohl nicht nur bei der Kritik, aber auch bei den Filmemachern, auch bei Schauspielern, die ist da, aber im Kino scheint das irgendwie so ein Fremdkörper zu sein. Und das Tolle an "Berlin Falling" ist an dieser Stelle, dass der Film auch visuell versteht, was Genre bedeutet. In dem Fall ist das ein Thriller, der wirklich versteht, dass der Ort der Handlung sehr wichtig ist. Sie schließen uns ja immer wieder ein, der Großteil spielt in einem Auto, das ist schon ein sehr begrenzter Ort, später, wenn es vielleicht raus aus dem Auto geht, sind es auch nicht Orte, wo man so durchatmen kann visuell, wo es große Räume gibt, da ist es auch wieder eng. Wie wichtig war Ihnen, dass "Berlin Falling" auch ein klaustrophobisches Gefühl vermittelt?
Duken: Ich glaube, dass der Unterschied zwischen "wir setzen zwei Leute ins Auto" und wirklich einer klaustrophobischen Stimmung ist die Erzählweise. Aber ich wusste, ich will das so konsequent erzählen wie nur möglich. Und das geht nur durch Bewusstseinsführung, also, das Bewusstsein ist bei Frank und wir sind bei Frank. Und auch, wie wir das erzählt haben, visuell, dass man am Anfang noch ein bisschen diese Distanz wahrt, dann durch diese Bremsung rutscht man ins Auto, man bleibt in diesem Auto und man kann auch nicht raus, weil, Frank kann nicht raus.
Und irgendwann, wenn sich die Fenster öffnen und wenn diese Kamera versucht, Franks Bewusstsein… Er will ja raus und wird immer wieder reingesaugt, das ist alles visuell thematisiert. Und auch diese ganzen filmischen Elemente, die sonst so willkürlich zusammengeschmissen werden oft bei Genrefilmen, wollten wir eben bewusst und gezielt setzen. Also, die Tonebene hat ein Eigenleben, das Auto hat ein Eigenleben, die Musik, wir haben ein bisschen eine Mischung noch komponiert, also, wir haben in der Mischung noch bestimmte Instrumente rausgenommen, in Musikstücken versetzt, einfach um diese Stimmung hinzukriegen.

Zeigen, wie Ängste uns manipulierbar machen

Wellinski: Wie sehr der Film jetzt auch vielleicht in der Gegenwart verankert ist, das ist etwas, wo man auch keinen Einfluss hat. Irgendwie kann man schon sagen, dass "Berlin Falling" ziemlich heftig von der Gegenwart eingeholt worden ist.
Duken: Erschreckend, leider.
Wellinski: Ja, Weihnachtszeit, ein Auto wird entführt, ein Attentat in der Hauptstadt, da ist natürlich irgendwie der Breitscheidplatz mit dem Anschlag vom 19. Dezember im letzten Jahr irgendwie da. Ist schon klar, der Film war zwei Jahre davor in der Produktion, das ist keine Reaktion.
Duken: Das Absurde ist, wir haben an dem Tag die Premiere gehabt, also, nicht die Premiere, aber das Teamscreening. Wir haben das erste Mal…
Wellinski: An dem Tag des Anschlags!
Duken: … am 19. Dezember ein paar Hundert Meter vom Breitscheidplatz diesen Film dem Team gezeigt.
Wellinski: Wie geht man eigentlich jetzt damit um, dass das einfach in der Welt ist, dass man einen Film gemacht hat, der jetzt quasi von der Realität so eingeholt worden ist?
Duken: Ja, wir sind, glaube ich, nicht nur von der Realität eingeholt, sondern wir sind jetzt genau in dem Moment, den ich eigentlich die ganze Zeit versucht habe, in diesem Film anzudeuten. Es geht gar nicht nur um einen Terroranschlag. Der steht im Vordergrund. Aber das, was dieser Terroranschlag mit uns macht, und diese Ängste und diese Emotionalisierung, die wir dann dadurch natürlich empfinden, die wird sehr schnell genommen und instrumentalisiert. Und wir sind dadurch manipulierbar. Und genau davor will ich natürlich warnen, und ich will nicht mit dem Fingerzeig warnen, sondern ich will den Leuten wirklich das Gefühl der Angst vermitteln, damit ich ihnen auch in diesem Kontext zeige, wie wir manipulierbar sind.
Wellinski: Kino als Seismograph der Gesellschaft, kann man jetzt sagen. Regisseur, Hauptdarsteller, Produzent und Ideengeber des Films war Ken Duken, er war bei mir zu Gast, vielen Dank für den Besuch!
Duken: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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