Thomas Søndergård und das Dänische RSO

Mozart, von Sibelius umrahmt

Der Dirigent mit Taktstock bei einer bedeutungsvollen Geste Richtung Orchester.
Der Dirigent Thomas Søndergård ist Generalmusikdirektor des Royal Scottish National Orchestra. © homas Søndergård / Andy Buchanan
Moderation: Volker Michael · 03.11.2020
Der dänische Dirigent Thomas Søndergård liebt die Musik von Jean Sibelius. Deshalb packt er Mozarts schaurig-schönes d-Moll-Klavierkonzert mit zwei Werken des finnischen Meisters ein, mit dem "Schwan von Tuonela" und der zweiten Sinfonie. Es spielen das Dänische RSO und Kirill Gerstein.
Wir setzen an in dieser Sendung unsere lockere Folge mit Konzertaufnahme aus Kopenhagen fort – und wieder ist es ein abwechslungsreiches und vollgültiges Musikprogramm, das Sie hier erleben können.
Am 24. September zum Beginn der Saison 2020/21 waren im Konzerthaus von Danmarks Radio der Dirigent Thomas Søndergård und der Pianist Kirill Gerstein zu Gast, eingeladen vom Dänischen Nationalen Sinfonieorchester. Dänemark ist eines der wenigen Länder, die derzeit Konzerte im halbwegs normalen Umfang zulassen.

Sibelius mit Mozart kombiniert

Drei Werke standen auf dem Programm – Jean Sibelius hat dabei das erste und letzte Wort. Am Ende gibt es seine weitausladende zweite Sinfonie. Das traditionelle Solistenkonzert steuert Wolfgang Amadeus Mozart in diesem Falle bei - mit seinem Klavierkonzert d-Moll KV 466, das die Ordnungszahl 20 trägt.
Nachkolorierte Fotographie des sitzenden Komponisten, der etwas grimmig zur Seite schaut.
Jean Sibelius studierte ein Semester in Wien und kam damit Mozart geographisch sehr nahe.© imago images / Leemage
Der Abend beginnt mit einem Ausschnitt aus der Lemminkäinen-Suite von Jean Sibelius, dem berühmtesten Teil dieser Dichtung, nämlich dem "Schwan von Tuonela".
Jean Sibelius steht mit seiner Kunst für das finnische Streben nach Eigenständigkeit wie auch für die europäische Musikkultur schlechthin. Und zum Unabhängigkeitsstreben eines Landes gehört immer auch eine mythische Erzählung. Die heißt im Falle Finnlands Kalevala und ist ein Konglomerat aus symbolträchtigen Geschichten.

Der weiße Vogel bewacht die Toteninsel

Der Schwan von Tuonela – dieses heilige Tier bewacht die Toteninsel Tuonela. Lemminkäinen will ihn töten – das soll eine Heldentat sein, doch er wird selbst von einem blinden Mann getötet.
Der knapp zehn Minuten dauernde Satz über den Schwan ist also nur ein kleiner, sehr melancholischer Ausschnitt aus dem Werk. Ein weißer Schwan spielt eine große Rolle in den Kindheitserinnerungen des Komponisten. Sein früh verstorbener Vater hatte ihn, den kleinen Janne, auf den Schoß genommen und ihm einen weißen Schwan in einem Bilderbuch gezeigt.

Mozart gegen den adligen Luxus

Im Zentrum des Konzertabends in Dänemarks Hauptstadt stand das Klavierkonzert d-Moll KV 466 von Mozart. Mit der düsteren Tonart und einem ausladenden Orchestersatz – als quasi sinfonisches Konzert wird es gern bezeichnet.
Wolfgang Amadeus Mozart auf einem posthumen Gemälde von Barbara Krafft, 1819
Wolfgang Amadeus Mozart auf einem posthumen Gemälde von Barbara Krafft, 1819.© imago / Gesellschaft der MusikfreundeWien
Mozart hat damit etwas Neues geschaffen – ihm ging es um die Emanzipation des Genres Orchestermusik gegenüber der Oper – und des bürgerlichen Konzerts gegenüber der adligen Luxusveranstaltung.

Extravante Klavierrolle

Wie aktuell scheint uns heute dieses kulturelle Selbstbewusstsein des Komponisten Mozart! Das Soloklavier soll trotz einer starken Rolle, die das Orchester spielt, glänzen können. Deshalb gibt es gleich zwei Kadenzen in diesem Konzert.
Der Solist in Kopenhagen war der russisch-amerikanische Pianist Kirill Gerstein. Er hat sich für eine nicht so häufig anzutreffende Lösung in der Frage dieser Kadenzen entschieden, wie er im dänischen Rundfunk erklärt hat.
"Für dieses Konzert gibt es keine Kadenzen von Mozart selbst. Deshalb haben so viele andere ihre Kadenzen geschrieben, Carl Reinecke wird oft gespielt, Clara Schumann hat welche geschrieben, ich mag die von Ferruccio Busoni sehr. Ich spiele die Musik dieses italienischen Komponisten und Pianisten sehr häufig.
Der Pianist sitzt neben seinem geschlossenen Flügel und ist von Schattenspielen umgeben.
Kirill Gerstein liebt das Improvisieren am Klavier.© Kirill Gerstein / Marco Borggreve
Er empfand eine zunehmende Zuneigung zu Mozart, je älter er wurde. In den 1910er und 20er Jahren. Er hat für mehrere Mozartkonzerte Kadenzen geschrieben. Darunter die für den ersten und dritten Satz des d-Moll-Konzerts. Sie sind sehr gut und interessant und werden selten gespielt. Deshalb wollte ich sie in unsere Aufführung einbeziehen."

Im Geist der Improvisation

Kirill Gerstein hat im Dänischen Rundfunk auch erzählt, dass er sich intensiv mit Jazz-Musik beschäftigt hat, drei Jahre umfasste sein Studium dieser Richtung in den USA - und immer wieder arbeitet er an seinen improvisatorischen Fähigkeiten.
Den Geist der Improvisation möchte er unbedingt auch in das an sich voll durchnotierte Mozart-Klavierkonzert hineintragen. Der ist prinzipiell dort auch vorhanden – dass Mozart selbst keine Kadenzen überliefert hat, könnte ein Hinweis sein – "Pianistinnen und Pianisten, lasst Euch spontan inspirieren!", ruft Mozart ihnen zu.

Sibelius verspricht Klarheit und moderne Schönheit

Bis heute landen alle, wenn sie an finnische Musik überhaupt denken, bei diesem Namen: Jean Sibelius. Er steht wie ein Versprechen für Klarheit, Schönheit und eine besondere Form von Modernität. In seiner zweiten Sinfonie erreichte Sibelius ein neues Stadium – darin hat er quasi seinen eigenen Stil vollends ausgearbeitet.
Ohne dabei aber seine Wurzeln zu verleugnen, die große Tradition der russischen, österreichisch-deutschen und französischen Orchestermusik. Er hat der großen Gattung herbe Themen, melancholische Wendungen, introvertierte Gesänge und hehre Fanfaren beigegeben und neuen Atem eingehaucht.
Konzerthaus von Danmarks Radio, Kopenhagen
Aufzeichnung vom 24. September 2020
Jean Sibelius
"Der Schwan von Tuonela" aus der "Lemminkäinen"-Suite op. 22
Wolfgang Amadeus Mozart
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 20 d-Moll KV 466
Jean Sibelius
Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 43

Kirill Gerstein, Klavier
Dänisches Nationales Symphonie-Orchester
Leitung: Thomas Søndergård

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