Thomas Kunst: "Zandschower Klinken"

Ein norddeutsches Nest als Insel der Widerspenstigen

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Zu sehen ist das Cover des Buches "Zandschower Klinken" von Thomas Kunst.
Schräger Aussteigerroman mit dadaistischem Beat und einer Schlagseite in Richtung Prosagedicht: "Zandschower Klinken" von Thomas Kunst. © Deutschlandradio / Suhrkamp
Von Frank Meyer · 19.02.2021
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Eine eigentümliche Gemeinschaft schottet sich in einem fiktiven Dorf ab, das kaum mehr zu bieten hat als einen Feuerlöschteich. In rhythmischer Sprache entfacht der Lyriker Thomas Kunst ein Gewitter bizarrer Ideen und landet dabei auch auf Sansibar.
So kann man das natürlich auch machen: Claasen will dort ein neues Leben anfangen, wo das Hundehalsband vom Armaturenbrett seines Autos herunterfällt. So kommt er nach Zandschow, in ein Nest im äußersten Norden. Außer einem Feuerlöschteich und Getränke-Wolf gibt es da nicht viel. Aber Thomas Kunst macht aus diesem Dorf eine Anschlussstelle zur Welt. "Zandschower Klinken" ist alles andere als ein üblicher Roman.
Claasen ist keine wirkliche Figur, eine Handlung zeigt sich nur in umherfliegenden Splittern und in chaotischer Chronologie. Dafür gibt es aber: eine Flut von Einfällen, Assoziationsgewitter, dadaistische Schübe, ausgiebige Wiederholungen. Wie die früheren Romane des Lyrikers Thomas Kunst hat auch dieser eine Schlagseite in Richtung Prosagedicht. In der verwirrenden Musik dieser Prosa steckt dann aber doch eine ganze Menge an Geschichten.

Insel der Widerspenstigen

"Zandschow ist Sansibar", behauptet der Roman. Das stimmt, weil die Sonnenbank im Lager von Getränke-Wolf auch die Lichtanimation "Sansibar, Apfelblüten" zu bieten hat, weil der Roman immer wieder zur Revolution in Sansibar im Jahr 1964 herüberblendet und weil Zandschow wie Sansibar eine Insel der Widerspenstigen zu sein scheint.
Eine andere Wahlverwandte Zandschows ist North Sentinel Island im Indischen Ozean. Die auf der Insel lebenden Sentinelesen lehnen bis heute jeden Kontakt mit der Außenwelt ab und vertreiben Anlandende mit teils auch tödlicher Gewalt.
Ein Echo dieser Praxis findet sich auch bei den Zandschowern und ihren Abwehrmitteln gegen Unliebsame: "Auch mit einer Armbrust kann man dem politischen Gegner auf dem Lande Bewegungsangebote unterbreiten."

Norddeutscher Antikolonialismus?

Ist das nun norddeutscher Antikolonialismus? Oder schlicht Fremdenfeindlichkeit? Einer der wiederkehrenden Sätze in dem Roman heißt "Wir halten es für sinnvoll, unsere Umgebung vor Fremden und Touristen zu schützen."
Ganz am Ende des Romans formuliert Thomas Kunst eine Art Programm für die eigentümliche Gemeinschaft, die in seinem fiktiven Dorf zusammenlebt: "Freude und Genussfähigkeit, die sich auf Armut und Fantasie gründen."

Rhythmisch pulsende Sprache

Kunst hat in einigen erfrischend grellen Ausfällen gegen die vorherrschende, realitätsabhängige Prosapraxis gewettert. Dass es Alternativen dazu gibt, das zeigt dieser Roman mit seiner irritierenden, flimmernden, rhythmisch pulsenden Sprache und seinen bizarren Ideen.
Durch das Buch klingt auch eine Literaturgeschichte der Abweichung. Der österreichische Sprachexperimentator Andreas Okopenko geistert durch den Roman, die zarte Unverschämtheit dieser Prosa kann an Robert Walser denken lassen. Das norddeutsche Reh, das bei Thomas Kunst nach Kolumbien auswandert und dort seinen Taxischein macht, ist womöglich ein Gruß an Joachim Ringelnatz und sein Reh aus Gips.

Thomas Kunst: "Zandschower Klinken"
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021
254 Seiten, 22 Euro

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