Thomas Galli: „Weggesperrt – Warum Gefängnisse niemandem nützen“

Mehr Verantwortung, weniger Gitter

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Cover des Buchs "Weggesperrt: Warum Gefängnisse niemandem nützen" von Thomas Galli.
Straftäter sollten echte Wiedergutmachung für ihre Taten leisten, fordert Thomas Galli. © Edition Körber
Von Peggy Fiebig · 25.07.2020
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Haftanstalten sollen Gefangene zu einem sozialen Leben ohne Straftaten befähigen. Soweit die Theorie. In der Praxis funktioniere das aber nicht, argumentiert der Jurist und Kriminologe Thomas Galli und fordert Alternativen zur Haftstrafe.
Thomas Galli weiß, wovon er spricht. Man merkt ihm seine langjährige Erfahrung im Strafvollzug an. 15 Jahre lang war der Jurist und Kriminologe in Gefängnissen tätig, zuletzt als Leiter der Justizvollzugsanstalt Zeithain in Sachsen. Ungeschminkt erzählt er vom deutschen Gefängnisalltag und erklärt, warum die Ziele des "Wegsperrens" unter den derzeitigen Bedingungen nicht erreicht werden.
Viel zu sehr würde sich die Gesellschaft beim Strafen vom Gedanken der Schuld, Vergeltung und Buße leiten lassen, sagt Galli. Das aber schade allen – den Opfern, deren Interessen vernachlässigt werden, den Tätern, die eben nicht resozialisiert und auf ein straffreies Leben vorbereitet werden, und der Gesellschaft, der eine vermeintlich höhere Sicherheit vorgegaukelt wird.
Denn darüber sind sich Kriminologen seit langem ziemlich einig: Gefängnisstrafen mindern kaum die Zahl der Rückfälle und wirken auch nur wenig abschreckend für andere potentielle Straftäter. Und indem man Straftätern die sozialen Kontakte draußen weitgehend kappt und jeden einzelnen Schritt am Tag vorgibt, verhindert man, dass sie es lernen, sich nach Haftende selbstverantwortlich wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Dabei wäre genau dies das Ziel.

Galli fordert "Verantwortung statt Schuld"

Natürlich will Galli Gefängnisse nicht ganz abschaffen, ohne Alternativen vorzuschlagen. Denn die Ziele des Strafvollzugs – Gerechtigkeit, Resozialisierung und Sicherheit – seien ja grundsätzlich sinnvoll, sagt der Jurist. Das Gefängnis als totale und geschlossene Institution könnte und sollte aber durch dezentrale und offenere Formen des Freiheitsentzuges ersetzt werden.
Im Jugendstrafvollzug gibt es solche Ansätze bereits: In Sachsen und Baden-Württemberg wurden Einrichtungen geschaffen, in denen jeweils fünf bis sieben Jugendliche in Wohngruppen ihre Strafe absitzen. Unter einem Dach mit den "Hauseltern", ohne Mauern, ohne Stacheldraht und ohne bewaffnete Wachleute. Die jungen Gefangenen sollen so ein positives Sozialverhalten eintrainieren und erlernen.
So etwas könnte sich Galli entsprechend angepasst auch für den Erwachsenenvollzug vorstellen. Wenn möglich sollen familiäre Kontakte erhalten bleiben können. Und bei leichteren Straftaten könnte ein mit der Fußfessel überwachter Hausarrest den geschlossenen oder offenen Vollzug ersetzen. Wir müssen grundsätzlich umdenken, sagt der frühere JVA-Leiter und fordert "Verantwortung statt Schuld".
Gemeint ist damit, dass Straftäter mehr Verantwortung für ihre Taten übernehmen und echte Wiedergutmachung leisten sollten. Idealerweise so, dass auch Opfer etwas davon haben. So könnte ein Betrunkener, der an einem illegalen Autorennen teilgenommen hat, in einer Unfallklinik arbeiten. Wer Steuern im großen Stil hinterzogen hat, könnte an einem staatlichen Kindergarten aushelfen. Galli gibt in seinem Buch zahlreiche Beispiele, wie sich Lebensläufe verändern könnten, wenn man darauf verzichtet, Straftäter komplett aus der Gesellschaft herauszunehmen und wegzusperren.

Weiterhin "lebenslang" für schwerste Fälle

Allerdings weiß auch Galli, dass es natürlich Taten und Täter gibt, für die eine Wiedergutmachung gar nicht möglich ist. Bei schweren Straftaten und gemeingefährlichen Tätern müsse es deshalb auch weiterhin die Möglichkeit geben, die Freiheit gegebenenfalls bis zum Ende des Lebens zu entziehen. Allerdings soll sich auch hier der Vollzug der Strafe ändern, meint Galli.
Innerhalb gesicherter Wohnanlagen sollen sich diese Gefangenen selbstbestimmt bewegen können, hier aber natürlich unter der Aufsicht von Justizbeamten. Und was in den Arbeitsbetrieben der Einrichtungen erwirtschaftet wird, sollte den Opfern oder Opferorganisationen zu Gute kommen. Denn deren Interesse bleiben im jetzigen System noch zu oft außen vor. Und auch für die Allgemeinheit wäre dieses Modell deutlich günstiger, rechnet Galli in seinem Buch vor.

Thomas Galli: "Weggesperrt – Warum Gefängnisse niemandem nützen"
Edition Körber, Hamburg 2020
312 Seiten, 18 Euro

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