Thomas Bernhard

"Wie hasse ich diese mittelgroßen Städte"

Der österreichische Roman- und Theaterautor Thomas Bernhard, aufgenommen im Juni 1976.
"Städtebeschimpfungen" - gesammelt aus Dramen, Prosa und öffentlichen Äußerungen. © pa / dpa / Votava
Von Georg Gruber · 09.04.2018
Thomas Bernhards "Städtebeschimpfungen" gibt es nun als wunderbares Hörbuch, gelesen von Peter Simonischek. "Wien ist mir verhasst" - aber auch andere Städte zogen den Zorn des Schriftstellers auf sich und mussten sich als Nazinester oder Lechkloake bezeichnen lassen.
Ich weiß schon warum ich in Altaussee
keine Luft bekomme
es ist nicht nur wegen der Berge
es ist wegen der vielen Nazis
die dort ansässig sind
Das Florett war seine Sache nicht, Thomas Bernhard griff lieber zum Vorschlaghammer, besonders wenn es um seine Heimat Österreich ging. Dafür wurde er geliebt und geschmäht – als Nestbeschmutzer.
Die schönsten Gegenden Österreichs
haben immer die meisten Nazis angezogen
Salzburg Gmunden Altaussee
das sind nichts als Nazinester

Beschimpfungen weit über Österreich hinaus

"Städtebeschimpfungen" versammelt - alphabetisch geordnet - Ausschnitte aus Bernhards Werken, aus Dramen, Prosa und öffentlichen Äußerungen. Weit über die Grenzen Österreichs hinaus:
Ist Ihnen aufgefallen
daß nirgends auf der Welt so viele Krüppel herumlaufen
wie in Lissabon
an jeder Ecke ein vom Krebs überwuchertes Gesicht
abgestorbene Nasen angefressene Ohren
in Lissabon regieren die Krankheiten
Der großartige Peter Simonischek, der als Schauspieler selbst schon Bernhard-Stücke interpretieren durfte, kostet jede Silbe dieser Beschimpfungen aus.
Gibt es denn in Augsburg
überhaupt einen Arzt
einen Rheumaspezialisten
in diesem muffigen verabscheuungswürdigen Nest
in dieser Lechkloake
Schön ist es, dann auch die gekränkten Reaktionen auf diese wüsten Polemiken hören zu können – gesprochen mit leicht ironischem Unterton vom ebenfalls Bernhard-erfahrenen Michael König. So beschwerte sich der Augsburger Oberbürgermeister Hans Breuer 1974 bei Siegfried Unseld, dem Suhrkamp-Chef, persönlich über die Herabwürdigung seiner Stadt in dem Theaterstück "Die Macht der Gewohnheit":
"In diesem Stück wird – wenn Presse und Rundfunk aus der Aufführung richtig zitieren – die Stadt Augsburg als muffiges und verabscheuungswürdiges Nest diffamiert und es werden die Augsburger als die am schlimmsten abstoßend riechenden unter allen Zirkuszuschauern beschimpft. Das scheinen mir selbst für eine Komödie doch allzu bitterböse Worte, die Herr Bernhard auch mit dem Hinweis auf die Freiheit eines Autors nicht rechtfertigen könnte."

Stets verachtete er das Provinzielle

Selbst wenn der Schriftsteller in eine Stadt reiste, um dort mal wieder einen Preis entgegenzunehmen, stimmte ihn das nicht milder – es blieb bei der Verachtung für alles Provinzielle:
"Wie hasse ich diese mittelgroßen Städte mit ihren berühmten Baudenkmälern, von welchen sich ihre Bewohner lebenslänglich verunstalten lassen. Kirchen und enge Gassen, in welchen immer stumpfsinniger werdende Menschen dahinvegetieren. Salzburg, Augsburg, Regensburg, Würzburg, ich hasse sie alle, weil in ihnen jahrhundertelang der Stumpfsinn warmgestellt ist."
Peter Simonischek so zu hören, ist wirklich ein Vergnügen, auch weil Polemiken per Definition nicht gerecht, gut begründet oder ausgewogen sein müssen. Und Städtebeschimpfungen als Mittel der Abgrenzung und eigenen Identitätsfindung sind ja auch heute noch populär: Wer schimpft nicht gerne über München oder Berlin. Diese hier sind zudem ein Zeitdokument und bilden, wenn man die ausgewählten Textstellen so interpretiert, als seien sie alle mit der Meinung des Schriftstellers identisch, eine schöne Charakterstudie. Hier gefällt sich einer als Außenseiter, der keine Heimat hat:
"Wien ist mir verhasst. Die Stadt ist darauf angelegt, dass sie die ihr in die Falle Gegangenen aussaugt und solange aussaugt, bis sie tot umfallen."
Thomas Bernhard starb im Februar 1989. Interessant wäre es, ihn heute zu hören, und seine Gedanken über Städte wie Wien, Berlin - oder Dresden.

Thomas Bernhard: Städtebeschimpfungen
Gelesen von Peter Simonischek und Michael König
3 CD, der Hörverlag 2018, Länge 3h 8min, 18 Euro