Katajun Amirpur: Den Islam neu denken. Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte
Verlag C.H. Beck
256 Seiten, 14,95 Euro
Denken, was vielerorts nicht denkbar ist
In unserer vierteiligen Serie über islamische Theologinnen und Theologen an deutschen Universitäten geht es heute um die Hamburger Theologin Katajun Amirpur vor. Sie ist die erste deutsche Professorin auf einem Lehrstuhl für Islamische Studien und Theologie. Die 42-Jährige lehrt an der Hamburger Akademie der Weltreligionen.
"Ich weiß nicht, ob das alle Muslime machen. Aber Schiiten machen das auf jeden Fall so, dass sich der Koran an oberster Stelle im Haus befinden muss..."
Katajun Amirpur, eine schlanke Frau mit dunklen Haaren, steht auf Zehenspitzen in ihrem kleinen Arbeitszimmer in der Innenstadt von Köln. Sie holt zwei Koranausgaben aus dem vollgepackten Bücherregal und legt sie auf den Schreibtisch.
"Ich bin mal gefragt worden von der Schura Hamburg, was für einen Islam ich denn vertreten würde. Und darauf habe ich gesagt, ich bin nicht extrem konservativ. Das glaubt auch niemand, der mich ein- mal gesehen hat. Ich würde jetzt auch nicht zu so extrem liberalen Thesen greifen, wo ich weiß, das kann sowieso niemand annehmen."
Frau, ohne Kopftuch und Schiitin
Und dennoch: Als sie vor über zwei Jahren als erste deutsche Professorin auf einem Lehrstuhl für islamische Studien an der Hamburger Akademie der Weltreligionen anfing, wurde sie von einigen Vertretern der muslimischen Verbände kritisch beäugt: Frau, ohne Kopftuch und Schiitin. Also Angehörige einer islamischen Minderheit in Deutschland. Aber: Katajun Amirpur will sich nicht in irgendeine Schublade stecken lassen und nimmt dafür gerne in Kauf, immer wieder anzuecken.
"Wenn ich zum Beispiel sage, dass Frauen auf jeden Fall die gleichen Rechte, dass sie den gleichen Anspruch auf Führungspositionen in der Gemeinde haben müssen. Das wird vielen Konservativen nicht unbedingt in den Kram passen. Der breiten Masse schon. Dann gibt es wiederum andere Dinge, wo viele dezidiert sehr säkular oder liberal eingestellte Muslime sagen, warum verteidigt sie das denn jetzt? Also wieso verteidigt Amirpur, dass Lehrerinnen ein Kopftuch tragen dürfen?"
Die 42-jährige Islamwissenschaftlerin pendelt zwischen Köln, wo sie mit ihrem Mann, dem Schriftsteller und Orientalisten Navid Kermani, und ihren beiden Töchtern lebt, und Hamburg. Viele Jahre arbeitete Katajun Amirpur auch als Journalistin. Nun konzentriert sie sich auf ihre Forschungen zu einer dialogorientierten islamischen Theologie und zu Gender und Islam. Sie sieht sich als islamische Feministin und fordert eine zeitgemäße und geschlechtergerechte Auslegung der Quellen des Islams.
"In der Zeit, als der Koran offenbart wurde im siebten Jahrhundert, war es gang und gäbe, dass Töchter lebendig begraben wurden, weil man lieber einen Sohn haben wollte. Der Koran hat das abgeschafft. Das zeugt davon, dass aus islamischer Perspektive Mann und Frau gleich wert sind. Und das muss man eben heutzutage weiterdenken, das muss sich in einer vollkommenen rechtlichen Gleichberechtigung äußern. Da gibt es von der Argumentation her keinen großen Unterschied, ob das eine Frauenrechtlerin in Iran sagt, in Tunesien oder hier in Deutschland."
Von der Politik zur Theologie
Zum Islamischen Feminismus kam Katajun Amipur über Umwege. Als Jugendliche war sie in der Kommunalpolitik aktiv.Später wurde ihr klar, dass man Politik, vor allem in der islamischen Welt, nur verstehen kann, wenn man sich auch in der Theologie gut auskennt. Sie studierte Islamwissenschaften in Bonn und Teheran und stieß dabei auch auf reformtheologische Ansätze und - auf iranische Frauenrechtlerinnen. Denn die griffen in den 90er-Jahren einige zentrale reformtheologische<del cite="mailto:Bei%20der%20Kellen,%20Ralf%20[X]" datetime="2013-11-19T14:28">n</del> Gedanken auf. Zum Beispiel, das nicht die Religion an sich, sondern die religiösen Erkenntnisse der Menschen sich wandeln und man daher immer wieder zu neuen Interpretationen kommen kann.
"Das war ein ganz großes Problem für sehr lange Zeit für Frauenrechtlerinnen in der islamischen Welt, dass man immer vor die Wahl gestellt war, entweder ich bin für Gleichberechtigung oder ich bin Muslimin. Und diese Ideen und Gedanken von diesen Reformdenkern haben es einfach geschafft, dass die Frauen sagen konnten, wir können beides sein."
Katajun Amirpur ist in einem religiösen Elternhaus in einem katholischen Dorf in Nordrhein Westfalen aufgewachsen. Als Tochter eines iranischen Muslim und einer deutschen Christin<del cite="mailto:Gessler,%20Philipp" datetime="2013-12-13T15:47">. </del> <ins cite="mailto:Gessler,%20Philipp" datetime="2013-12-13T15:48">Amirpur </ins>kennt sich also in beiden Religionen aus. Schon als kleines Mädchen war sie überzeugt: Gott kann nicht so ungerecht sein und die eine Hälfte seiner Geschöpfe der anderen vorziehen.
"Ich habe als Fünfjährige ein Jahr im Iran gelebt. Das war nirgendwo so bei uns in einer Großfamilie, dass irgendjemand angenommen hätte, Männer sind irgendetwas Besseres. Insofern war das in die- sem gelebten Islam, den ich kannte, sowieso nie der Fall. Ich war eher dann schockiert, als ich Jahre später hörte, dass Frauen deutlich weniger Rechte haben im Iran als Männer. Da habe ich gedacht, das kann doch nicht am Islam liegen. Das muss an den Leuten liegen, die den Islam hier predigen."
Für ihren Vater, einem iranischen Kulturattaché unter dem Schah Regime, war Bildung das A und O.
"Das war das Zentrale, was er immer gefördert hat : lesen, lesen lesen! Es war ihm vollkommen klar, dass ich natürlich auf irgendeine Art und Weise auf eignen Beinen stehen soll und das geht nur über Bildung."
Islam ist nicht gleich Islam
Als Professorin an der " Akademie der Weltreligionen" will Katajun Amirpur dazu beitragen, den Dialog zwischen den Religionen in das wissenschaftliche Denken hineinzutragen. Zu ihren Studentinnen und Studenten gehören Christen, Muslime und Konfessionslose. Ihnen allen will sie auch zeigen: Islam ist nicht gleich Islam. Das wissen noch nicht einmal viele muslimischen Studenten.
"Also sie meinen schon sehr genau zu wissen, Islam ist ABC und D und E und F gibt es nicht, weil sie es so nicht kennen. Würden sie in der Türkei oder in Iran leben, würden sie genau wissen, dass es ganz unterschiedliche Arten gibt, den Islam zu leben und wie die Menschen sich ihrer Religion gegen- über verhalten. Also auch da bemühe ich mich, einfach das Spektrum zu verbreitern, was Menschen über ihre eigene Religion oder die fremde Religion wissen können."
Sie beobachtet aber auch: Es gibt immer mehr selbstbewusste junge Musliminnen, die versuchen, Studium, Beruf und Familie unter einem Hut zu bekommen. Und die sich wehren gegen die patriarchalischen Strukturen in ihren Familien.
"Zum Beispiel, du musst deinem Vater gehorchen. Muslimische emanzipierte junge Frauen gehen heutzutage hin, und sagen, wieso eigentlich? Ich bin doch nur meinem Gott gegenüber Rechenschaft schuldig. Diese Argumentation wird gerade von Frauen, die sehr fest in ihrem Glauben und die ein bisschen was über ihren Glauben wissen, die drehen das Argument um gegen ihre konservativen, traditionalistischen Väter und zum Teil auch gegen ihre Ehemänner und sagen, du hast mir überhaupt nichts zu sagen. Ich bin diejenige, die entscheidet."
Noch gibt es nur wenige Professorinnen in der Islamischen Theologie. Katajun Amirpur ist sich sicher: das wird sich ändern. Unter den Nachwuchswissenschaftlerinnen befänden sich <ins cite="mailto:Bei%20der%20Kellen,%20Ralf%20[X]" datetime="2013-11-19T14:38">(</ins>auch<ins cite="mailto:Bei%20der%20Kellen,%20Ralf%20[X]" datetime="2013-11-19T14:38">)</ins> viele starke Frauen. Die Islamische Theologie in Deutschland ist auf einem guten Weg, sagt sie. Und, wie der verstorbene Hamburger Religionsgelehrte Sayid Mehdi Razvi, glaubt auch sie, dass Deutschland eine Art, Zitat, "Denkraum" für die Islamische Theologie werden kann.
Zur Gleichberechtigung der Religionen ein langer Weg
"Da hat man einfach hier den großen Vorteil, dass man sich in einer freiheitlichen Atmosphäre befindet und viele Dinge denken darf, die vielerorts einfach nicht denkbar sind. Und diese Grundlage zu denken, ist eine Grundlage dafür, dass sich ein neues islamisches Denken entwickeln kann."
Doch bis zur Gleichberechtigung der Religionen ist es noch ein langer Weg. Auch der so viel beschworene christlich-islamische Dialog ist nicht immer einfach. Katajun Amirpur erlebt Vorurteile und sogar Anfeindungen. Auch der große Erfolg von Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" enttäuscht sie. Resignation? Nur manchmal.
"Einfach das Gefühl, das man dagegen halten möchte. Dass das jetzt nun mal das Land ist, in dem meine Kinder groß werden. Und dass ich versuchen möchte, das Bild ein bisschen zu ändern, einen kleinen Beitrag zu leisten. Da hat sich die Motivation von meiner journalistischen Tätigkeit zu heute gar nicht so sehr verändert."