Theologen im Porträt

Streiter für einen modernen Islam

Von Ita Niehaus · 30.11.2013
Mouhanad Khorchide lehrt an der Universität Münster einen Koran der Barmherzigkeit - und erntet scharfe Kritik von konservativen Muslimen. Teil eins unserer Serie über islamische Theologen an deutschen Hochschulen.
Mouhanad Khorchide: "Ich glaube, die Außenwahrnehmung ist, dass es ein Schleudersitz ist. Ich fühle mich sehr wohl, weil ich sehe, wie die islamische Theologie sich gerade etabliert. Ohne staatlichen Druck. Das ist keine Selbstverständlichkeit, wenn man wie ich in der islamischen Welt gelebt und dort Theologie studiert hat. Wo man vieles von dem, was man forscht, nicht schreiben kann, nicht sagen kann."
Mouhanad Khorchide wirkt erstaunlich ruhig und gelassen. Dabei bekommt der 42-jährige Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster seit einiger Zeit kräftig Gegenwind. Die großen Islamverbände, die seiner Berufung zugestimmt haben, stellen seine theologische und wissenschaftliche Qualifikation infrage.
"Jeder Wandel, jede Veränderung hat den Preis, dass viel Widerstand kommt. Und damit rechne ich auch weiterhin. Aber das bestätigt schon, dass sich hier etwas Neues tut. Und das ist gut. Jede Weltanschauung, jede Religion braucht die Aktualisierung, damit sie überlebt."
In Jeans, dunkler Weste und Sakko sitzt Mouhanad Khorchide in seinem Arbeitszimmer unterm Dach des Münsteraner Zentrums. Eine Gelehrtenstube wie aus dem Bilderbuch. Bücher, wohin man schaut. Der Beruf ist für ihn Berufung. Etiketten wie "Aufklärer" oder "liberale Stimme des Islam" lehnt der Wissenschaftler ab. Sein großes Anliegen: eine, Zitat, "Theologie der Zukunft für moderne, offene Gesellschaften".
"Ich bemühe mich um eine dialogische Gott-Mensch-Beziehung, ausgehend von dieser dialogischen Beziehung, Theologie zu betreiben. Es geht nicht in der Theologie, einfach unreflektiert einzutrichtern, was sagt dieser oder jener Gelehrte, sondern in einem Dialog. Was will Gott für uns Menschen? Was will Religion? Welchen Beitrag leistet Theologie, um unser Leben hier und jetzt zu bereichern? Wir haben hier die Freiheit, eine Befreiungstheologie - in Anführungszeichen auch - zu betreiben, wo der Mensch im Mittelpunkt steht."
Mouhanad Khorchide ist viel unterwegs - auf Tagungen und Kongressen weltweit. Er ist auch ein gefragter Gesprächspartner für Politiker und Journalisten. Und er schreibt Bücher, die Debatten auslösen. Im vergangenen Jahr etwa erschien "Islam ist Barmherzigkeit". In dem Buch setzt sich Khorchide für eine zeitgemäße Interpretation des Islam ein. Im Mittelpunkt seiner Vision von einemaufgeklärten Islam steht ein liebender, barmherziger Gott. Das sei "Islam light, "ein Kuschel-Islam"ohne Verbote, werfen ihm Kritiker vor, von denen viele den eher traditionell-konservativen Moscheegemeinden angehören. Vor Kurzem kam sein neues Werk heraus - über die Scharia. Auch dieses Buch, da ist sich Khorchide sicher, lesen seine Gegner wieder ganz genau.
"Mit der Hoffnung auf den einen oder anderen Satz zu stoßen, wo man sagt, endlich haben wir den Satz, den wir lange suchen, um Khorchide von seinem Lehrstuhl zu kippen und zu beweisen, dass er ein Häretiker ist. Oder dass er gegen Grundsätze des Islams verstößt. Nur leider werden die so was nicht finden. Denn ich verstoße nicht gegen Grundsätze des Islams. Ich versuche die islamische Theologie so zu reflektieren, wie ich sie aus ihren primären Quellen auch verstehe. Und da hoffe ich auf Gegenargumente, die den Diskurs auch fruchtbar machen."
Der Koordinierungsrat der Muslime, eine Dachorganisation großer muslimischer Verbände in Deutschland, kündigte bereits ein Gutachten über Khorchides Theologie an. Die Namen der Gutachter werden bis zur Veröffentlichung voraussichtlich nicht bekannt. Ein weiteres Problem: Der Beirat des Zentrums für Islamische Theologie in Münster ist immer noch nicht vollständig besetzt.
Konflikt mit großen muslimischen Verbänden spitzte sich zu
In den vergangenen Wochen spitzte sich der Konflikt mit den meisten großen muslimischen Verbänden zu. Sie kritisierten, dass über ihre Köpfe hinweg gehandelt werde, sprachen sogar von Verfassungsbruch. Die Universität wies die Vorwürfe zurück. Zurzeit arbeiten Universität und die muslimischen Verbände gemeinsam intensiv an einer Lösung des Konflikts. Mouhanad Khorchidewill künftig enger mit den muslimischen Verbänden und Moscheegemeinden zusammenarbeiten. Die Glaubensgemeinschaften sind ein wichtiger Ansprechpartner für den deutschen Staat, sagt er.
"Nur die Frage ist, wie man das ausführt. Ich beobachte hier, dass das katholische Modell fast eins zu eins adoptiert wurde, indem man vor einer Kommission steht und dann beweisen muss, dass man religiös genug ist. Und das kennt der Islam so nicht. Weil wir alle Menschen sind, die alle mit viel Demut vor Gott stehen. Nur Gott hat diese Kompetenz zu sagen, wer religiös ist und wer nicht. Und deshalb würde ich mir wünschen, dass man so ein Modell entwickelt, dass man sich selbst verpflichtet vor den Glaubensgemeinschaften oder einem Beirat, entsprechend den islamischen Grundsätzen seine Lebensführung beziehungsweise die Lehre zu erteilen. Das müsste reichen, dass man so viel Vertrauen hat."
Mouhanad Khorchide studierte im Libanon islamische Theologie und in Wien Soziologie. Stark geprägt haben ihn vor allem die religiösen Widersprüche, mit denen er als Kind einer palästinensischen Flüchtlingsfamilie in Saudi-Arabien aufwuchs.
Wo ich mich immer wieder gefragt habe, was ist jetzt Sache? Das Herz hat immer sich wohler gefühlt für einen offenen Islam, so wie es in der Familie gelebt wurde und weniger für den restriktiven Islam, den man in der Schule gelernt hat."
Mouhanad Khorchide ist tief in seinem Glauben verwurzelt. Dem Intellektuellen ist auch seine Großmutter ein Vorbild.
"Intuitiv hat sie versucht, aus dieser Botschaft eine Botschaft der Barmherzigkeit, der Liebe bedingungslos zu schenken. Alleine, wo ich gesehen habe, dass sie donnerstags nie schläft, weil sie die ganze Nacht Bittgebete für alle Menschen, die sie kennt … Muslime wie Nicht-Muslime. Und sehr bald habe ich auch verstanden, worum es eigentlich geht in der Religion, also alles, was wir als Gesetze bezeichnen, als Gottesdienst oder Rituale - die sind wichtig für den islamischen Glauben. Wie das Gebet oder das Fasten. Aber die sind kein Selbstzweck. Deshalb ist es wichtig, an seiner Menschlichkeit zu arbeiten."
Eine Vorlesung über die "Einführung in die islamische Normenlehre." Fast jeder Platz im alten Hörsaal am botanischen Garten in Münster ist besetzt. Zwischendurch gibt Mouhanad Khorchide immer wieder Raum für Diskussionen. Die Studentinnen und Studenten sollen lernen, sich mit der islamischen Theologie kritisch auseinanderzusetzen.
Frau:"Wir haben ja vorhin darüber gesprochen, wenn zum Beispiel Frauen im Iran ohne Kopftuch rumlaufen, dass es dafür auch Strafen gibt. Ist so was denn im Sinne des Korans?
Khorchide: "Es gibt zwei Wortmeldungen …"
Frau: "Schwierig zu sagen …"
Das Interesse ist groß. Für das laufende Wintersemester bewarben sich allein über 1000 Interessenten auf 260 Plätze in den Studiengängen Islamische Religionslehre und Theologie. Über 400 Studenten insgesamt haben sich inzwischen eingeschrieben. Die vielen positiven Rückmeldungen machen Mouhanad Khorchide Mut.
"Die sagen, meine Beziehung zu Gott war bis jetzt basierend nur auf Angst vor diesem Gott. Aber mit dem, wie ich das hier studiere, wie ich das reflektiere, fange ich an zu verstehen, wie meine Religion für mich bereichernd sein kann. Denn da steht der Mensch mit seiner unantastbaren Würde im Mittelpunkt. Und das ist eine fruchtbare Theologie für uns alle, denke ich. "
Zurzeit wird sein Buch über die Theologie der Barmherzigkeit übersetzt. Bald wird es türkische, arabische, bosnische und englische Fassungen geben. Das nächste Buch über Hermeneutik im Koran ist schon in Arbeit. Im kommenden Jahr soll es erscheinen. Noch steckt die islamische Theologie in Deutschland mitten in der Aufbauphase. Mouhanad Khorchide ist optimistisch: In einigen Jahren wird die Debatte über den Islam viel sachlicher sein.
"Wir werden einen wissenschaftlichen, akademischen Diskurs haben über den Islam, wo wir nicht mehr über Kopftuch und Minarette reden, sondern über Gottesbild, Menschenbild im Islam, über ethische Fragestellungen. Wo ich sehr hoffe, dass wir in zehn Jahren auch so weit sind, dass man sagt, die islamische Theologie bietet uns folgende Lösungen, Alternativen, sodass wir auch als Bereicherung da sein werden für unsere Gesellschaft."
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