Theodor-Heuss-Preis für EuGH

"Ein Gericht von einzigartiger Statur"

Die Türme des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg.
Die Türme des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg. © picture alliance / dpa / Thomas Frey
Der Europarechtler Franz C. Mayer im Gespräch mit Ute Welty · 16.05.2015
Oft wurde er geschmäht als Sinnbild für die Krake EU, die alles an sich reißt - jetzt wird er geehrt: Am Samstag wird dem Europäischen Gerichtshof der 50. Theodor-Heuss-Preis verliehen. Der Europarechtler Franz C. Mayer begrüßt diese Entscheidung
Am Samstag wird dem Europäischen Gerichtshof der 50. Theodor-Heuss-Preis verliehen - als "Hüter der rechtlichen Einheit und Rechtsstaatlichkeit", der zudem die Grundrechte der europäischen Bürger stärke, so die Theodor-Heuss-Stiftung.
Der Europarechtler Franz C. Mayer von der Universität Bielefeld begrüßt diese Auszeichnung des EuGH. Damit werde ein internationales Gericht von einzigartiger Statur gewürdigt, sagt er. Denn anders als bei fast allen anderen überstaatlichen Gerichten sei es nicht möglich, sich der Zuständigkeit des EuGH zu entziehen.
Auch stehe der Europäische Gerichtshof für das Leitmotiv der europäischen Integration: "Recht geht vor Macht". Dafür habe der EuGH mit seinen Urteilen zur unmittelbaren Geltung und zum Vorrang des Europarechts bereits in den 1960er-Jahren dafür die maßgeblichen Weichen gestellt.

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Hüter der rechtlichen Einheit und Rechtsstaatlichkeit, das ist für die Theodor-Heuss-Stiftung der Europäische Gerichtshof in Luxemburg. Deshalb wird der Europäische Gerichtshof und sein Präsident Vassilios Skouris heute mit dem Theodor Heuss Preis ausgezeichnet. Zum 50. Mal wird der Preis verliehen. Und dafür reist auch Bundespräsident Joachim Gauck nach Stuttgart. Denn Präsident, Preis und Stiftung wollen die politische Bildung und Kultur fördern im Sinne von gesellschaftlichem Engagement, Zivilcourage und demokratischer Grundordnungen.
Und während ich Ihnen all das erzähle, fällt mir auf, dass ich dabei nicht unbedingt als Erstes an den Europäischen Gerichtshof denke. Was aber Professor Franz Mayer womöglich ganz anders geht! Er lehrt an der Universität Bielefeld öffentliches Recht, Europarecht und Rechtspolitik, deswegen also an den Fachmann die Frage: Was zeichnet den Europäischen Gerichtshof aus, was macht ihn so einzigartig und preiswürdig?
Franz C. Mayer: Der EuGH ist definitiv einzigartig und insofern auch preiswürdig in seiner Arbeit der letzten 60 Jahre. Mir fallen dazu mindestens zwei Gründe ein. Das Erste: Es ist wirklich ein richtiges Gericht, es ist anders als fast alle anderen überstaatlichen Gerichte, bei denen es durchaus möglich ist, die Zuständigkeit der Gerichte respektive zu gestalten, nicht möglich, sich der Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs zu entziehen. Beim Internationalen Gerichtshof beispielsweise in Den Haag ist es so, dass nur, wer vorab sagt, er erkennt das Urteil an, dann auch gebunden ist. Der EuGH ist obligatorisch. Also, ein internationales Gericht dieser Statur ist einzigartig.
Nicht länger gilt "Macht vor Recht" in Europa, sondern "Recht vor Macht"
Das Zweite ist, der EuGH in Luxemburg steht für das Leitmotiv der europäischen Integration. Und das Leitmotiv ist nach meiner Überzeugung: Recht geht vor Macht. Es ist nicht mehr Macht vor Recht, sondern Recht geht vor Macht. Und diese Rechtsgemeinschaft – übrigens eine zentrale Idee der deutschen Delegation seinerzeit in Verhandlungen, die auch den Europäischen Gerichtshof ganz dezidiert haben wollten, gegenüber anderen Modellen präferiert haben –, diese Rechtsgemeinschaft ist die zentrale Idee der europäischen Integration. Die Nationen, die sich zum Teil ja ganz lange mit blutigen Kriegen überzogen haben, kann man so zusammenbinden und die Gegensätze, die es ja nach wie vor gibt, zivilisiert überwinden.
Was also der Unterschied ist und dann eben auch dieses Einzigartige am Europäischen Gerichtshof im Vergleich zu früher, ist, dass man sich dann bei den weiter bestehenden Gegensätzen zwar immer noch streitet; aber anders als früher trifft man sich dann eben im Gerichtssaal und trägt da die Gegensätze aus, anstatt ganze Generationen auf die Schlachtfelder zu schicken.
Welty: Welches Urteil oder welche Urteile des EuGH oder des Europäischen Gerichtshofes halten Sie für wegweisend?
Mayer: Im Lichte dessen, was ich eben sagte, dass es um eine Rechtsgemeinschaft geht, ist natürlich jedes Urteil am EuGH, das dann auch befolgt wird, ein kleines Mosaiksteinchen mehr an dieser Rechtsgemeinschaft. Was das Strukturelle angeht, sind ganz schön in den 60er-Jahren durch Urteile zur unmittelbaren Geltung des Europarechts und zum Vorrang des Europarechts die maßgeblichen Weichen gestellt worden.
"Wer nimmt es mit Google auf?"
Aber wenn Sie an konkretere Dinge denken wie zum Beispiel Kreil, die Frauen in der Bundeswehr, das geht auf den Europäischen Gerichtshof zurück. Oder Bosman, das Fußballtransfersystem ist gekippt worden. Es gibt andere Entscheidungen, die große Schlagzeilen gemacht haben, Kadi, eine Entscheidung, die begründet, warum man nur in Europa und dann auch nur beim Europäischen Gerichtshof Rechtsschutz gegen den UN-Sicherheitsrat kriegt. Oder aus jüngerer Zeit die Vorratsdaten oder eben auch Google, Spanien, wer nimmt es mit Google auf, Stichwort Datenschutz, der Europäische Gerichtshof in Luxemburg.
Welty: Wo hat der EuGH danebengelegen?
Mayer: Der EuGH hat sicher auch an der einen oder anderen Stelle in seinem Urteil nicht restlos überzeugt. Und man muss deutlich sagen, dass die Urteile, die für manche als bahnbrechende, wegweisende richterrechtliche Urteile stehen, natürlich von den Kritikern auch für die negativen Seiten der europäischen Integration nicht selten in Anspruch genommen werden. Eine europäische Integration, die sich übermäßig ausdehnt. In Großbritannien beispielsweise werden Sie sicher die ganzen Urteile, die ich eben genannt habe, als Negativurteile vielfach vermerkt sehen.
Ein Urteil, das übergreifend Kritik ausgelöst hat, stammt aus jüngerer Zeit: Im Dezember letzten Jahres hat der Gerichtshof in einem Gutachten, es gibt dort ein Gutachtenverfahren, die Mitgliedschaft der Europäischen Union in der europäischen Menschenrechtskonvention – das ist das System in Straßburg – mehr oder weniger verunmöglicht durch sehr, sehr strenge Anforderungen, die sich kaum erfüllen lassen. Und das hat übergreifend Kritik hervorgerufen. Ist aber eigentlich ein ganz interessanter Beispielsfall für einen anderen mit dem EuGH zusammenhängenden Komplex, nämlich wie verhält man sich, wenn man als Gericht Konkurrenz empfindet. Und das hat unser Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit dem EuGH nämlich auch beschäftigt.
Wenig Klagemöglichkeiten für den einzelnen
Welty: Genau das wäre die nächste Frage gewesen: Dieser Theodor-Heuss Preis wird zweifellos dazu beitragen, dass der EuGH wieder ein Stück mehr wahrgenommen wird, wie er überhaupt an Bedeutung gewonnen hat, weil eben auch Europa an Bedeutung gewinnt. Heißt das im Umkehrschluss eben, dass das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht irgendwann überflüssig wird?
Mayer: Man muss schon sehen, dass der EuGH anders als das Bundesverfassungsgericht nicht ein Bürgergericht ist, das ist nicht so angelegt. Es gibt zwar Möglichkeiten, direkt in Luxemburg vor dem Europäischen Gerichtshof als Bürger oder als Bürgerin zu klagen, es gibt Verfahren, die sind aber sehr limitiert. Der Europäische Gerichtshof wirkt im Wesentlichen über die nationalen Gerichte, die ihm Rechtssachen zur Entscheidung vorlegen, die dort dann in Luxemburg entschieden werden und dann wieder zurückgehen an die nationalen Gerichte, und die sprechen das Endurteil. Aber das macht auch die Autorität des Europarechts und des europäischen Richterrechts aus. Es kommt fast immer über die nationalen Gerichte vermittelt in der Rechtsordnung an.
Was das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof jetzt konkret angeht in ihrem Verhältnis zueinander, ist es so, dass es nicht immer reibungsfrei gewesen ist, das Verhältnis, weil, wie Ihre Frage nahelegt, es natürlich Überschneidungen gibt. Aber man muss eben immer darauf setzen, dass es eine produktive Reibung gibt. In jüngerer Zeit hat das Bundesverfassungsgericht ja nach langen Jahrzehnten zum ersten Mal endlich dem Europäischen Gerichtshof auch eine solche Vorabentscheidungsfrage vorgelegt. Es ging um die Rechtmäßigkeit des EZB-Handelns, Europäische Zentralbank und ihre Handlungen sind streitig. Und das könnte ein Beispielsfall sein für ein produktives Zusammenwirken.
Aber man muss sehen, es geht hier auch um richterliche Egos, dass man nicht mehr ganz allein der oberste ist, das ist eben etwas, was für solche Höchstrichter möglicherweise auch immer ein bisschen erlernt werden muss. Und dieser Lernprozess kann dann eben etwas dauern.
"Ich muss viel Blödsinn lesen"
Welty: Ich habe das am Anfang gesagt, ich rede mit dem Fachmann, mit dem Juristen. Inwieweit unterscheidet sich Ihr Blick auf die Urteile des EuGH von dem, was in den Medien berichtet wird? Oder anders gefragt, wie viel Blödsinn müssen Sie lesen?
Mayer: Ich muss viel Blödsinn lesen. Und eines der größten wirklich durchgehenden Blödsinnselemente ist, dass es auch in der Qualitätspresse gelegentlich nicht gelingt zu unterscheiden zwischen dem EuGH, also dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg, der zur EU gehört, zur Europäischen Union mit ihren 28 Mitgliedsstaaten und so weiter, und dem EGMR in Straßburg, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der zum Schutzsystem der EMRK, der Europäischen Menschenrechtskonvention gehört, eine Konvention mit 47 Teilnehmerstaaten unter dem Dach des Europarats aus dem Jahr 1950. Also, man kann bis heute in der Qualitätspresse solche Aussagen finden wie: "ein EU-Gericht in Straßburg hat entschieden". Und der EGMR in Straßburg hat nun mal mit der EU nichts zu tun. Also, das ist nur ein Beispiel dafür, dass man doch immer wieder Belege für ein großes Unverständnis findet.
Man muss dazu sagen, die EuGH-Urteile sind auch nicht leicht zugänglich. Es ist eine sehr unzugängliche Gerichtssprache in der französischen Gerichtstradition, die Urteile sind sehr kurz, sie sind anders als unsere Urteile. Aber ich glaube schon, dass man die Medien hier noch mehr in die Pflicht nehmen müsste, durchaus auch mit einem kritischen Kontrollanspruch, die Rechtsprechung des EuGH intensiver zu verfolgen. Wobei sich da schon vieles gebessert hat, das muss man auch dazu sagen.
Welty: Der Europäische Gerichtshof und sein Präsident Vassilios Skouris werden heute mit dem Theodor-Heuss-Preis ausgezeichnet und die Laudatio vor der Preisverleihung, die hielt dankenswerterweise hier in Deutschlandradio Kultur Professor Franz Mayer, der in Bielefeld öffentliches Recht, Europarecht und Rechtspolitik lehrt. Nochmals dafür danke und einen guten Samstag Ihnen!
Mayer: Vielen Dank Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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