Theatertreffen Berlin

"In der Liebe fühle ich mich so lebendig"

Laura Jiménez González bei einer Theaterprobe in Bogotá
Laura Jiménez González bei einer Theaterprobe in Bogotá © Deutschlandradio - Tobias Wenzel
Von Tobias Wenzel · 05.05.2014
Laura Jiménez González hat im Urwald von Peru und Kolumbien mit Indianerkindern Theater gespielt und in Bogotá eine Inszenierung in einer Bibliothek umgesetzt. Jetzt ist sie beim Theatertreffen in Berlin zu Gast.
Mit weit geöffneten Augen und kindlicher Freude steckt sich Laura Jiménez González einen Lutscher in den rot geschminkten Mund:
"Das ist ein Wassermelonenlolli, mein Lieblingslolli.“
Vor kurzem hatte die 27-jährige kolumbianische Theaterregisseurin und Schauspielerin genau so einen Lutscher im Mund, als sie durch ihre Geburtsstadt Bogotá mit dem Fahrrad fuhr, eines der vielen Schlaglöcher übersah und stürzte. Dabei schlug sie sich mit dem Lutscher einen Backenzahn aus.
"Zum Beispiel kann ich jetzt nicht auf einer Seite essen. Aber trotzdem hasse ich meinen Wassermelonenlolli nicht. Er hat nicht die Schuld."
Laura Jiménez González tritt mit ihren Pantoffeln auf den geblümten Überzug ihres Bettes. Ihre langen, rotblonden Haare streifen die Gardine, als sie durch das Fenster auf den Balkon klettert. Hier, aus dem fünften Stock ihrer Wohnung im berüchtigten Stadtteil San Luis, beobachtet sie immer wieder gebannt die Umgebung: den Spanner im benachbarten Haus, der sie regelmäßig mit seinem Fernglas anstarrt; die Autos, die in die Stundenhotels fahren; die Obdachlosen, die Mülltüten aufreißen; die Drogenhändler und -käufer; die Polizei, die sie gewähren lässt; die Prostituierten, die Transvestiten.
"Wenn sie schlechte Laune haben, ist es besser, wenn man die Transvestiten nicht anguckt. Sie haben immer so ein Messer. Ich glaube, es ist wichtig für einen Künstler, in so einer Umgebung zu wohnen: Man kann von der Straße etwas lernen."
Theaterregisseurin Laura Jiménez González in Bogotá
Theaterregisseurin Laura Jiménez González in Bogotá© Deutschlandradio - Tobias Wenzel
Ihre Mutter, eine Malerin und Kunstlehrerin, brachte das Einzelkind Laura Jiménez González auf die Idee, Schauspiel und Theaterwissenschaften zu studieren. Der Vater, ein Immobilienmakler, kam damit nicht klar:
"Das war die schrecklichste Nachricht in seinem Leben. Er hat mir gesagt: 'Nein! Das ist so ein Studium, wo die Leute nur Sex haben.' Viele Klischees hat er mir gesagt."
Neugierig auf Europa
Laura Jiménez González zog in Bogotá das Studium auch ohne Unterstützung ihres Vaters durch, bekam erste Rollen an kleinen Theatern der Stadt, wurde neugierig auf Europa, lebte zwei Jahre in München und schloss sich dort einer Theatergruppe an. Um auf Deutsch spielen zu können, belegte sie einen Sprachkurs. Um den wiederum zu finanzieren, nahm sie alle möglichen Jobs an: Sie pflegte Pferde, arbeitete als Gärtnerin, Babysitterin und Putzfrau. Gemeinsam mit ihrer besten Freundin verdiente sie Geld bei einem Fußfetischisten:
"Wir mussten unsere Füße ohne Socken und ohne Schuhe lassen. Wir mussten die Augen zumachen. Und er hat uns mit einer Feder gekitzelt. Er hat das fünfzehn Minuten gemacht. Und ich bin wirklich kitzelig! Er war so aufgeregt, weil ich so laut gelacht habe, aber ganz zufrieden mit mir, auf jeden Fall. Alle Leute haben einen Fetischismus. Das ist ganz normal."
Einmal musste sie in München einen ganzen Monat lang mit nur fünf Euro auskommen. Sie lebte von Billigbrot aus dem Discounter und von Wasser. Hauptsache Theater. Seit 2012 macht sie das wieder in Bogotá, vor allem als Regisseurin.
"Wir nennen dieses Gebäude die 'Universität des Verbrechens'.“
Laura Jiménez González steht auf ihrer Terrasse und deutet über Wellblechdächer hinweg auf ein graues Haus:
"In einem Stock lernt man zu klauen. Im zweiten Stock lernt man zu handeln. Und im ersten Stock kann man alles kaufen, sogar Suppe. Suppe und Drogen und Hähnchen und Alkohol und Frauen."
Erwischt und ins Kindergefängnis
Der Vater von Laura Jiménez González befürchtet, genauso wie das Theater könne auch diese Nachbarschaft einen negativen Einfluss auf seine Tochter haben. Die war allerdings zuletzt mit zwölf Jahren kriminell: als sie in einem Einkaufszentrum eine Taucherbrille stahl, um sie einem Freund zu schenken, erwischt wurde und ins Kindergefängnis kam:
"Ich musste mehrere Tage im Gefängnis bleiben. Mit den anderen Kindern. Aber die anderen Kinder waren wirklich gefährlich. Dann musste ich die ganze Zeit aufräumen und Wäsche waschen, wie eine Putzfrau. Das war meine Arbeit im Gefängnis."
In einem heruntergekommenen Haus ihres Viertels San Luis probt Laura Jiménez González mit vier Schauspielern "Waldemarwolf", ein Stück des Deutschen Michel Decar. Wie üblich, finanziert sie alles aus eigener Tasche. Sie hat das Haus angemietet. Sie ist nicht nur Regisseurin, sondern gleichzeitig Bühnenbildnerin und Ausstatterin und übernimmt auch noch die Werbung. Idealismus pur. Den stellt sie aber nie in Frage:
"In den normalen Sachen des Alltags bin ich jetzt nicht tot. Aber im Theater und zum Beispiel in der Liebe fühle ich mich so lebendig und ganz zufrieden. Und das ist das Ziel meines Lebens."
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