Klaus Weise: "Sommerleithe"
Elsinor Verlag, Coesfeld 2021
280 Seiten, 24 Euro
Der schreibende Metzgersohn
33:11 Minuten

Statt in der elterlichen Metzgerei Schweine zu schlachten, hat sich Klaus Weise früh Film und Theater verschrieben. Jetzt legt der Regisseur und ehemalige Intendant des Bonner Theaters einen Roman über seine Kindheit in beiden Deutschlands vor.
"Ein Königreich" entdeckte Klaus Weise als Kind in der Metzgerei seines Vaters. Eine sehr sinnliche Welt an der Grenze von Tod und Leben, eine faszinierende "Konfrontation mit dem Leben und mit der Haut".
So beschreibt Klaus Weise in seinem autobiografischen Roman "Sommerleithe" seine Kindheit im thüringischen Gera, wo seine Eltern in den 50er-Jahren eine eigene Metzgerei betrieben. Eine glückliche Kindheit, aber überlagert von der Angst davor, irgendwann einmal selbst schlachten zu müssen.
Mit 14 Jahren war Klaus Weise soweit, sein erstes Schwein zu töten, "und dann sticht man zu". Auf die Angst folgte ein Machtgefühl: "Ich verfüge über Tod und Leben". Ein gefährliches Gefühl, wie er rückblickend einräumt.
Weltuntergang in Oberhausen
Das war dann schon im Ruhrgebiet, wohin die Eltern aus der DDR 1958 geflohen waren. Und wo das Kind Klaus sich zunächst "heimatlos" fühlte. Als er erstmals den feurigen Widerschein eines Hochofen-Abstichs am Abendhimmel über Oberhausen sah, geriet er in Panik, glaubte, die Welt gehe unter.
Als Jugendlicher dann die Rebellion gegen bürgerliche Enge, Wehrdienstverweigerung, Studium an der Filmhochschule München. Nach einigen Filmen, bei denen Klaus Weise Regie führte, wechselte er ans Theater, weil dort, wie er sagt, die Texte direkter wirken, "ohne dass die Kamera dazwischen guckt".
Als Theaterintendant kehrte Weise nach Oberhausen zurück, wo er – lange vor der Ruhrtriennale – an ungewöhnlichen Spielorten inszenierte: im Gasometer etwa oder einem Klärwerk. Damals wurde die Region vom Wegbrechen der Montanindustrie gebeutelt, und sein Theater sollte ein Stück Identität für die Menschen stiften, sagt Klaus Weise, zeigen: "Es gibt uns Ruhrgebietler noch".
Theater soll Texte Körper werden lassen
Es folgte die Intendanz am Theater Bonn, die 2013 nicht ganz einvernehmlich endete. Heute betrachtet Klaus Weise das aktuelle Theater durchaus kritisch. Der Trend zum Performativen, zu "Textteppichen" widerspreche dem, was Theater im Innersten ausmache, findet Weise: Texte "Mensch werden zu lassen, Körper werden zu lassen".
Wenn das Theater nicht mehr bereit sei, Geschichten zu erzählen, dann verliere es das Publikum an die Streamingdienste, "denn die erzählen saugute Geschichten".
(pag)