Theater

Stücke in Simultanübersetzung

Demonstranten in Bukarest halten Schilder mit "Nu Ponta!!" hoch und rufen Slogans gegen den rumänischen Premier und Präsidentschaftskandidaten Victor Ponta.
Parallel zu Demonstrationen in Bukarest kommen auch in Temeswar ein paar hundert Gegner des Kandidaten Victor Ponta vor dem Theater zusammen. © Daniel Mihailescu / AFP
Von Matthias Dell · 11.11.2014
Das Theaterfestival Eurothalia im rumänischen Temeswar holt europäische Produktionen in die seit je multikulturelle Stadt. Es wird veranstaltet vom Deutschen Staatstheater in der Stadt im Banat - die deutsche Minderheit allein füllt die Säle nicht mehr.
Temeswar ist eine Baustelle. Die Wege durchs Zentrum führen derzeit über Schotter und Kies. Denn die Stadt putzt sich heraus: 2015 soll entschieden werden, wer Rumänien im Jahr 2021 als Europäische Kulturstadthauptstadt repräsentieren darf. Diese Aussicht befördert allerlei Aktivitäten.
"In diesem Jahr gab es einen wirklichen Boom von Festivals, alles mögliche. Das Ungarische Theater hat auch ein Festival, das Rumänische Theater hat auch ein Festival, und wir haben auch ein Theaterfestival."
Und mit "Wir" meint die Schauspielerin Olga Török das Deutsche Staatstheater Temeswar, das gerade sein Europäisches Theaterfestival veranstaltet. Eurothalia heißen die zehn Tage, an denen je zwei Vorführungen zu sehen sind. Aus Deutschland, Holland, Österreich, vor allem aber aus Rumänien. Wobei es falsch wäre, Eurothalia als Ausdruck eines kurzfristigen Aktionismus zu begreifen. Dahinter steht ein größerer Plan:
Das Deutsche Staatstheater Temeswar muss sich nämlich öffnen, weil die deutsche Minderheit nach den Abwanderungsbewegungen der letzten 30 Jahre die Säle nicht mehr füllt: Nur wenige tausend Deutschstämmige leben heute in der 300.000-Einwohner-Stadt. Lucian Varsandan, seit 2007 Theaterintendant, kann sich noch an die 90er-Jahre erinnern, als man die Besucher einer Vorstellung an zwei Händen abzählen konnte:
"Und damals hat das Theater auch an Interesse verloren, zeitweilig, weil die Menschen hungrig waren, die Politikszene zu genießen und zu verfolgen. Man hat Schlange stehen müssen vor dem Zeitungskiosk, man saß vor dem Fernseher, alles, was um einen herum geschah, war plötzlich viel spannender, weil bis dahin total ungewohnt, im Vergleich zu einem noch so guten Theaterstück."
Kulturetat 2013 um gut ein Drittel erhöht
Zwar ist in diesen Tagen vor der Stichwahl zur Präsidentschaft die Stimmung ein wenig aufgekratzt – am Samstagabend demonstrieren ein paar hundert Menschen vor dem Theater gegen den Kandidaten Victor Ponta, der für die korrupten Eliten aus der Ceausescu-Ära steht. Aber die Manifestation auf dem Siegesplatz, wo 1989 die Proteste gegen Ceausescu ihren Anfang nahmen, läuft kurz und gesittet ab.
Die Stadt schätzt derweil den Wert der Theater höher. Der Kulturetat wurde 2013 um gut ein Drittel erhöht, wie Varsandan berichtet. Sein Theater macht mittlerweile in Rumänien Furore. So hatte beim Eurothalia-Festival "Moliendo Café" Premiere, eine Arbeit aus lauter szenischen Miniaturen, für die der renommierte rumänische Regisseurs Silvio Purcarete gewonnen werden konnte. Die Aufführung ist noch aus einem weiteren Grund bedeutsam: Die 36 Schauspieler kamen aus den Ensembles des Deutschen und des Ungarischen Staatstheaters in Temeswar. Zum ersten Mal hat man auf solche Weise zusammengearbeitet – aus ganz praktischen Erwägungen.
"Unser Problem hier am Haus, sag ich mal ganz offen, ist auch eben dieses, dass man doch in einem sehr engen Rahmen arbeitet, schon mal sprachlich. Wir haben acht vakante Schauspielerstellen, die nicht besetzt werden können aus sprachlichen Gründen."
Und das obwohl es in Temeswar auch eine deutschsprachige Schauspielausbildung gibt. Der Beruf setzt hier ein besonders hohes Maß an Leidenschaft voraus. Lediglich 250 Euro verdient ein Schauspieler – das ist etwas weniger als das Durchschnittseinkommen von 300 bis 500 Euro im Monat.
Deutsche, ungarische, serbische und jüdische Communities
Olga Török zum Beispiel, die als Nina in der Inszenierung von Tschechows " Möwe" zu sehen ist, kann mit dem Klagen übers Geld nicht viel anfangen.
"Jeder glaubt, dass der Schauspieler ein armer Schlucker ist, ich weiß."
Viel mehr schätzt sie die Atmosphäre in Temeswar, die besondere Offenheit der Stadt - mit ihren deutschen, ungarischen, serbischen und jüdischen Communities:
"Offen ist ein zu… also ein Gummiwort, aber: man ist halt bereit, was Neues auszuprobieren, und in anderen Städten, wo das nicht der Fall ist, sind die Leute halt sehr, sehr skeptisch."
Überbrückt werden die sprachlichen Grenzen nicht nur beim Eurothalia-Festival durch Übertitelung und Simultanübersetzung via Kopfhörer. Letzteres ist eine technische Innovation, die auf den rumänischen Staatssicherheitsdienst zurückgeht: Die Securitate wollte in den 80er-Jahren Wort für Wort mithören, was im Deutschen Staatstheater Temeswar gesagt wurde. Heute ist Überwachung kein Thema mehr. Vor jeder Vorstellung heißt es auf deutsch, rumänisch und englisch:
"Liebes Publikum, um einen ungestörten Theatergenuss zu verfolgen, vergessen Sie bitte nicht, ihr Mobiltelefon für die gesamte Vorstellungsdauer auszuschalten. Foto, Video oder Tonbandaufzeichnungen sind während der Aufführung nicht gestattet."
Mehr zum Thema