Multikulti auf der Bühne im Osten

Von Thomas Wagner |
Mehr Multikulti auf der Bühne kann eigentlich kaum sein - in den vergangenen Tagen fand das europäische Theaterfestival "Eurothalia" im rumänischen Temeswar statt.
In der Mitte des Theatersaals steht ein spätmittelalterliches Segelschiff. Die Zuschauer sitzen drumherum. So manches Zitat der Schauspieler auf dem Schiff kommt ihnen irgendwie bekannt vor.

"Shaking Shakespeare ist die 400. Inszenierung des Deutschen Staatstheaters. Es ist ein Skript, das eigens für diese Inszenierung entwickelt wurde von der Autorin Lia Bugner. Ausgehend von mehreren Passagen aus Shakespeares Stücken, hat Lia einen Text entwickelt. Prätext zu dieser Geschichte ist die Szene des Theaters aus dem Theater aus ‘Hamlet’, wo aber in diesem Fall die Schauspieler, die Spieler Passagen aus unterschiedlichen Shakespeare-Stücken einstudieren. Und das ist ein Anlass zur Auseinandersetzung mit einigen der schönsten Motive aus unterschiedlichen Shakespeare-Stücken."

Lucian Varsandan ist Intendant des Deutschen Staatstheaters im rumänischen Temeswar. "Shaking Shakespeare", die Inszenierung seines eigenen Ensembles, ist an diesem Abend ebenso ausverkauft wie all die anderen Vorstellungen in den vergangenen Tagen: "Eurothalia" - die Bezeichnung für ihr Theaterfestival haben die Organisatoren vom Deutschen Staatstheater (im rumänischen Temeswar) mit Bedacht gewählt. Ihr Ziel ist die, wie es im Programmheft heißt, multiethnische Begegnung auf der Bühne.

"Eurothalia hat sich vorgenommen, den Kulturtransfer und den Kulturdialog einerseits zwischen Ost und West in beide Richtungen zu fördern und auf der anderen Seite eben auch diese ganz besondere Landschaft im multikulturellen Sinne nicht nur zu stärken, aber auch ihre Werte noch einmal sehr deutlich zu signalisieren. Wenn Menschen aus unterschiedlichen Teilen Europas sich kennenlernen, wenn jeweils die Inszenierungen der anderen Kollegen gesehen werden, bewertet werden, ausdiskutiert werden, und wenn man einen Kontext schafft, bei dem all das ohne sprachliche Barrieren funktionieren kann, dann entwickeln diese Menschen zueinander auch ein ganz anderes Verständnis."

Das Jan-Kochanowski-Theater aus dem polnischen Oppeln (poln. Opole) spielt Elfriede Jelineks "Sportstück" von 1998 - auf polnisch. Obwohl kaum einer Polnisch versteht, ist der Theatersaal aufs Neue voll. Der Text läuft über eine Minileinwand simultan auf Deutsch und Englisch. Das westrumänische Temeswar war immer schon eine ‘Multi-Kulti-Stadt’. Raluca Neopoca, Redakteurin bei der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien", hat keine einzige Festival-Vorstellung verpasst:

"In Temeswar leben Ungarn, Deutsche, Serben, Rumänen zusammen, das schon seit sehr langer Zeit. Und das funktioniert sehr gut. Das ist tatsächlich eine multikulturelle Stadt! Hier bei uns in Temeswar gibt es keine Spannungen, keine Konflikte!"

In diesem Umfeld liege es auf der Hand, ein multiethnisches Theaterfestival ins Leben zu rufen. Astrid Weisz, Redakteurin beim deutschsprachigen Programm von Radio Temeswar, war ebenfalls in sämtlichen Vorstellungen. Dass dabei in mehreren Sprachen gespielt wurde, hat sie nicht im Geringsten gestört.

"Wie anders als durch Sprache und Kunst kann man denn am besten miteinander kommunizieren? Also, das bedeutet für mich multiethisch. Dass auch die Leute im Raum aus verschiedenen Ethnien sind und es dann auch diesen Austausch gibt, den wir auch hier im Foyer im Deutschen Staatstheater erleben. Aber auch, dass man sieht: Wie macht ein ungarisches Theater aus Klausenburg Theater? Wie spielen aber dann die Münchner Kammerspiele? Was für eine Produktion macht das jüdische Staatstheater? Und wie hört sich mal jüdisch an? Eine Gemeinschaft, die es in Rumänien leider sehr selten gibt. Also bekommt man mehr mit für die Kultur des anderen. Und man lernt sich somit kennen."

Das trifft nicht nur auf die Zuschauer zu, sondern auch auf die Theatermacher selbst. Peter Papakostidis, Schauspieler aus München, hat für ein ganzes Jahr ein Engagement am Deutschen Staatstheater in Temeswar angenommen. Bei "Shaking Shakespeare" spielte er den Hamlet.

"Für mich war das spannend, weil es einfach auch ein bisschen körperlicher ist, das rumänische Theater. Das fand ich spannend, das einfach mal zu sehen, auch mal ein Jahr diese Erfahrung zu machen."

Auch die Erfahrung, in einer rumänischen Großstadt im selben Gebäude eine rumänische Bühne, ein ungarisches und ein deutsches Theater anzutreffen, war für den Münchner neu. Aus den Erfahrungen des Festivals könnte er sich eine künstlerische Weiterentwicklung sehr gut vorstellen.

"Was ich jetzt noch spannend finden würde, wäre der nächste Schritt, wenn die Rumänen, die Ungarn und die Deutschen gemeinsam eine eigene Produktion zusammen machen würden, wo sie sich wirklich treffen. Weil jetzt sitzen sie unter einem Dach. Man versteht sich. Aber sie haben natürlich noch keine Produktion zusammen gemacht, diese drei verschiedenen Länder. Und das wäre natürlich jetzt der nächste Schritt. Das wäre sehr spannend, wenn das klappen würde. Ist natürlich sprachlich nicht so einfach, wie man das macht. Wäre aber toll!"

Die Abschiedsvorstellung des Festivals: Eugen Ionescos "Die kahle Sängerin", eine Produktion des Deutschen Staatstheaters Temeswar. Es wird geflachst, geschrien, geliebt, gestritten; Wortspielereien, semantische Fallstricke - absurdes Theater eben. Noch vor zehn Jahren wäre so etwas von einem Ensemble, das ursprünglich für die deutsche Minderheit gegründet wurde, undenkbar gewesen. Schiller, Kleist und Goethe prägten die Spielzeiten. Im spärlich besetzten Saal saßen vornehmlich Rentner. Angehörige der rumäniendeutschen Minderheit. Am Eurothalia-Festival mit seinem eher jugendlichen Publikum lässt sich somit auch der Wandel des Deutschen Theaters vom Minderheitenangebot zum festen Baustein in der rumänischen Kulturlandschaft ablesen. Intendant Lucian Varsandan:

"Dieses Theater musste sich neu erfinden auch in Bezug auf seine Rechtfertigung. Dieses Theater hat noch vor zehn, 15 Jahren produziert mit der Selbstverständlichkeit, es produziere Theater für die verbliebenen, immer weniger werdenden Angehörigen der deutschen Minderheit. Das ist heute gar nicht mehr so, auch wenn man diese nicht ausschließt. Das hat bei uns einen tief greifenden Wandel begleitet, der sich im Endeffekt konkretisiert hat in neuen Theaterformen, neuen Bühnenästhetiken, bis hin zur Vorliebe für neue Stoffe, für neue Dramatik auch. Die Antwort liegt dort, dass die deutsche Sprache mittlerweile von sehr vielen anderen Menschen heute gesprochen wird in Rumänien, und sehr viele andere machen auch von diesem Theaterangebot dann Gebrauch. Das hat den inhaltlichen Wandel der Theaterarbeit sehr stark beeinflusst."