„The Handke Project“ in Dortmund

Demontage eines Nobelpreisträgers

05:35 Minuten
Eine ganz in blaues Licht getauchte Bühenenszene aus der Aufführung "Handke Project".
"Kraftvoller und unterhaltender Abend voller Sarkasmus und Ironie": Szene aus dem "Handke Project". © Atdhe Mulla
Von Stefan Keim · 10.12.2022
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Vor wenigen Tagen ist Peter Handke 80 Jahre alt geworden. Für sein literarisches Werk wird er verehrt, politisch ist der Nobelpreisträger eine höchst umstrittene Figur. In Dortmund setzt sich ein internationales Ensemble kritisch mit ihm auseinander.
Das Ensemble spricht das Publikum direkt an: Wer faschistisch, homophob oder fremdenfeindlich ist – es gibt noch einige weitere Ausschlusskriterien –, solle doch bitte den Saal verlassen. Das gilt auch für Menschen, die Bücher von Peter Handke lesen.

Kann man Handke-Texte lesen?

Niemand geht. Die Schauspieler freuen sich, was für ein tolles Publikum sie haben. Da regt sich Widerspruch. Wieso soll man sich ein Handke-Projekt anschauen, wenn man die Bücher des Nobelpreisträgers nicht lesen darf? Wie kann man überhaupt so ein Stück schreiben und spielen, wenn man sich mit Handke nicht auseinandersetzt?
Die Frau, die sich beschwert, kommt auf die Bühne und will mitspielen. Sie darf, nach kurzer Diskussion. Natürlich gehört sie zum Ensemble. Der Anfang des „Handke Project“ ist grandios. Autor Jeton Neziraj bezieht sich auf Handkes erstes Theaterstück „Publikumsbeschimpfung“. Eine Hommage, die gleichzeitig eine Vernichtung ist, eine Handke-Beschimpfung.
Dann tritt der Schriftsteller selbst auf, dargestellt als ungelenker Depp in kurzen Hosen. Das „Handke Project“ ist kein abgewogenes Dokumentartheater, im Gegenteil. Mit einer Sadomaso-Szene und vielen Horrorelementen nimmt das Ensemble Handke auf die Hörner. Gesungen wird auch.

Kritik am Schriftsteller

Als künstlerische Mitarbeiterin war die aus Kroatien stammende und in Deutschland lebende Schriftstellerin Alida Bremer dabei. Sie akzeptiert durchaus, dass Handke ein bedeutender Autor ist. Aber gerade deshalb, meint sie, haben seine Äußerungen in einigen Interviews besonderes Gewicht.
„Die Texte bleiben, Texte eines Nobelpreisträgers“, so Bremer. Doch in einigen Texten gebe es eine "Verhöhnung" der Opfer und die "Erhöhung und Rechtfertigung der Täter. Das geht nicht.“
Alida Bremer bezieht sich vor allem auf ein Interview aus dem Jahr 2011. Darin spricht Handke über das Massaker von Srebrenica 1995, in dem die bosnisch-serbischen Soldaten 8.000 muslimische Jungen und Männer getötet haben. Handke erzählt von einem „Racheakt“ und vom „angeblich schlimmsten Massaker seit dem Zweiten Weltkrieg“. Er äußert sich ironisch über die trauernden Mütter.

In Serbien verehrt

Außerdem war Handke ein Freund des serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic, der wegen Völkermord angeklagt war. Milosevic starb vor dem Urteilsspruch, Handke hielt bei der Beerdigung die Trauerrede.
Das Ensemble des „Handke Project“ kommt aus dem Kosovo, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Frankreich und Italien. Drei serbische Schauspieler haben kurz mitgespielt, aber sich dann wieder verabschiedet. Sie befürchteten, in ihrer Heimat keine Arbeit mehr zu bekommen.

Das Stück „The Handke Project“ wird am 16. und 17. Dezember jeweils um 20 Uhr im Studio des Schauspiels Dortmund aufgeführt. Der Eintritt ist frei.

Handke wird in Serbien verehrt, hat viele Preise bekommen, es gibt ein Denkmal, eine Straße soll nach ihm benannt werden. Seit einem halben Jahr ist das Stück nun auf Tour durch Europa.
Autor Jeton Neziray berichtet von unterschiedlichen Reaktionen des Publikums. In Italien fanden die Jüngeren das Stück toll, die Älteren hatten Zweifel. In Sarajevo allerdings war der Abend ein emotionales Ereignis mit weinenden Zuschauern.

Mit den Mitteln der Übertreibung

„The Handke Project“ ist dem heftigen Thema zum Trotz ein kraftvoller und unterhaltender Abend voller Sarkasmus und Ironie. Immer wieder schreitet eine Schauspielerin ein, wenn das Ensemble zu sehr aufdreht. “Sehr sensibles Thema”, ruft sie dann.
Es geht nicht um Handke als Individuum, sagt Jeton Neziray, sondern um das Phänomen Peter Handke, das – wie der Autor sagt – fähig sei, Faschismus unter dem Mantel der Kunstfreiheit zu präsentieren. So schreibt sich das Stück – das übrigens in Deutschland den Untertitel „Die Gerechtigkeit für Peters Dummheiten“ trägt – in eine aktuelle Debatte ein. Wo endet die Freiheit der Meinung und der Kunst, wo beginnt Kriegstreiberei und Hetze?
Es ist erfrischend, dass sich das Ensemble in der Regie von Blerta Neziray dabei weit aus der Deckung wagt und selbst politisch unkorrekt mit den Mitteln der Übertreibung und des Pamphlets arbeitet. Wie auch Peter Handke selbst häufig bewusst provoziert. Ein vielschichtiger, mitreißender Abend, nach dem sich das Diskutieren lohnt.

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