Peter Handke wird 80

Zwischen Provokateur und Waldgänger

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Autor Peter Handke sitzt bei einem Kartenspiel an einem Tisch und hält einen Stift in der Hand.
Peter Handke erhielt 2019 den Literaturnobelpreis, begleitet von Protesten. © picture alliance / Franz Neumayr
Jörg Magenau im Gespräch mit Ute Welty · 06.12.2022
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Peter Handke war ein Rock'n'Roll-Star der Literaturszene. Dann kamen seine Aussagen über Serbien und seine Nähe zu Slobodan Milošević. Seitdem werden die Debatten mehr über ihn als über seine Werke geführt. Nun wird der Schriftsteller 80 Jahre alt.
In "Wunschloses Unglück" (1972) verarbeitet der Schriftsteller Peter Handke das Leben und den Suizid seiner slowenischen Mutter. Für den Literaturkritiker Jörg Magenau zählt es zu den wichtigsten Werken aus dem umfassenden Repertoire des Österreichers. "Aber eigentlich ist Handke ein paradoxer Autor, der keine einzelnen Bücher schreibt, sondern einen endlosen Text."

Ein großer Schreibender

Sein Hauptwerk ist Magenau zufolge daher "sein Gebirge an Notizbüchern". Dieses Konvolut umfasst inzwischen mehr als 35.000 Seiten und ist im Literaturarchiv Marbach digital zugänglich.
Für den Literaturkritiker ist Handke "nicht einfach nur Schriftsteller, sondern eine Schreibexistenz". Das mache das Besondere an ihm aus. "Handlungen und Figuren interessieren nicht. Er schreibt keine großen Romane. Er ist nicht einmal ein guter Schriftsteller, aber ein großer Schreibender."
Für den Lyriker Norbert Hummelt ist Handkes Spätwerk wie "Die Obstdiebin" eine große Herausforderung. Auch ein Fan wie er selbst kommt hier an seine Grenzen. "Aber es sind Bücher, die sehr gewinnbringend sind, wenn man sie immer wieder hervorholt und in ihnen liest."

Lust am Außenseiterstatus

2019 wurde der am 6. Dezember 1942 im Kanton Kärnten geborene Handke mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. In der Begründung wurden sein "Einfallsreichtum" und seine "Spezifität menschlicher Erfahrungen" gelobt. Wegen Handkes umstrittener Einstellung zu Serbien und Jugoslawien wurde die Auszeichnung heftig kritisiert und löste Proteste aus. "Das ist die Idee, die Handke immer noch verteidigt: Jugoslawien als Vielvölkerstart und friedliches Miteinander unterschiedlicher Religionen und Kulturen."
Magenau unterstellt Handke allerdings auch eine gewisse Lust, sich selber ins Abseits zu stellen. Mit seinen Äußerungen "hat er sich in eine Sackgasse manövriert, aus der er nie wieder herausgekommen ist." Schon als junger Mann habe er gerne provoziert, erklärt der Kulturjournalist. Er sei "großkotzig und aggressiv" aufgetreten mit "einer Mischung aus Selbstverliebtheit und Eitelkeit", sei aber auch schüchtern gewesen.
Dabei zieht Handke sich regelmäßig darauf zurück, immer nur als Dichter zu sprechen. Der Lyriker Norbert Hummelt stellt jedoch infrage, ob das als Schutzbehauptung vor Kontroversen zulässig ist: 
"Er hat sich da schon aus seiner Anhänglichkeit an Jugoslawien – das aus dem seinen Großvater kam – in etwas verrannt. Das ist schmerzlich für viele, die sich auch von einzelnen Äußerungen nicht gesehen oder angegriffen fühlen, aber auch für seine Leser. Und ich glaube auch für ihn selbst."

Beharrlichkeit als Stärke

Handkes Beharrlichkeit sieht Jörg Magenau jedoch auch als Stärke. Er dürfe nur die Position des Beobachters nicht verlassen und ideologisch werden, rät der Literaturkritiker. "Das ist ein poetisch-ästhetischer Irrtum vor sich selbst."
Dennoch könne man von ihm lernen, dass es primär nicht ums Rechthaben gehe, sagt Magenau und nennt einen weiteren wichtigen Aspekt in Handkes Leben: Waldspaziergänge. "Der Wald ist ein Raum der Natur, in dem man sich verirren kann, der der Zivilisation entgegengesetzt ist und in dem es auf das Kleine ankommt."  
Zudem sei der Waldgänger eine literarische Figur, die in den 50er Jahren von Ernst Jünger ins Leben gerufen wurde. Er sieht ihn als Typus des "Anarchen und Wiedergängers, der sich dem Zeit- und Weltgeist entzieht". Für Magenau zeige diese Waldgängermentalität eine oft übersehene Facette Handkes.
Der Lyriker Norbert Hummelt glaubt, dass Handkes Bücher allen Kontroversen zum Trotz für die Literaturgeschichte wichtig bleiben: "Die werden weiter gelesen, auch über diese Debatte hinaus. Und das erhoffe ich mir auch."
(lsc) (hte)
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