Telemedizin-Pilotprojekt in Baden-Württemberg

"DocDirect" - Arztbehandlung via Internet

Eine Ärztin sitzt an dem das Pilotprojekts zur Telemedizin "DocDirect" vor ihrem Laptop und hat das Programm geöffnet. Per Telefon oder Videotelefonie bekommen Patienten in Stuttgart und Tuttlingen medizinische Beratung von niedergelassenen Ärzten.
Per Telefon oder Videotelefonie bekommen Patienten im Projekt "DocDirect" in Stuttgart und Tuttlingen medizinische Beratung von niedergelassenen Ärzten. © dpa / Sebastian Gollnow
Von Uschi Götz · 27.06.2018
Die Telemedizin steht in Deutschland noch am Anfang. Dabei könnten mit ihr Engpässe durch den Landärztemangel abgeschwächt werden, die Notfallambulanzen könnten entlastet werden. Nun werden in Baden-Württemberg Modelle getestet - wie etwa "DocDirect".
Dr. Hermann Ehninger schaut auf den Bildschirm. "Patienten im Wartezimmer" steht links oben, darunter die Zahl 1. Weiter unten ist zu lesen: 22-Jähriger seit zwei Tagen Kopfschmerzen. Der Patient hatte bereits mit einer medizinischen Fachangestellten in einer Art Leitstelle telefonischen Kontakt. Nur wenige Minuten sind seitdem vergangen, jetzt klickt Dr. Ehninger auf das Wartezimmer und der Patient erscheint auf dem Bildschirm:
"Ich sehe Sie, Herr Schüler, ich bin Dr. Ehninger."
"Guten Tag."
"Ja, was haben Sie für ein Anliegen, was kann ich für Sie tun?"
"In den letzten Tagen hatte ich wiederholt Kopfschmerzen, vor allem morgens nach dem Aufstehen. Tagsüber werden die schlimmer, ich bin sehr lichtempfindlich…"

Ärzte wurden für die telemedizinische Beraturg geschult

Dr. Ehninger ist Internist und seit sechs Wochen einer von knapp neunzig Teledoktores in Baden-Württemberg, die sich an einem von sechs Modellprojekten beteiligen. Konzentriert schaut der Mediziner auf den Bildschirm, ein junger Mann mit dunklen Locken ist da zu sehen. Der Arzt sitzt in im Sprechzimmer seiner Gemeinschaftspraxis im schwäbischen Esslingen. Der Mann mit den Kopfschmerzen ist ein nachgestellter Fall:
"Ist bei Ihnen eine Migräne bekannt?"
"Ich bin hin und wieder beim Arzt gewesen, wegen Migränen, aber normalerweise waren die nach ein, zwei Tagen weg."
In einem bislang bundesweit einmaligen Modellversuch wird in Baden-Württemberg "DocDirect" getestet. Die Ärzte im Südwesten kooperieren bei diesem Pilotprojekt mit einem deutschen Unternehmen, das sich auf Telemedizin spezialisiert hat.
Teilnehmen können ausschließlich gesetzlich versicherte Patienten in Stuttgart und im Landkreis Tuttlingen. Niedergelassene Ärzte aus ganz Baden-Württemberg sowie Kinder- und Jugendärzte stehen für Beratung zur Verfügung. Alle wurden sie für die telemedizinische Beratung geschult.

Wie steht es um die Datensicherheit?

Dr. Ehninger checkt seinen Patienten gerade durch: "Beugen Sie mal den Kopf nach vorne runter, zur Brust, ganz runter, wie man nickt."
Deutlich ist zu erkennen, wie der junge Mann den Kopf auf die Brust bekommt.
"Jawohl! Das ist jetzt nicht schmerzhaft?"
"Nein"
"Also dann können wir mal…"
Etwa 15 Minuten dauert das Beratungsgespräch, 25 Euro bekommt ein beratender Arzt pro Patient. Dr. Ehninger dokumentiert den Fall, am nächsten Tag wird sich eine medizinische Fachangestellte aus der Leitzentrale noch einmal telefonisch nach dem Wohlbefinden des jungen Mannes erkundigen. Patienten können auch Bilder, etwa Röntgenbilder, dem Telearzt mailen. Ein großes Problem in allen Bereichen der Medizin-Digitalisierung ist dabei jedoch die Frage nach der Datensicherheit.
Bei diesem Modellprojekt darf der beratende Arzt weder ein Rezept noch eine Krankmeldung ausstellen. Sollte das erforderlich sein, oder muss der Patient aufgrund seiner Symptome schnell untersucht werden, stehen sogenannte PEP-Praxen zur Verfügung. In diesem Fall vermittelt die Leitzentrale noch am selben Tag einen Termin in einer vom Patienten gut erreichbaren Praxis. In sehr akuten Fällen wird der Rettungsdienst verständigt.

Entsteht ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis?

Bislang habe er vor allem Patienten beraten, die man sonst auch in einer hausärztlich internistischen Praxis sehe, sagt Hermann Ehninger:
"Es sind Patienten gewesen mit Hautproblemen, dann habe ich schon Patienten gehabt mit Rückenschmerzen oder Schulterschmerzen. Frauen offensichtlich mit Blasenentzündungen oder Patienten, die schon lange wegen eines Bluthochdrucks behandelt werden und Medikamente einnehmen und plötzlich ist der Blutdruck entgleist."
Kritiker der Telemedizin fürchten, es könne so kein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnissen entstehe. Internist Ehninger wiederum sieht wie viele andere seiner Kollegen bei der Fernberatung für Patienten durchaus auch Vorteile:
"Die Schwelle ist niedriger. Die ganze Sache ist etwas anonymer, sie sind nicht so bekannt, wie bei ihrem Hausarzt. Sie können hier nachfragen, also ähnlich wie bei der Telefonseelsorge, die Menschen können ihre Probleme, vielleicht in dieser anonymen Situation etwas besser ausdrücken."
Und doch ist der Mediziner überzeugt, die Telemedizin könne die persönlichen Arzt-Patienten-Beziehung nicht ersetzen.
"Wir stehen also nicht in Konkurrenz mit den niedergelassenen Ärzten, sondern es ist ein zusätzliches Versorgungsangebot. Patienten, die vielleicht keinen Hausarzt finden oder keinen haben oder sich vor einer übervollen Sprechstunde fürchten, die haben die Möglichkeit, niederschwellig anzurufen."

"DocDirect" läuft seit Anfang März

Die Telemedizin soll künftig vor allem überlaufende Notfallambulanzen in Kliniken entlasten. Etwa seit 20 Jahren gibt es die ärztliche Fernbehandlung in der Schweiz, erklärt der Arzt Oliver Erens, Pressesprecher der Landesärztekammer Baden-Württemberg. Wer sich in der Schweiz zunächst an einen Telemediziner wendet, bekommt einen Bonus von seiner Versicherung. Entsprechend groß ist deshalb auch der ärztliche Bedarf:
"Es gibt den einen oder anderen Arzt in Baden-Württemberg, der jeden Tag dort hinfährt und dort telefoniert, mit Schweizer Patienten, und das war klar, dass über kurz oder lang die Frage an die Ärztekammer kommen würde, können wir das nicht im Home-Office machen von Deutschland aus."
Baden-Württemberg musste reagieren und so erklären sich die vielen nun auf den Weg gebrachten Modellprojekte im Südwesten. "Docdirekt" läuft seit Anfang März, ein weiteres Modellprojekt richtet sich an Studierende in Karlsruhe und Heidelberg.
"Für die gibt es eine Anlaufstelle, und es gibt eine erste medizinischer, ärztliche Beratung oder sogar Behandlung, wenn das notwendig ist, für diese jungen Menschen, die vielleicht sogar aus dem Ausland kommen und auch sprachlich Probleme haben, sich an einen niedergelassenen Arzt zu wenden, die sollen aufgefangen werden und versorgt."
Mittlerweile ist auch ein Anbieter aus Großbritannien in Baden-Württemberg an einem Pilotprojekt beteiligt. Bei dem weltweit agierenden Unternehmen sind zwar ausschließlich Ärzte aus Baden-Württemberg beteiligt. Anders als bei "DocDirect" können Patienten in diesem Fall ein Rezept zu bekommen. Das Rezept wird dabei direkt an eine Versandapotheke geschickt, der Patient bekommt sein Medikament direkt ins Haus geliefert.
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