Telegram

Ist es Zeit für die Ultima Ratio?

15:06 Minuten
Ein Smartphone mit Telegram-Logo, das in Händen gehalten wird
Telegram ist ein Hybrid aus Messenger und Social Network, das macht diese App so schwer zu regulieren. © imago images / Bihlmayerfotografie
Tobias Keber im Gespräch mit Teresa Sickert und Tim Wiese · 22.01.2022
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Häufig werden derzeit Maßnahmen gegen App Telegram gefordert. Doch wie sollte eine solche Plattform reguliert werden? Innenministerin Nancy Faeser denkt mittlerweile sogar über Netzsperren nach. Wie verhältnismäßig ist das?
Telegram ist kompliziert. Als Messenger erfreut sich die App großer Beliebtheit. Einmal, weil sie auf jeder Plattform, von Smartphone bis Computer vorhanden ist. Aber auch, weil sie Verschlüsselung verspricht. Also unterhalten sich Familien, Freundeskreise, aber auch Aktivistinnen und Aktivisten in autokratischen Ländern über die App.
Das ist jedoch nur die eine Seite Telegrams. Denn neben der Chatfunktion hat die Plattform auch eine Social-Media-Komponente, auf der sich große Kanäle erstellen lassen und wo man anderen Accounts folgen kann. Und was auf diesem Teil der App passiert, dominiert seit einiger Zeit die Schlagzeilen. Hier verbreiten sich Verschwörungsideologien, Hass und Hetze. (Diese Entwicklung haben wir hier dokumentiert.) Doch welche Konsequenzen sollten Regierung und Justizbehörden ziehen?

Telegram fällt durch die Raster

Eine Option könnte das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz sein, das seit 2017 soziale Medien regulieren soll. Doch so, wie es aktuell formuliert ist, fällt Telegram nicht unter die dort aufgeführte Definition, erklärt Tobias Keber, Professor für Medienrecht und Medienpolitik in der digitalen Gesellschaft an der Hochschule der Medien Stuttgart. Denn diese schließe Dienste für sogenannte Individualkommunikation – also die Chat-Ebene – explizit aus. Um eine hybride App wie Telegram mit einzubeziehen, hält er eine Anpassung des Gesetzes für notwendig.
Doch dass eine solche Änderung des Gesetzestextes das tatsächliche Problem lösen würde, glaubt Keber nicht. Denn schon jetzt hält Telegram sich nicht an geltende Bestimmungen, wie zum Beispiel einen Zustellungsbevollmächtigten aufzuführen. Telegram begründe diese Haltung damit, dass das Unternehmen generell nicht mit Staaten kooperiere, um Meinungs- und Informationsfreiheit auch in autokratischen Ländern zu gewährleisten.

Strafverfolgung auf individueller Ebene

Für sinnvoller hält Keber, die unmittelbar für Hass und Hetze verantwortlichen Personen ausfindig zu machen und zu belangen. Also Beamtinnen und Beamte, die in die meist öffentlich zugänglichen Kanäle gehen und überprüfen, was dort geschrieben wird – oft nicht einmal unter Pseudonym.

Wie ermitteln Strafverfolgunsbehörden wie das BKA auf Telegram? Leon Ginzel hat sich umgehört .

Erst wenn eine Strafverfolgung auf dieser Ebene nicht möglich sei, solle über die subsidiäre Verantwortlichkeit von Infrastruktur-Anbietern wie Telegram nachgedacht werden. Sollte Telegram sich dann diesen Gesuchen entziehen, müsste man einen Schritt weiter oben in der Kette ansetzen: Das wäre dann bei den App-Stores, die Telegram zum Download anbieten.

Netzsperren müssen sorgsam abgewogen werden

Wenn auch diese nicht belangt werden können, käme der Schritt in Frage, den Innenministerin Nancy Faeser vor kurzem als “Ultima Ratio” bezeichnete: Netzsperren, bei denen Anbieter wie Telekom, O2 und Vodafone auf ihrer Ebene einen Zugang zu Telegram blockieren.
Die Möglichkeit für solche Sperren existiere bereits und würde zum Beispiel gegen Seiten, die Urheberrechte verletzen, eingesetzt, erklärt Keber. Doch hier müsse man die Verhältnismäßigkeit bedenken, damit kein sogenanntes “Overblocking” eintritt, bei dem mehr kaputt gemacht wird als unbedingt erforderlich:
“Wenn Sie sich vorstellen, man sperrt einen Dienst komplett, dann bedeutet das, dass dort legale Kommunikation auch nicht mehr stattfinden kann. Und meine These wäre , dass Telegram ganz überwiegend für völlig legale Dinge wie Verabredungen zum Kaffee genutzt wird. Das würde man dann auch alles abklemmen. Und das ist eine sehr, sehr problematische Sache mit Blick auf die Grundrechte.”

Eine EU-Lösung muss her

Statt Telegram auf nationaler Basis zu regulieren, könnte das auch auf EU-Ebene geschehen. Zum Beispiel mithilfe des Digital Services Act, dem diese Woche im Parlament zugestimmt wurde.
Tobias Keber sieht darin eine Chance für mehr Erfolg, da der potenzielle Markt größer und mächtiger würde. Der Digital Services Act sehe dann viele Regeln, die jetzt schon im Netzwerkdurchsuchungsgesetz verankert sind, auch EU-weit vor.
Noch besser sei ein Konsens mit allen 192 Staaten der Vereinten Nationen darüber, wie Kommunikation stattfinden muss und kann. Doch die Chance auf einen Konsens an diesem großen Verhandlungstisch sieht Keber nicht.
(hte)

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