Telefonphobie

Wer hat Angst vor dem klingelnden Handy?

Eine Frau hält ein Smartphone in der Hand und hält sich die andere Hand offenbar vor den Mund.
Oft fällt es leichter, eine Nachricht zu schreiben, als ans Telefon zu gehen. Denn beim direkten Gespräch lässt sich der Text nicht ändern. © picture alliance / dpa / Helena Dolderer
Viele Menschen vermeiden es, zu telefonieren. Besonders junge Menschen zwischen 16 und 29 Jahren rufen ungern an. Dafür schicken sie lieber Nachrichten über Whatsapp, Instagram und TikTok. Woher kommt die Telefonphobie?
Das Telefon klingelt, der Hals wird eng und die Brust ist wie zugeschnürt. Auf der To-do-Liste steht außerdem ein dringender Anruf bei der Versicherung oder beim Amt, wird aber immer wieder verschoben.
Sogenannte Telefonangst ist kein seltenes Phänomen: Rund ein Drittel der Deutschen hat schon einmal aus Sorge vor dem Telefonieren notwendige Anrufe aufgeschoben, wie aus einer Studie des Branchenverbands Bitkom hervorgeht. Woher kommt die Abneigung gegenüber dem Telefonhörer und was lässt sich dagegen tun?

Gen Z oder Boomer: Wen betrifft die Angst vor dem Telefonieren besonders?

Das Phänomen kommt grundsätzlich altersübergreifend vor. Laut der repräsentativen Umfrage von Bitkom sind aber besonders jüngere Menschen im Alter von 16 bis 29 Jahren betroffen. Sie sind gewohnt, mit Kurznachrichten über digitale Medien wie Whatsapp, Instagram oder TikTok zu kommunizieren. Termine beim Friseur oder beim Arzt vereinbaren sie lieber per Mail oder über eine Buchungsplattform.
Dass die Angst vor dem Telefonieren vermehrt bei jüngeren Menschen auftaucht, ist für Nadine Wolf, Fachärztin für Psychiatrie am Universitätsklinikum Heidelberg, gut nachvollziehbar. Digitale Medien mit Chat- oder Sprachnachrichtenfunktion dominieren den Alltag der Generation Z. „Der unmittelbare spontane Austausch per Telefon wird dadurch kaum mehr genutzt und dadurch auch nicht geübt. Alles, was nicht geübt wird, wird natürlich schnell ungewohnt“, sagt Wolf.

Whatsapp, Emojis und Reaktionszeit: Was sind die Ursachen für Telefonangst?

Viele der Betroffenen fürchten, beim Telefonieren auf unvorhergesehene Fragen oder Themen nicht angemessen reagieren zu können. So ging es auch der Bestseller-Autorin und Wissenschaftsjournalistin Nicola Schmidt. „Ich hatte vor allen Dingen diese Angst, keine Grenze setzen zu können“, beschreibt sie die Situation.
Dieses Gefühl sei dabei mit verschiedenen Angstszenarien verbunden gewesen: Wie etwa die Vorstellung, jemand könne sie aus Unzufriedenheit im Telefongespräch einfach angreifen. Oft habe sie befürchtet, dass eine Situation am Telefonhörer eskalieren könne. „Aber das ist natürlich nie passiert.“ 
Besonders die Befürchtung, auf unvorhergesehene Fragen oder Themen nicht angemessen reagieren zu können, löst bei Betroffenen also Sorgen aus. „Die Angst vor dem Telefonieren entsteht heute oft, weil wir uns an Nachrichten gewöhnt haben, bei denen wir Zeit zum Formulieren haben – während ein Anruf schnelle Reaktion erfordert, ohne die Möglichkeit, nonverbale Signale oder Emojis zur Unterstützung zu nutzen“, sagt Sebastian Klöß, Teamleiter bei Bitkom.
Auch der Philosoph David Lauer beschreibt die Angst vor dem Telefonanruf als eine Erscheinung, die sich infolge der digitalen Medien herausgebildet hat: Sie drückt das Verlangen nach einer spezifischen Form von Kommunikation aus, die ständige Erreichbarkeit und Verbundenheit bei größtmöglicher Distanz ermöglicht. Diese Kommunikationsform schafft Nähe und Intimität, während sie das Risiko, verletzt zu werden, minimiert. In einem Telefonat dagegen fühlen sich Betroffene von Telefonangst ungeschützt und exponiert.
Deswegen schreiben vier von zehn Personen ihren Freunden und der Familie lieber eine Textnachricht als sie direkt anzurufen. Mehr als ein Drittel der Befragten geben dabei an, dass sie sich eine Ankündigung wünschen, bevor sie angerufen werden. Besonders jüngere Menschen, die mit Kurznachrichten aufgewachsen sind, empfänden spontane Telefonate häufig als aufdringlich oder unangenehm.

Angststörungen: Wann wird Telefonphobie bedenklich?

Die Telefonangst ist keine eigenständige Diagnose, sagt die Psychiaterin Nadine Wolf. Sie komme vielmehr im Rahmen von sozialen Angststörungen vor. Typisch dafür sei eine übermäßige Angst vor negativen Bewertungen in sozialen Interaktionen. Eine gewisse Beklemmung vor Telefongesprächen zu empfinden, muss nicht gleich als problematisch verstanden werden oder gar als ein ernst zu nehmendes Krankheitssymptom. Es sei legitim, sich im Alltag für Kommunikationswege zu entscheiden, die einem persönlich besser passen, meint Wolf.
Kritisch wird es, wenn das Vermeiden von Telefonaten beginnt, den Alltag einzuschränken. Gerade im Job können Telefongespräche wichtig sein, oder wenn es um Arztkontakte oder sogar Notfallsituationen geht. Wenn dadurch Nachteile oder gar Schaden entstehe, bestünde auf jeden Fall klarer Handlungsbedarf, sagt Nadine Wolf.
An diesen Punkt ist auch die Autorin Nicola Schmidt gekommen: „Bei mir war es tatsächlich so weit, dass ich Telefonate so weit rausgeschoben habe, dass Deadlines verstrichen sind“, so Schmidt. Deswegen entschied sich die Autorin schließlich, daran etwas zu ändern. 

Telefontage und Notizzettel: Wie lässt sich die Angst vorm Handyklingeln behandeln?

Die Angst vor dem Telefonieren lässt sich überwinden. Betroffenen, die ernsthafte Schwierigkeiten haben und denen es schwerfällt, diese alleine zu bekämpfen, empfiehlt Nadine Wolf eine psychotherapeutische Behandlung.
In leichteren Fällen kann viel mit Selbsthilfe erreicht werden. Dafür schlägt Wolf ein Vorgehen vor, das bei der Behandlung von Phobien generell angewandt wird: Exposition in kleinen Schritten. "Exposition bedeutet, dass ich mich gezielt und dosiert mit dieser gefürchteten Situation auseinandersetze", sagt Wolf.
Idealerweise geschehe das schrittweise in einem klar definierten Zeitrahmen, sprich: Man beginnt mit einfachen Situationen, telefoniert also beispielsweise erst einmal mit Freunden. Später ließe sich das auf berufliche oder schwierige Telefonate ausweiten. Stehen solche an, kann es helfen, sich vorab Gedanken zu machen, was man sagen will – und dies in Stichpunkten zu notieren.  Das Ziel sei, irgendwann keine Hilfsmittel mehr zu benötigen.
Auf ähnliche Weise hat die Autorin Nicola Schmidt ihre Angst überwunden:  Sie begann damit, einmal in der Woche einen Telefontag einzuführen. An diesem Tag telefonierte Schmidt mit ihren Freunden und ließ sie wissen, dass sie auch bei ihr anrufen können. Das hatte den Vorteil, dass sie sich nur an einem Wochentag auf Telefongespräche einstellen musste. „Das habe ich tatsächlich ein Jahr lang superkonsequent gemacht und das hat sich dadurch immer weiter verbessert“, sagt Schmidt. Das ist bereits zwei Jahre her. Heute kann sich Nicola Schmidt kaum noch daran erinnern, dass sie einmal Angst vor dem Telefonieren hatte.

tan
Mehr zum Thema Telefon und digitale Medien