Technikphilosoph: Wir müssen alarmiert sein

Moderation: Katrin Heise · 12.12.2011
Gesichtserkennungssoftware werde immer besser und schneller, warnt der Sicherheitsforscher Sandro Gaycken von der FU Berlin. Ob bei Google+ oder Facebook: Sie sei in der Lage, große Datenmengen automatisiert zu analysieren. Dies könnte Betrügern Tür und Tor öffnen.
Katrin Heise: "Find my face" heißt die automatische Gesichtserkennung, die Google gerade für sein soziales Netzwerk Google+ einführt. Aus den Fehlern und dem Ärger des Konkurrenten Facebook hat man gelernt, bei Google funktioniert das so: Ein Nutzer lädt Fotos von sich hoch und gibt sie für die Gesichtserkennung frei, nur so kann dieser Nutzer auf Fotos im Netz von Bekannten identifiziert und markiert werden, aber eben erst, wenn der Nutzer sein Okay gegeben hat. Bei Facebook muss der Nutzer sich dagegen aussprechen, sonst läuft die Gesichtserkennung im Netzwerk automatisch. Das ist der Unterschied. Bei beiden Systemen werden Fotos mit im Netz gesammelten Informationen verknüpft.

Was das bedeutet für die Privatheit, für die Intimität, das interessiert mich jetzt. Ich begrüße Sandro Gaycken, er ist Technikphilosoph und Sicherheitsforscher an der Freien Universität Berlin und arbeitet zurzeit an einem neuen Reader zu Überwachungstechnologien. Schönen guten Tag, Herr Gaycken!

Sandro Gaycken: Guten Tag!

Heise: Da sowohl Google als auch Facebook ihre Deutschlandzentralen in Hamburg haben, ist auch immer der Hamburger Datenschutzbeauftragte gefragt. Jener Johannes Caspar ist mit der Google+-Variante der Gesichtserkennung ja einverstanden, ist das Ihrer Meinung nach auch, dass da der Datenschutz gesichert ist?

Gaycken: Das ist natürlich, wenn es jetzt in diesem engen Kontext bleibt und man sagt tatsächlich, man gibt die Erlaubnis explizit für diese Fotos, dass die veröffentlich werden, ist das völlig in Ordnung. In dem Moment gibt man ja dem Nutzer die Wahl und der kann da eine informierte Entscheidung treffen, wenn er denn sich die Mühe macht, sich über die Nebenwirkungen vielleicht auch ein bisschen zu informieren vorher. Von daher ist das aus Datenschutzperspektive natürlich okay.

Heise: Aber jetzt ist ja, Sie haben ja auch den Zusatz gegeben, wenn es in diesem eng umgrenzten Feld bleibt: Ist das eigentlich möglich, Datenschutz auf Dauer zu gewährleisten bei der Flut von möglichen Verknüpfungen? Ich hörte neulich die Geschichte oder las sie, ein am Strand von einem Fremden fotografiertes Mädchen, das allerdings bei Facebook aktiv ist und dessen Gesicht also dann erkannt wurde, als dieses Foto ins Netz gestellt wurde, und dann war da plötzlich ein von ihr oben ohne niemals freigegeben wordenes Foto mit ihrem Namen verknüpft eben im Netz. So was ist ja dann doch möglich, oder?

Gaycken: Ja. Ja, das sind natürlich die Ausreißer, die jetzt immer wieder möglich sind, und das ist eigentlich auch der Punkt, wo wir ein bisschen alarmiert sein müssen, nämlich dass es diese Software überhaupt gibt. Gar nicht so spezifisch, ob das jetzt bei Google+ ist oder bei Facebook, sondern dass es die überhaupt gibt. Das ist also etwas, was wir schon seit Längerem beobachten, dass diese Gesichtserkennungssoftwaren immer besser werden und immer schneller werden und tatsächlich auch in der Lage sind, jetzt große Datenmengen automatisiert abzugreifen, zu durchforsten, zu analysieren.

Das hat natürlich ganz massive Implikationen für die Privatsphäre, denn die werden natürlich dann auch von Akteuren benutzt werden wie zum Beispiel illegalen Data-Minern, die also versuchen, Beziehungen zwischen Personen herzustellen und gezielte Werbung zu machen, vielleicht auch Kreditkartenbetrügereien anzufangen. Die fangen jetzt inzwischen auch so an, dass sie sehr gezielt vorgehen und sich genau über die Netzwerke informieren und wer mit wem verbunden ist. Das sind natürlich dann Sachen, die ein bisschen problematischer sind.

Und ein anderer ganz großer Bereich, in den das auch noch reinfällt, ist dann auch die konventionelle Überwachung mit Kameras in dem alltäglichen Straßenbild, denn auch die laufen natürlich inzwischen mit Chips auf Hardware und können dann halt eben mit so einer Software auch arbeiten, wenn die Auflösung gut genug ist ...

Heise: ... und da gibt natürlich keiner sein Einverständnis, da wird auch keiner gefragt ...

Gaycken: ... da gibt natürlich keiner sein Einverständnis, aber das ist natürlich was, woran sehr viele ein sehr großes Interesse haben, insbesondere natürlich in repressiven Regimen. Da besteht also ein sehr reges Interesse daran, diese ganze Software auch in der Straßenüberwachung einzusetzen.

Heise: Ich würde gerne noch mal von dieser Art von Nutzung der Gesichtserkennung noch mal zurückkommen kurz auf das, womit wir eingestiegen sind, also gerade, was diese sozialen Netzwerke angeht und diese Nutzung. Beispiele, wo ich gesagt habe, auf einer Party, man steht jemandem gegenüber, fotografiert den kurz heimlich, fragt dann ab und weiß dann, wer er ist und auch mit wem er früher zusammen war und so weiter, was weiß ich, was da alles dann drin steht. Peter Fleischer von Google, der Datenschutzbeauftragte, sagt, das sei wahrscheinlich schon möglich, aber das sei so gruselig, dass man das natürlich niemals umsetzen würde. Glauben Sie das?

Gaycken: Ich denke schon, dass das möglich ist, ja. Das sollte technisch dann kein Problem sein, das noch zu machen.

Heise: Aber eben so gruselig laut Fleischer, dass man das nicht umsetzen würde? Also, dass man da tatsächlich dann auch von Netzwerkbetreibern her sagt, da ist unser Ende?

Gaycken: Na, man muss mal gucken, wie die rechtlichen Rahmenbedingungen sind, die sind dann teilweise auch an verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich. Was hier in Deutschland erlaubt, verboten sein mag, wir haben ja hohe Standards für Datenschutz, ist vielleicht dann rechts und links in Frankreich oder sonst wo völlig legal und kann natürlich dann auch … die können natürlich auch auf die gleichen Fotos zugreifen. Und dann muss man immer sehen, wo dann auch ein geschäftliches Interesse entstehen kann. Also, wenn da irgendwie ein Dollar damit zu machen ist oder ein Euro, dann gibt es auch Leute, die das irgendwie umsetzen werden.

Heise: "Find my face", was bedeutet automatische Gesichtserkennung im Netz für unsere Privatsphäre, für Intimität? Ich spreche mit Sandro Gaycken. Herr Gaycken, glauben Sie, dass Gesichtserkennung unser Gefühl – also, Sie haben es ja, Sie haben die Gesichtserkennung, die eingesetzt wird in Überwachungsmaßnahmen oder in Überwachungstechnologie, aber jetzt auch in diesem privaten Bereich, der dann auch mehr oder weniger privat halt genutzt wird, in den Netzwerken eben ... –, dass sich das Gefühl, ich werde jederzeit erkannt sein oder kann jederzeit erkannt sein, dass das was ändert an unserem Verhalten?

Gaycken: Ja, ich meine, das ist natürlich eine riesige Debatte in der Wissenschaft. Ob wir jetzt in so eine Post-Privacy-Gesellschaft reingestoßen werden, wo Privatheit und Intimität gar keine Rolle mehr spielen, weil alles öffentlich ist, oder ob wir dann halt – das wäre das andere Extrem – uns völlig zurückziehen, in uns zurückziehen und gar nichts mehr publizieren und Angst davor haben, dass vielleicht irgendwelche Sachen passieren.

Eigentlich müsste man sagen, wenn wir das jetzt ein paar Jahre beobachtet haben, wir sind ja jetzt auch ein bisschen schon länger drin, dass sich so unser Empfinden dazu noch nicht so sehr geändert hat, gerade was so diese Netzwerke wie Facebook und solche Dinge angeht, weil die Kontexte ja doch eigentlich recht eng beschränkt sind. Also, ich kann ja genau sagen, für wen was frei gegeben ist, und in der Regel ist es ja auch so, dass irgendwelche Fremden sich jetzt nicht übermäßig für jedes einzelne Facebook-Profil interessieren werden, das wäre so zeitaufwendig und irrelevant, also, dass man eigentlich immer noch in den gleichen sozialen Bedingungen lebt. Die haben sich halt digitalisiert, die sind prinzipiell auch für jeden zugänglich.

Aber ich muss auch sagen, wenn ich mich natürlich an der Straßenecke mit meinen Freunden treffe und da in die Kneipe gehe, ist das auch für jeden zugänglich, die können auch in die Kneipe kommen und mir zugucken. Von daher hat sich da jetzt im Empfinden noch nicht so wahnsinnig viel geändert und da kann man auch sagen, es ist einigermaßen gerechtfertigt. Auch wenn natürlich einige Nebenwirkungen nicht dabei sind.

Aber wir haben dann andererseits in – das ist insbesondere auch in Deutschland zu beobachten aufgrund der historischen Erfahrungen, die wir hatten, auch ein ganz anderes Verhältnis, wenn diese Kontexte dann plötzlich in staatliche Überwachung gehen. Da ist man also sehr viel skeptischer und sehr viel ängstlicher und vorsichtiger, natürlich auch auf dem Hintergrund, dass wir zwei totalitäre Regime hier hatten in unserem Land, die auch auf Überwachung basiert sind.

Heise: Das heißt, Sie würden, die problematische Komponente würden Sie dann eher bisher noch beschränkt sehen auf eben die Überwachung, die Nutzung von Gesichtserkennung in Überwachungstechnologie? Was so diesen Netzwerkcharakter da angeht, da würden Sie nicht sagen, dass man sich dann irgendwann eine Selbstzensur beispielsweise auferlegt oder falsche Identitäten ins Netz stellt, um eben gar nicht identifiziert werden zu können?

Gaycken: Wir sehen das noch nicht so. Wir sehen das natürlich bei einigen Extremisten sozusagen, Datenschutzextremisten, die dann entweder sich ganz zurückziehen wollen oder die tatsächlich solche falschen Profile erstellen, um sich zu tarnen oder so was. Aber das sind dann tatsächlich auch sehr spezielle Communitys, die sich sehr intensiv mit dem Thema Datenschutz auseinandersetzen und da halt eine eigene Anforderung haben. So das Gros der Leute ist da bei Weitem nicht so kritisch, und meiner Meinung nach auch zu Recht. Also, so die Realschäden, die dadurch entstehen, sind noch relativ überschaubar, wie gesagt, kleinere Betrugsgeschichten oder gezielte Werbung. Das ist aber alles noch nicht so groß, dass man sich da jetzt groß Sorgen machen müsste.

Heise: Und dass überhaupt, beobachten Sie das nicht, dass zum Beispiel Jugendliche ein ganz anderes Verhältnis überhaupt zu Privatheit haben, dass sie also viel mehr öffentlich machen wollen und das Problem gar nicht haben, da bestimmte Dinge, damit hinterm Berg halten und so was?

Gaycken: Na, das ist eben das, was ich meinte: Es ist halt eben nicht so öffentlich. Wenn man bei Facebook was veröffentlicht, dann ist das für die Freunde. Und man rechnet schon damit, dass ein größeres ...

Heise: ... die ja zum Teil sehr groß sind ...

Gaycken: ... ja natürlich, man rechnet schon damit, dass es zum Teil ein sehr großes Netzwerk ist, und das ist auch, was man sieht, was viele in ihre Rechnung einbeziehen, dass also auch die Feindin auf dem Pausenhof das dann sieht. Das ist also so was, was schon eine Rolle spielt. Aber man rechnet im Grunde genommen nicht damit, dass jetzt wirklich die große, weite Welt und alle möglichen Akteure das jetzt mitlesen.

Heise: Das heißt, Sie würden sagen, wo wir ein viel größeres Auge drauf haben müssten, viel wachsamer sein müssten, ist halt, was staatliche Zugriffsmöglichkeiten angeht, was Überwachungstechnologie angeht?

Gaycken: Ja, natürlich, also, das ist sehr viel gefährlicher, da sind also auch sofort Grundrechte von uns mit im Spiel, die auch ohne Weiteres sofort gefährdet sind, wo dann auch Pfeiler des Rechtsstaates gefährdet sind, die Unschuldsvermutung zum Beispiel, dass ich im Grunde genommen ja niemanden beobachten darf, der sich nicht schon schuldig gemacht hat für irgendwas. Und das sind also Sachen, da sind schon sehr wichtige Grundvorstellungen von uns im Wanken begriffen, da müssen wir sehr viel vorsichtiger sein.

Heise: Danke schön, Sandro Gaycken, Technikphilosoph und Sicherheitsexperte an der Freien Universität Berlin über das Verhältnis von Gesichtserkennung und Internet und was das Ganze mit unserer Privatheit macht. Danke schön, Herr Gaycken!

Gaycken: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema