"Auf Facebook entscheidet immer der Algorithmus"

Max Schrems im Gespräch mit Frank Meyer · 30.09.2011
Einen "riesigen Pool an Verantwortungslosigkeit" nennt Max Schrems das soziale Netzwerk. Der Student aus Österreich hatte von Facebook seine Datensammlung angefordert - und bekommen. Jetzt hat er 22 Klagen gegen das Unternehmen gestartet.
Frank Meyer: Ein Student aus Österreich bringt den Giganten Facebook mit seinen 800 Millionen Nutzern in Verlegenheit. Der Jurastudent Max Schrems hat seine Datensammlung bei Facebook angefordert und tatsächlich bekommen. Diese Sammlung zeigt, Facebook speichert auch die Daten, die die Nutzer eigentlich löschen wollen. Das heißt, Facebook bestimmt, welche Informationen über seine Nutzer in der Welt sind und nicht die Nutzer selbst. Max Schrems ist jetzt in Wien für uns im Studio. Seien Sie willkommen!

Max Schrems: Willkommen!

Meyer: Herr Schrems, warum haben Sie diese Datenanforderung überhaupt auf sich genommen? Das war ein ziemlich mühsamer Weg. Wollten Sie Facebook entlarven, was hatten Sie vor?

Schrems: Angefangen hat das Ganze, dass ich das letzte Semester in den USA studiert hab, dort im Silicon Valley, wo diese ganzen Firmen sind, und dort auch mit einem Vertreter von Facebook geredet habe. Und ich war dort der einzige Europäer sozusagen in der Gruppe und die haben halt europäisches Datenschutzrecht erklärt.

Und das war nicht ganz das, was wir unter europäischem Datenschutzrecht in Europa verstehen, und daraufhin habe ich dann sozusagen mal ein Paper dazu geschrieben, und nachdem man da irgendwie Unterlagen auch braucht, haben wir eben diese Datensätze angefordert. Das ist ein bisschen hin und her gegangen, mit ein bisschen den Versuchen abzuwimmeln und so weiter, und am Ende habe ich jetzt zum Beispiel 1200 Seiten von Facebook bekommen auf einer CD.

Was halt wirklich spannend dran war, war eben, dass auch diese ganzen gelöschten Daten drinnen sind. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob sie das absichtlich geschickt haben oder irgendein Fehler unterlaufen ist, aber natürlich ist das ein "Skandal", dass dem User gesagt wird, du kannst alles jederzeit löschen, und wenn du willst, ist es weg, und in Wirklichkeit bleibt es dann alles weiter im Hintergrund gespeichert, es wird nur sozusagen vorm User versteckt. Und das hat natürlich mit Fairness und so weiter nicht wahnsinnig viel zu tun.

Meyer: 1200 Seiten Material für drei Jahre Facebook-Mitgliedschaft, das ist eine Menge Material. Was sind das alles für Daten, die da drin stecken?

Schrems: Es ist eine wahnsinnige Masse. Es sind 57 verschiedene Datenkategorien, das fängt an von den banalen Sachen, die man selber aufs Profil drauf stellt, über Sachen, die Facebook selber generiert, wie zum Beispiel aus allen Nutzerdaten rechnet sich Facebook, was die letzte Location des Users war.

Beispielsweise ziehen Sie da wahrscheinlich die Daten raus, wenn man Fotos hochlädt, zum Beispiel vom iPhone, da wird die Geolocation mit gespeichert, und Facebook wertet das dann alles aus. Also ich lade dieses Foto auf Facebook hoch und Facebook weiß dann, wo ich zu diesem Datum um dieser Uhrzeit war. Und aus ganz vielen …

Meyer: Das heißt, Facebook verfolgt meinen Weg durch die Welt. Anhand ganz unterschiedlicher Datenquellen will Facebook herausbekommen, wo ich bin.

Schrems: Genau, also das ist genau das Problem, was Facebook hat, weil Facebook ist ja eigentlich schon eine Plattform, wo verschiedene einzelne Funktionen zusammenfinden. Es hat ja vorher schon weiß Gott YouTube gegeben und Flickr zum Foto hochladen und Blogs und so weiter, und Facebook verschneidet jetzt alle diese Daten, weil es alle diese Daten auf einer Plattform hat.

Meyer: Sie haben ja schon gesagt, brenzlig wird es da, wo Facebook auch Daten speichert, die die Nutzer eigentlich löschen wollen, weil sie sie überflüssig finden, oder weil sie sie auch peinlich finden oder weil sie sie auch gefährlich finden – wer weiß –, aber Facebook vollzieht diese Löschungen nicht nach. Welche Beweise haben Sie dafür gefunden in ihrem 1200-Datensatz?

Schrems: Das Schöne ist, der Beweis liegt schön auf, weil zum Beispiel bei den Nachrichten direkt drüber steht deleted true, also gelöscht richtig, und dann kommt die Nachricht drunter. Also da gibt es auch nicht mehr sehr viel Diskussionsspielraum. Da ist Facebook einfach volle Wäsche in der Tinte. Es gibt zum Beispiel auch Datenkategorien, die heißen removed friends, also gelöschte Freunde, und dort findet man dann seine weiß Gott 50, 60 Freunde, die man gelöscht hat oder die einen gelöscht haben. Ist übrigens teilweise sehr spannend, welche Freunde einen irgendwann mal gelöscht haben, …

Meyer: Das sieht man auch, wie …

Schrems: … da lacht man teilweise …

Meyer: … wie die anderen auf einen reagiert haben, sieht man auch?

Schrems: Genau, wobei man zu dem allen dazu sagen muss, das sind alles erst sozusagen die nicht spannenden Daten, weil: Was Facebook macht laut seiner Nutzungsbedingungen, ist, dass es zum Beispiel auch über diese "Gefällt mir"-Knöpfe, die im ganzen Internet verteilt sind, genau nachvollzieht, welche Leute auf welche Webseiten klicken. Das heißt, ich gehe zum Beispiel auf die Website von irgendeiner Tageszeitung, und dort ist dann dieser Knopf drauf, und dieser Knopf wird von Facebook geladen, und dadurch weiß Facebook, dass ich diese Seite besucht habe, und diese Daten dann auch alle gespeichert. Ich glaube, derzeit heißt es 90 Tage bei Facebook.

Und diese Daten mussten uns natürlich auch zugeschickt werden. Und da hat Facebook bisher gesagt, dass genau diese heikleren Daten – da gibt es ja eine ganze Liste von anderen auch noch – eben ihr geistiges Eigentum sind und Betriebsgeheimnis und sonst irgendwas, und deswegen sollen wir es nicht kriegen, wobei ich nicht glaube, dass diese Argumentation irgendwie fruchtbringend sein wird.

Meyer: Was ist für Sie jetzt eigentlich im Kern das Beunruhigende daran oder das Beunruhigende daran, dass Facebook so viele Daten über Sie speichert?

Schrems: Na ja, man kann auf mehreren Ebenen sagen, erstens, wir kennen das von allen Internetunternehmen, dass sie früher oder später irgendwann einmal ein Loch haben, und dann fließen diese Daten ins World Wide Web, und dort bekommt man sie natürlich nie wieder zurück. Deswegen ist es, umso weniger Daten, um so besser in diesem Fall.

Zweitens sind diese ganzen Daten natürlich auch in den USA gespeichert, wo es seit dem 11. September sehr laxe Regeln gibt mit dem Patriot Act und so weiter, wo auch die Behörden dort relativ leicht zugreifen können. Und welche Behörde lässt sich schon 1200 Seiten schön recherchierte Daten über jemanden entgehen, ne?

Und das Dritte ist auch, dass Facebook selber teilweise seine Funktionen alle verändert und jetzt zum Beispiel diese Timeline einführt, wo auf einmal diese ganzen Daten, die man schon längst wieder vergessen hat, aus dem Keller rausgekramt werden und auf einmal wieder auf dem Präsentierteller sind, ne? Das heißt, der User sitzt auf einem Riesenhaufen, weiß nicht, was er mit tun kann, hat keine wirklichen, sinnvollen Möglichkeiten, das irgendwie zu dezimieren oder irgendwie zu kontrollieren, und Facebook kann irgendwas damit tun oder eben auch Fehler damit machen. Und das ist eigentlich das wirklich Beunruhigende dran.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit Max Schrems, der die Datensammelwut von Facebook offengelegt hat. Sie haben ja gerade dieses neue Timeline-Projekt angesprochen von Facebook. Das ist ja auf einer Seite erst mal ein faszinierender Gedanke: Ich habe da ein virtuelles Archiv, da kann ich in zehn Jahren nachschauen, was habe ich eigentlich damals noch mal im September 2011 getrieben, und finde da die Angaben dazu wieder.

Auf der anderen Seite aber ist ja nun die Frage: Wer entscheidet, welche Informationen über mich bei Timeline gespeichert und offenbart werden? Nach derzeitigem Stand, was würden Sie sagen, entscheidet der Nutzer oder entscheidet Facebook?

Schrems: Auf Facebook entscheidet immer der Algorithmus, und man kann dann als User einzelne Knöpfchen drücken und mit sehr viel Mühe dann irgendwelche einzelnen Sachen verstecken und so weiter, aber warum soll sich der User damit auseinandersetzen müssen, wenn er seine Timeline gar nicht will.

Also was wir wollen, ist Userkontrolle. Wenn irgendjemand seine Timeline haben will, soll er ein Opt-in machen und sagen, bitte haut mir das da drauf, aber warum sollen User, die eigentlich davon nie was hören wollten und auf Facebook eigentlich nur ganz normal kommunizieren wollten, jetzt auf einmal sich damit beschäftigen müssen, da ihre letzten drei Jahre irgendwie fein säuberlich so zu verstecken, dass es nicht wahnsinnig peinlich wird.

Da fährt Facebook einfach volle Wäsche rein, ohne dass sie irgendwelche Leute fragen und sagen einfach: Das ist, was unsere Nutzer wollen. Ich glaube, dass gerade in Kontinentaleuropa die meisten Nutzer das überhaupt nicht wollen. Facebook ignoriert das aber vollkommen, und das ist rechtlich bei uns auch ein bisschen das Problem, dass es bei Datensätzen eigentlich immer einen Controller geben muss, also einen, der sozusagen die Macht drüber hat.

Und Facebook sagt bis heute eigentlich nicht, wer die Macht über diese Daten hat. Das ist was, was normalerweise standardmäßig in solchen allgemeinen Geschäftsbedingungen definiert wird, ne? Und bei Facebook weiß eigentlich niemand genau: Wer ist rechtlich verantwortlich für das, was da drauf steht? Bin ich, wenn ich irgendwas Böses drauf poste, als User hauptsächlich verantwortlich, ist Facebook mitverantwortlich, wer ist verantwortlich für die ganze nachherige Aggregation von diesen Sachen und die Werbungen, die geschaltet werden und so weiter? Das ist einfach ein riesiger Pool an Verantwortungslosigkeit. Im Zweifelsfall sagt Facebook immer: Der User ist für alles schuld und wir nehmen uns alle Rechte raus. Aber das funktioniert natürlich im europäischen Recht auch nicht wirklich so.

Meyer: Herr Schrems, jetzt haben Sie uns ganz klar gemacht, welche Vorbehalte Sie gegen Facebook haben, aber soweit ich gehört habe, wollen Sie trotz allem Facebook-Nutzer bleiben. Warum das denn? Es gibt doch Alternativen.

Schrems: Welche Alternativen?

Meyer: Google+ zum Beispiel?

Schrems: Ja, das ist ja genau das gleiche in grün. Wir haben derzeit das Problem, dass das eine geschlossene Plattform ist. Also nicht wie zum Beispiel E-Mail oder Internet, wo es X Provider gibt und man kann sofort zu jemandem anderen gehen, sondern man hat eigentlich ein Monopol. Und dort, wo die Freunde sind, muss man praktisch auch hin gehen, wenn man Social Networking betreiben will.

Und da ist unser Ansatz: Es gibt die eine Möglichkeit, den Kopf in den Sand zu stecken und zu sagen, ich verweigere das vollkommen, oder es gibt die Möglichkeit zu sagen, verbessern wir es, in dem wir ihnen einfach mal sagen, liebe Leute, wenn ihr in Europa Geschäfte macht, haltet euch an europäische Gesetze. Ich lasse mir bloß sozusagen ein Social Networking, ein System, was eigentlich relativ cool ist, von einem Konzern nicht madig machen und lass mich da nicht rausekeln. Weil wenn wir das weiß Gott mit Internet und E-Mail und Co. machen würden, dann wären wir wahrscheinlich heute noch in der Zeit, wo keiner ein Handy haben könnte.

Meyer: Sie haben ja nun 22 Klagen gegen Facebook angestrengt. Können Sie uns die – sagen wir mal – drei wichtigsten Punkte nennen, die Sie erreichen wollen zur Verbesserung von Facebook?

Schrems: Man kann es vielleicht zusammenfassen in erstens Transparenz, also sagt bitte mal klar, was wir überhaupt mit euren Daten tun. Ich habe monatelang diese Geschäftsbedingungen und alles studiert, und ich kann Ihnen heute noch nicht sagen, was Facebook mit meinen Daten wirklich tut.

Das Zweite ist sozusagen User-Kontrolle, dass der Nutzer selber entscheidet, was über ihn auf Facebook herumschwirrt, und das auch wieder einfangen kann. Und das Dritte, was uns relativ wichtig wäre, wäre – Schlagwort dabei ist digitales Vergessen. Das probiert auch die EU-Kommission derzeit irgendwie auf europäischer Ebene einzuführen, zu sagen, diesen ganzen Blödsinn, der vor Jahren irgendwann einmal herum geschwebt ist, und der heute eigentlich keinen Menschen mehr interessiert, gehört eigentlich vollkommen gelöscht.

Was unsere Traumidee ist sozusagen, ist, dass es auf Facebook eine Funktion gibt, wo ich sage: Alle Daten, die älter sind als ein, zwei, drei Monate – was auch immer der Nutzer persönlich will –, sollen automatisch gelöscht werden, weil dann bin ich viele Sorgenfalten los, weil ich weiß, dass irgendein Post, den ich vor drei Jahren auf irgendeiner Seite gemacht habe, mir heute nicht mehr auf den Deckel fliegen wird.

Meyer: Herr Schrems, wie ist das eigentlich, wenn man bei Facebook aussteigen will? Kann man dann alle seine Daten löschen lassen? Dazu gibt es ja ganz verschiedene Stimmen.

Schrems: Derzeit würde ich sagen, ja, weil Facebook in seinen Nutzungsbedingungen, in den neuesten, sagt, man kann jederzeit sein Konto löschen und sagt nichts, dass irgendwelche Daten noch weiter gespeichert werden. Das ist erst seit eineinhalb Monaten cirka so. Davor war es so, dass Facebook gesagt hat, ihr könnt es löschen, aber wir behalten noch einen nicht genauer beschriebenen Haufen von Daten von euch zurück. Derzeit würde ich sagen rechtlich – weil sie es sozusagen ausdrücklich nicht sagen, dass da noch irgendwas übrig bleibt – müsste es eigentlich löschbar sein, wobei wir dazu was vorbereiten, aber noch nicht die nötigen Daten haben.

Meyer: Nun liest man von verschiedenen Seiten von anderen Facebook-Nutzern, die sagen: Mein Vertrauen in Facebook ist gestört oder sogar zerstört. Da scheint sich so etwas anzubahnen. Auf der anderen Seite ist Facebook eine Riesenmacht eben mit diesen 800 Millionen Nutzern weltweit. Den Meisten ist das wahrscheinlich – die Fragen, mit denen Sie sich herumschlagen – herzlich egal. Wie schätzen Sie denn Ihre Chancen ein, Facebook da tatsächlich zur Änderung zu bewegen?

Schrems: Ich habe derzeit schon das Gefühl, dass diese irische Datenschutzkommission, die sich dem ganzen annimmt und deswegen auch eine Betriebsprüfung bei Facebook macht und diese ganzen Dinge, schon sehr …

Meyer: Da müssen wir kurz erklären: Facebook Europa sitzt in Irland, deswegen sind die irischen Behörden da zuständig.

Schrems: Genau, das ist ein kleines Steuerparadies, die zahlen dort cirka zwei Prozent bis drei Prozent Körperschaftssteuer statt 35 in den USA. Und wir haben alle einen Vertrag mit Facebook in Irland. Das heißt, wir haben bei der irischen Datenschutzkommission diese Anzeigen eingebracht, und die haben sich auch schon voll verantwortlich erklärt dafür, haben gesagt, sie werden alle rechtlichen Mittel ausschöpfen, die sie haben, und werden also auch eine, ich glaube, vier- bis fünftägige Betriebsprüfung bei Facebook machen. Und das sind alles schon recht gute Zeichen, soweit das auch ernst genommen wird und was getan wird.

Meyer: Der Student Max Schrems und seine Mitstreiter legen sich mit dem Giganten Facebook an. Herr Schrems, vielen Dank für das Gespräch!

Schrems: Besten Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Links bei dradio.de
Facebook wird zum Tagebuch des Lebens
Verbraucherschutzministerin über ihre Verhandlungen mit Facebook-Vertretern
Facebooks "Timeline" empört die Datenschützer
Mehr zum Thema