Taufengel in lutherischen Kirchen

Barocke Figuren im Kirchenhimmel

Taufengel in einer Kirche in Teltow-Fläming, Brandenburg
Ein Taufengel schwebt in der im 13. Jahrhundert erbauten Kirche in Niebendorf (Teltow-Fläming/Brandenburg). © picture alliance/dpa/Foto: Bernd Settnik
Von Dieter Bub · 19.08.2018
Hölzerne Taufengel hingen im 18. Jahrhundert in vielen lutherischen Kirchen. Besonders in Brandenburg sind viele in letzter Zeit restauriert worden. Aber nicht jede Gemeinde freut sich, wenn so ein Wesen die Schale mit dem Taufwasser hält.
Zu Taufengeln habe ich in meinem Leben eine besondere Beziehung. Dem ersten dieser Himmelsboten bin ich in Neuwarp begegnet, einst einem kleinen Erholungsort am Stettiner Haff. Vermutlich bin ich dort wenige Tage nach meiner Geburt getauft worden. Siebzig Jahre später habe ich ihn im jetzigen Nowo Warpne wiedergesehen. Er gehört zu einer Gemeinschaft von hunderten Figuren, die im evangelischen Norden als Zeichen eines barocken theatralischen Lebensgeistes in Mode waren. Werner Ziems, Experte für die himmlischen Heerscharen:
"Die Taufengel hier im Land Brandenburg tauchen Ende 17. bis Ende 18. Jahrhunderts auf und haben dann eine Hochphase von 100 Jahren. Dann ebbt das ab."
Autor: "War das gewollt, war das eine Anordnung, war das von der Kirche initiiert?"
Ziems. "Das mag sein. Man brauchte Platz. Die Kirchengemeinden sind größer geworden in der Zeit, man hat umfangreiches Gestühl aufstellen müssen, man hat Emporen in der Kirche bauen müssen. Da war man mit dem Taufengel ganz gut dran. Der war variabel – den hat man einfach hoch gezogen und dann war unten Platz."

Ein Engel hat Federn gelassen

In Brandenburg sind bis heute 150 Taufengel gefunden und zu einem großen Teil restauriert worden. Auch wenn dem Reichenberger Taufengel Arme und Beine fehlen und von den Flügeln nur Reste vorhanden sind, gilt er als ganz besondere Figur.
Ziems: "Es ist auffällig, dass die bildhauerische Qualität ganz enorm ist. Ich kenne in Brandenburg keinen zweiten Engel, der so dramatisch und so schön und kunstvoll gearbeitet wurde wie dieser."
Das Besondere an diesem Engel sei, dass er nie übermalt worden sei, erklärt die Restauratorin Brigitte Bub:
"Er trägt noch die Originalfassung, auch wenn sie in manchen Bereichen nicht mehr soviel Befund hat – aber doch genug um zu sehen, dass er einen kräftigen Rosaton trug, dass das Obergewand in einem fast leuchtenden Rot gefasst ist, das Untergewand in einem hellen Blau mit goldenen Sternen darauf."

Fragile Figuren, die auch abstürzen konnten

Mit der Zeit Schinkels kamen die Taufengel aus der Mode. Viele waren ohnehin nicht mehr zu benutzen.
Ziems: "Taufengel haben ja die Art, dass sie sehr fragil sind. Sie sind ja keine Standfiguren, die einen eigenen Sockel haben, an sich fest stehen können. Viele sind auch im Laufe der Zeit abgestürzt, sie hängen ja ursprünglich an Seilen oder eisernen Gestängen. Da ist so manches Seil gerissen im Laufe der Zeit. Dann kann man sich vorstellen, wenn sie aus einer Höhe von vier Metern abstürzen, dann bricht was ab, dann nehmen sie Schaden."
Andere Figuren verschwanden in Abstellkammern, wurden weggeworfen, fanden sich unter Bauschutt oder in überwuchertem Gebüsch – von naiven Arbeiten bis zu hoch künstlerischen Stücken, die von Bildhauern am Hofe geschaffen worden waren, wie der Engel in Reichenberg.
Die zweite Station meiner Reise zu den Taufengeln ist Kaakstädt bei Gerswalde, eine kleine Kirche, in der diese Figur, höchstwahrscheinlich aus dem Anfang der 18. Jahrhunderts, besonders eindrucksvoll wirkt.

Zeitzeuge des Dreißigjährigen Krieges

Brigitte Bub: "Es ist eine besonders qualitätsvolle bildhauerische Arbeit. Er hat eine schöne Farbfassung mit Metallauflagen in Gold und Silber. Er ist einer von den schönsten Engeln, die es in Brandenburg gibt. Das waren oft zwei verschiedene Künstler – der Bildhauer und der, der die Farbfassung aufgebracht hat. Bei dem hier nimmt man an, dass die Familie von Arnim, dass dieser Engel in dieser Zeit hier rein gekommen ist. Also, fünfzig Jahre nach dem 30jährigen Krieg waren ja viele Kirchen zerstört, und danach gab es langsam eine Renaissance, einen Wiederaufbau und Wiederausstattung der Kirchen."
Der Engel von Kaakstädt gehört zu den wenigen, die noch heute "in Betrieb" sind. Pastorin Enseleit holt ihn bei Bedarf aus seiner Ruheposition.

Knapp über dem Kopf der Pfarrerin

Enseleit: "Einmal alle zwei Jahre wird er heruntergelassen und bekommt dann die silberne Taufschale eingelegt in die Muschelschale. Die Gemeinde ist noch immer nicht vertraut mit dem Engel. Ich merke dann so ein bisschen den Unwillen, wenn die Gemeinde da sitzt. Denen hängt der Engel je nach Laune auch mal mit den Füßen im Gesicht. Er dreht sich ja auch."
Dennoch sorge die Figur oft für eine besondere Atmosphäre:
"Es ist, als wäre da noch ein Dritter anwesend: die Gemeinde, ich und – er. Ich stehe dann meistens direkt unter dem Engel. Es ist schon eine Irritation, denn so dicht hat man normalerweise kein Figürliches über sich. Das ist ja nicht irgendein Ding, sondern der hält so seinen Arm direkt über mich, und das Gesicht schaut fast auf mich herab, oder die Füße habe ich ganz nah über dem Kopf. Der Kirchenhimmel ist belebter. Mit einem Wesen. Es ist eine Anwesenheit."
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