Aus Bedrohlichem etwas Schönes machen
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Bianca wollte sich nie tätowieren lassen. Dann kamen der Krebs, Operationen und Narben. Und sie entschied sich für einen offensiven, positiven Umgang damit.
Blumen mit rosa, gelben, orangenen Blüten, blaue Schmetterlinge, ein Kolibri – auf Biancas Rücken, bis hin zu ihrer linken Brust ist ein großes Kunstwerk. Dabei war sie eigentlich gar kein Fan von Tätowierungen:
"Früher hatte ich die Einstellung, dass ich mich niemals tätowieren lassen möchte, weil das was wäre, was ich nie wieder entfernen könnte. Ich wollte nur Dinge an meinem Körper haben, wo ich mich auch noch mal dagegen entscheiden kann, also zum Beispiel ein Piercing kann man rausnehmen."
"Jetzt möchte ich gern was Schönes draus machen"
Zwar hatte Bianca nach einem Autounfall eine große Narbe vom Rücken zum linken Oberarm. Gehört aber zu mir, dachte sie. Und: Sollen die Leute im Schwimmbad doch starren. Jahre später kam dann die Diagnose Brustkrebs. Bianca wurden beide Brüste entfernt und Implantate eingesetzt, zurück blieben Narben an den Brustfalten. Aber weil die Wunde nicht richtig heilte, musste sie wieder unters Messer. Nun hatte sie noch eine Narbe, diesmal quer über die linke Brust.
"Und dann dachte ich eben: So, jetzt langt's! Jetzt möchte ich da gern was Schönes draus machen."
Etwas Schönes draus machen, dabei half Miss Nico, Besitzerin vom All Style Tattoo Studio in Berlin-Friedrichshain. Zweimal ließ sich Bianca hier schon Narben überdecken, nun überlegt sie, die Narbe an ihrer rechten Brustfalte übermalen zu lassen. Oft sind Vergrößerungen bei diesen Tattoos kein Problem, sagt Miss Nico:
"Wenn man behutsam und sensibel an diesen Stellen tätowiert, dann ist es meistens sowieso so, dass man was nimmt, was der Anatomie schmeichelt und das ist auch meistens dann eine Form, die man auch in irgendeiner Art und Weise dann erweitern kann."
Narben als Zeichen des (Über-)Lebens
Dabei, sagt Bianca, seien Narben ja nicht nur negativ, zeigten nicht nur, dass die Person eine Verletzung hatte:
"Gleichzeitig ist es eben ein Hinweis darauf, dass man auch was erlebt hat, dass man Dinge überlebt hat, dass man Lebenserfahrung hat, das kann ich ganz bestimmt so sagen, dass jede Narbe am Körper auch ein Stück Lebenserfahrung darstellt. Also es ist gar nicht notwendig, jede Narbe, die man am Körper hat, abzudecken."
Sie hat eine kleine Narbe am Rücken freistehen lassen. Wer ansonsten auf ihre Tätowierung schaut, mag gar nicht glauben, dass hier dicke Narben sein sollen, nur wer mit der Hand über Rücken und Schulter streicht, kann die Erhebungen der verletzten Haut fühlen.
Eine Art Abschluss
Für viele Frauen geht es nach einer Brustoperation aber nicht nur ums Kaschieren, sondern auch ums Komplettieren. Denn wer sich für eine Brustrekonstruktion entscheidet, der wird die Brustform wiederaufgebaut – aber nicht unbedingt die Brustwarze. Das führt ebenfalls Frauen zu Miss Nico. Ihr Wunschmotiv ist dann nur eben keine Blume, sondern eine Brustwarze, mit rosiger Haut und – dank angedeuteter Schatten – einer Nippelerhebung.
"Für viele Frauen ist das so eine Art Abschluss-Setzen auf eine lange Zeit der Brustkrebsbehandlung, von Erstdiagnose, Chemotherapie, OP, dann die Entscheidung, vielleicht auch die andere Seite prophylaktisch entfernen lassen zu müssen, die Entscheidung, welche Art von Aufbau mache ich, Eigengewebe oder Implantat, das kann ja ein bis zwei Jahre dauern", sagt Betina Koch, Psychoonkologin im Vivantes Klinikum Am Urban.
"Und dann zu sagen, okay, und jetzt lass ich mir noch die Brustwarzen tätowieren und jetzt habe ich auch das Gefühl, wenn ich in den Spiegel gucke, ja ich habe Brüste, die mich an meine früheren Brüste zumindest erinnern, das kann wirklich auch ein guter Ausdruck von einem abgeschlossener Heilungsprozess sein."
Manche wollen ein Brustwarzen-Tattoo
Hier geht es nicht um Kunst, weiß Miss Nico:
"Es ist ja oftmals so, dass die Mädels, die tatsächlich nur eine Brustwarze wollen, die wollen eigentlich kein Tattoo, also die haben sich nicht mit Tätowierung vorher auseinandergesetzt, die haben nicht das Bedürfnis, irgendwie Tattoo-Kunst auf der Haut zu haben, sie wollen sich einfach bloß ganz fühlen, also man ist extrem behutsam."
Die Tätowierung ist eben nicht am Bein oder Arm, sondern an der Brust – Symbol für Weiblichkeit, Mutterschaft und noch so viel mehr.
Ob Brustwarze oder Blumenranke, kann so eine Tätowierung noch etwas mit den Frauen machen. Sie sind aktiv. Sie entscheiden selbst, wie ihr Körper dauerhaft aussehen soll, lassen sich von einer Krankheit nicht alles diktieren. Auch für Bianca war es wichtig, aus etwas Bedrohlichem wie Brustkrebs etwas Schönes zu machen. Die Bilder auf ihrem Körper erinnern sie nicht an die Krankheit, sondern stärken eher ihren Willen, sich auf das Positive zu konzentrieren.
Die Blicke am See oder im Schwimmbad sind zwar noch immer da. Aber:
"Jetzt ist es so, dass ich auch angeglotzt werde, aber mit einem ganz anderen Gesichtsausdruck. Also ich sehe, dass die Leute auch begeistert sind. Das ist einfach ein ganz anderes Feedback, 180 Grad in die andere Richtung."