Tattoos als Anker in unsteten Zeiten

Liebe vergeht, Tattoo besteht

"True love" ("Wahre Liebe") steht am 21.03.2015 auf der "International Tattoo-Convention" in Frankfurt am Main (Hessen) auf den Händen eines tätowierten Mannes.
"Wahre Liebe" möchte dieser Tattoo-Fan für immer mit sich tragen: zumindest als Schriftzug auf seiner Hand. © Boris Roessler / dpa
Soziologe Oliver Bidlo im Gespräch mit Timo Grampes · 08.08.2017
Für den Soziologen Oliver Bidlo ist ein Tattoo etwas sehr Konservatives: Es könne etwas für den Rest des Lebens festhalten - sei es die große Liebe, eine Weltsicht oder Erinnerung. Ist es deshalb in unserer schnelllebigen Zeiten so beliebt?
Seefahrer, Weltenbummler oder Kriminelle tragen Tattoos – unstete Gesellen. Das war früher zumindest häufig die Meinung. Das Tattoo – es hatte damals eindeutig ein Imageproblem.
Das hat sich mittlerweile vollkommen geändert. Seit Mitte der 1990er-Jahre wird das Tattoo mehr und mehr zum Mainstream-Körperschmuck. Zunächst hätten Prominente, Sportler, Künstler und Musiker sich tätowieren lassen, sagt Soziologe und Kommunikationswissenschaftler Oliver Bidlo. Dann haben auch immer mehr Menschen ein Tattoo getragen.
"Nicht nur als Mode", meint Bidlo. Vielmehr würden die Menschen sich mit einem Tattoo in unsteten Zeiten etwas Festes, Beständiges schaffen. Für sein Buch "Tattoo - Die Einschreibung des Anderen" hat er mit vielen Menschen über ihren Körperschmuck gesprochen – und eine Gemeinsamkeit festgestellt: Der Träger wolle meist "etwas konservieren, etwas festhalten: Dass kann eine große Liebe sein, Namen der Kinder, das kann eine Überzeugung sein, eine Sichtweise auf die Welt. Und die soll letztendlich nicht mal eben nur so, sondern dauerhaft eigentlich für die körperliche Existenz konserviert werden."

Auch Ötzi war tätowiert

Deswegen sei der Akt des Tätowieren-Lassens ein konservativer. In "sehr unsteten, globalisierten Zeiten", in denen sich Lebensumstände immer schneller verändern, sei das Tattoo ein Anker.
Doch ein Tattoo ist keineswegs allein ein Phänomen unserer Zeit, vielmehr haben sich Menschen schon so gut wie immer tätowiert. "Alle ursprünglichen Völker hatten so etwas", sagt Bidlo. Selbst Ötzi habe ein Tattoo gehabt.
Häufig sei damals die Stellung in der sozialen Gruppe ausgedrückt worden. Ein Phänomen, das es auch heute noch gebe. "Beispielsweise bei Rockergruppen, Fußballfans oder im halbgrauen Milieu." Meist sei ein Tattoo heute aber sehr viel individualisierter. "Man lässt sich etwas tätowieren, was in irgendeiner Art mit der eigenen Biografie in Verbindung steht."
(lk)

Was tragen Sie auf der Haut? Das haben wir einige Tattoo-Fans in unserer Serie "Haut und Bilder" gefragt.

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