Tatort Internet

Rezensiert von Ulrich Baron · 09.09.2012
Zwei Bücher über die Gefahren aus dem Netz: Mark Bowden beschreibt den Kampf gegen einen mysteriösen Computerwurm. Und Misha Glenny durchleuchtet jenen lukrativen Schwarzmarkt, auf dem mit gestohlenen Kreditkarten- und Bankingdaten Millionen verdient werden.
Der Angriff des Computerwurms "Stuxnet" auf das iranische Atomprogramm und der arabische Frühling, der Erfolg der "Piraten"-Partei und der verstolperte Börsengang von Facebook sind nur einige der Überraschungen, die uns das Internet beschert hat. Ja, glaubt man dem amerikanischen Sachbuchautor Mark Bowden, so hat im Jahre 2008 mit der Ausbreitung des Computerwurms "Conficker" schon "Der erste digitale Weltkrieg" begonnen. Aber Sachbücher sollten ja der Versachlichung von Debatten dienen. Auch wenn Bowden den Kampf einer Gruppe von Computerspezialisten gegen jenes Schadprogramm nach Manier der "Marvel"-Comics erzählt, erklärt er doch kurz und gut, warum Computerlaien das Internet wie ein Wunderland vorkommt, in dem alles kostenlos möglich erscheint, aber wenig durchschaubar und manches unheimlich ist:

"Computer so einfach zu machen, dass jedermann sie benutzen kann, war der Kern der Idee, die Bill Gates und Paul Allen zu zwei der reichsten Männer der Welt machte. Indem sie freilich jeden einluden, an der Computerrevolution teilzuhaben, stießen sie die Tore zur digitalen Welt auch für die technologischen Ignoranten auf, zu denen die meisten von uns zählen durften."

Doch es waren nicht nur die Gründer von Microsoft, die diese Tore auf- und uns dann hindurch stießen. Während Bowden sich weitgehend auf den Kampf gegen jenen mysteriösen Computerwurm konzentriert, durchleuchtet Misha Glenny in "Cybercrime" jenen lukrativen Schwarzmarkt, auf dem mit gestohlenen Kreditkarten- und Bankingdaten Millionen verdient werden. Besonders schnell seien nämlich die Banken ins Netz gegangen, schreibt Glenny:

"Wie ihnen klar wurde, mussten sie ihre Kunden nur dazu bringen, Zahlungen und Kontoverwaltung online abzuwickeln; dann brauchten sie keine Angestellten mehr für solche Tätigkeiten zu bezahlen."

Doch inzwischen werde nicht nur unser Geld, sondern große Teile der "kritischen nationalen Infrastruktur" unter die Kontrolle von Computersysteme gestellt: Von der öffentlichen Verwaltung, über Energie- und Wasserversorgung bis zur Justiz und dem Militär verlasse sich unsere Gesellschaft auf Systeme, die nur eine kleine Elite von Spezialisten noch durchschauen könne:

"Heute befinden wir uns in einer Situation, in der diese kleine Elite – egal, ob man sie nun Hacker, Technikfreaks, Codierer, Geeks, Securotaten oder sonst wie nennt – ein Herrschaftswissen über eine Technologie besitzt, die Tag für Tag unser Leben immer stärker und umfassender steuert, während die meisten anderen davon absolut nichts verstehen."

Nicht jeder dieser Wissenden fühlt sich an Gesetze gebunden. Während die Initiatoren der Conficker-Attacke bei Bowden unbekannt bleiben, kann Misha Glenny eine Reihe jener Cyberkrimineller namhaft machen, die auf Webseiten wie CarderPlanet und DarkMarket mit Kontodaten, Fachwissen, Phishing-Programmen oder "Skimmern", Geräten zum illegalen Ablesen von Kreditkartendaten, handelten. Glennys Buch zeigt anhand einiger exemplarischer Karrieren, wie fließend der Übergang vom riskanten Spiel jugendlicher Hacker hin zur organisierten Kriminalität ist. Während jüngere, kaum volljährige Mitglieder der digitalen Schwarzmärkte ihren Ehrgeiz als rund um die Uhr beschäftigte Administratoren befriedigten, schöpften andere Mitglieder zielstrebig Millionenbeträge ab, entwickelten gar ein eigenes Treuhandsystem und gingen vom Handel mit einschlägiger Hard- und Software zu deren Vermietung über.

Glenny beschreibt auch, wie ein FBI-Mann sich in dieses virtuelle Milieu einschlich, dessen Mitglieder Fantasienamen wie Blade, Dron, Lord Cyric und Lord Kaisersose tragen und sich deshalb der Identität ihrer Geschäftspartner wie auch der eigenen nicht immer sicher sein können. Hinter technischen Genies mit exotischen Kriegsnamen kommen dabei Gestalten zum Vorschein, die dem Klischee jener Computerfreaks entsprechen, die sich selten waschen und immer Pizza essen – aber auch kriminelle Profis, die sich deren naiven Ehrgeiz zunutze machen. Und allen Geschichten von genialen Hackern zum Trotz, erscheint bei Bowden wie bei Glenny der Mensch als die wichtigsten Schwachstelle: Der eitle, sich selbst überschätzende Surfer, der allzu sorglose Kunde am Bankautomaten oder auch der hilfsbereite Mensch, der einem vermeintlichen Kollegen mit einem Password aushilft.

Allzu menschlich erscheint in Bowdens "Worm" freilich auch die Anfälligkeit für erzählerische Muster der Unterhaltungsindustrie. Der Kampf gegen den im November 2008 erstmals entdeckten Wurm wird hier als heroischer Einsatz einer Gruppe freier Computerspezialisten gegen den raffiniert programmierten Aggressor und dessen unbekannte Schöpfer beschrieben. Und wie in jedem schlechten Science-Fiction-Film unterstellt Bowden auch hier den Behörden der USA, sie hätten diesen Gegner, der binnen kurzer Zeit Millionen von Rechnern befallen hatte, nicht ernst genug genommen. Doch angesichts von Meldungen über den jüngsten Computerwurm "Flame", nach denen US-Präsident Obama Ansätze der Bush-Administration aufgegriffen habe, um sich heute zum weißen Ritter des Cyberware schlagen zu lassen, erhält dieses 2011 in den USA erschienene Buch eine etwas andere Lesart. Könnte es nicht sein, dass zumindest einige US-Behörden gewichtige Gründe hatten, von "Conficker" offiziell nichts oder möglichst wenig wissen zu wollen?

Wenn so das Misstrauen, das Mark Bowden gegenüber dem Internet weckt, sich gegen sein eigenes Buch wendet, spricht das für die Bedeutung seines Themas. Wer aber nicht gleich in den digitalen Weltkrieg ziehen, sondern nur sein Konto und seine Daten schützen will, wird von Misha Glennys "Cybercrime" besser und konkreter informiert.

Anhand des Schicksals des erst unlängst zu dreizehn Jahren Haft verurteilten Max Butler alias Max Vision alias Iceman zeigt Glenny, dass Netzkriminalität nicht nur Ignoranten, sondern auch die Elite selbst gefährdet. In Visions Fall äußerte sich moralisches und juristisches Grenzgängertum in einer verhängnisvollen Aufspaltung seiner virtuellen Identität:

"Als Iceman kaufte und verkaufte er nie Kreditkarten. Aber Vision schuf auch andere Online-Personen, und die handelten damit. Die Fähigkeit, Teile der eigenen Persönlichkeit abzuspalten, war unter Hackern weit verbreitet. Hin und wieder glaubte Vision offenbar sogar, seine virtuellen Gestalten seien in Denken und Handeln autonom und daher auch moralisch selbstständige Gebilde."

Gegen solche Verselbständigung gäbe es ein einfaches Mittel, nämlich die Verpflichtung, sich außerhalb von Spielseiten auch im Internet mit seinem echten Namen auszuweisen. Aber solch einen ungeheuerlichen Angriff auf die vermeintliche Freiheit im Netz wagen weder Glenny noch Bowden.

Mark Bowden: Worm. Der erste digitale Weltkrieg
Aus dem Englischen von Thomas Pfeiffer
Berlin Verlag, 2012

Misha Glenny: Cybercrime. Kriminalität und Krieg im digitalen Zeitalter
Aus dem Englischen von Sebastian Vogel
Deutsche Verlagsanstalt, München 2012
Buchcover "Worm. Der erste digitale Weltkrieg" von Mark Bowden
Buchcover "Worm. Der erste digitale Weltkrieg" von Mark Bowden© Berlin Verlag
Buchcover "Cybercrime. Kriminalität und Krieg im digitalen Zeitalter" von Misha Glenny
Buchcover "Cybercrime. Kriminalität und Krieg im digitalen Zeitalter" von Misha Glenny© Deutsche Verlagsanstalt München
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