Tarifverhandlungen

Gewerkschaften sollen Verhältnismäßigkeit wahren

Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Claus Weselsky (M), gibt am 17.10.2014 in Dresden (Sachsen) auf dem Hauptbahnhof ein Pressestatement zu neuen Streiks am Wochenende
GDL-Chef Claus Weselsky macht der Deutschen Bahn das Leben schwer. Dabei geht es seiner kleinen Gewerkschaft wohl vor allem um einen Überlebenskampf gegen die EVG. © picture-alliance / dpa / Matthias Hiekel
Justus Haucap im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 22.10.2014
Das geplante Tarifeinheitsgesetz wird schwierig umzusetzen sein, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Justus Haucap. Denn: Das Grundgesetz gibt allen Arbeitnehmern die Möglichkeit, eigene Gewerkschaften zu gründen. Spartengewerkschaften hätten auch durchaus ihren Sinn, müssten aber in sensiblen Bereichen wie bei der Bahn gewissen Verhaltensregeln gehorchen.
Liane von Billerbeck: Die Deutsche Bahn verhandelt ja heute weiter. Nein, nicht mit der GDL, sondern mit der EVG, die kleinere GDL. Die hatte ja, um ihre Forderung zu untermauern, am Wochenende die halbe Republik lahmgelegt und hat inzwischen neue Streiks angekündigt. Die Verhandlungen mit der EVG indes sollen geräuschlos laufen. Ist das vielleicht ein Zukunftsszenario? Im Bundesarbeitsministerium sitzt man nämlich an einem Gesetz, das in Betrieben, in denen konkurrierende Tarifverträge gelten, nur noch die von der mitgliederstärksten Gewerkschaft ausgehandelten Verträge abgeschlossen werden. Ade, GDL, hieße das dann. Ob aber solch ein Gesetz nicht allen Regeln der Tarifautonomie widerspricht, das will ich jetzt diskutieren mit Justus Haucap. Er ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Düsseldorf und Gründungsdirektor des dortigen Instituts für Wettbewerbsökonomie. Herr Haucap, schönen guten Morgen!
Justus Haucap: Guten Morgen!
von Billerbeck: Der GDL-Streik am Wochenende hat ja große Teile der Republik betroffen. Was soll denn das Gesetz zur Tarifeinheit bewirken?
Haucap: Das Gesetz zur Tarifeinheit soll bewirken, genau wie es eben angekündigt wurde, dass eben im Grunde genommen nur noch eine Gewerkschaft, nämlich die mitgliederstärkste, für alle Arbeitnehmer im Betrieb die Tarife verhandelt.
von Billerbeck: Das klingt so ein bisschen, als wollte da eine sozialdemokratische Arbeitsministerin Nahles, in deren Ministerium ja dieses Gesetz da erarbeitet wird, den ihr nahen Gewerkschaften an die Gurgel.
Haucap: Das ist nicht so ganz falsch, dieser Eindruck, denke ich. Die Historie dieser kleinen Gewerkschaften ist ja so, dass letztendlich da bei einigen doch eine große Unzufriedenheit bei ver.di entstanden ist nach diesem sehr großen Zusammenschluss, den es vor etwa zehn Jahren gegeben hat, und die kleinen Gewerkschaften sich dann entschlossen haben eigentlich, herauszulösen aus dem Tarifverbund mit ver.di, um selbst für sich zu verhandeln. Und jetzt sieht man, dass das natürlich gewisse Kalamitäten, gewisse Probleme aufwirft, man versucht, sie mehr oder weniger indirekt wieder in den Tarifverbund mit den großen Gewerkschaften hineinzuzwingen. Und da bin ich in der Tat sehr skeptisch, ob das gelingen wird.
Kampf um die Existenzberechtigung
von Billerbeck: Das hieße, so ein Gesetz würde das Ende von solchen Gewerkschaften wie der GDL bedeuten?
Haucap: Das kommt natürlich darauf an, wie das ganz genau ausgestaltet wird, dieses Gesetz. Aber natürlich ist das Ziel, die Macht der kleinen Gewerkschaften zu beschneiden. Ansonsten würde man das Gesetz wohl kaum benötigen.
von Billerbeck: Führt also die GDL mit ihren Streiks, die ja doch heftig sind für deutsche Verhältnisse zumindest, jetzt eine Art Existenz, entweder größer werden oder untergehen?
Haucap: Ja, so kann man das interpretieren. Diese Idee, ein solches Gesetzgebungsvorhaben zu starten, gibt es ja nun schon eine ganze Weile. Und von daher muss natürlich die GDL und auch andere kleine Gewerkschaften sich gut aufstellen, um ihre Existenzberechtigung auch nach einem solchen Gesetz zu belegen. Und deswegen ist es kein Zufall, dass nun die GDL versucht, auch die Tarife nicht nur für die Lokführer, sondern eben auch für das Begleitpersonal und die Servierkräfte im Bistro et cetera zu erlangen.
von Billerbeck: So eine Art feindliche Übernahme der größeren durch die kleinere Gewerkschaft, jedenfalls als Versuch. Die Frage, Sie haben ja eben ver.di schon erwähnt: Hat es denn Sinn, dass in einem Unternehmen von der Putzfrau über die Sekretärin und den Techniker bis hin zum leitenden Angestellten alle von einer Gewerkschaft vertreten werden?
Haucap: Das ist genau das Problem, was sich jetzt gezeigt hat. Man mag denken, das macht einen gewissen Sinn, weil natürlich eine gewisse Ruhe einkehrt im Betrieb. Andererseits hat man gesehen, dass eben so eine sehr, sehr große Gewerkschaft wohl kaum den Belangen aller Arbeitnehmer angemessen Rechnung zu tragen scheint, zumindest haben sich bei einigen Arbeitnehmergruppen doch große Unzufriedenheiten eingestellt und dann eben die Entscheidung getroffen zu sagen, wir verhandeln lieber für uns selbst, wir glauben, wir können das besser. Und dazu muss man wissen: Dieses Recht zu sagen, wir möchten gerne doch für uns selbst verhandeln, das ist grundgesetzlich verbürgt.
Das Grundgesetz gibt uns nämlich nicht nur die sogenannte positive Koalitionsfreiheit, dass man sagt, man darf sich zu Gewerkschaften zusammenschließen und dann eben kollektiv verhandeln, sondern es gibt genauso das Recht, diesem fernzubleiben und zu sagen, ich möchte anders verhandeln, nicht mit der großen Gewerkschaft, und möglicherweise auch eine eigene Gewerkschaft gründen um zu verhandeln. Und das ist grundgesetzlich genauso stark geschützt wie eben die positive Koalitionsfreiheit. Deswegen, glaube ich, wird das auch ein ganz, ganz schwieriges Gesetzgebungsverfahren, weil man hier eben letztendlich am Grundgesetz nicht vorbeikommt.
Alternativen für die Lösung des Tarifkonflikts
von Billerbeck: Das spricht ja auch alles dafür, durchaus kleine Gewerkschaften, die eben für spezielle Berufe oder Sparten agieren, zu erhalten. Wenn wir uns dieses Gesetz ansehen, Sie haben ja schon gesagt, das ist nicht unumstritten, auch verfassungsrechtlich. Gäbe es denn Alternativen zu diesem Gesetz? Hätten Sie denn einen Vorschlag, wie man das Problem anders lösen könnte?
Haucap: Es gibt schon eine ganze Reihe von Vorschlägen, insbesondere auch mein Bonner Kollege Thüsing hat einige Vorschläge ausgearbeitet und sagt zum Beispiel, na gut, das Kernproblem dieses Streiks ist ja auch, dass so viele eigentlich unbeteiligte Dritte, die Reisenden nämlich, betroffen werden, die eigentlich nichts beitragen können, um den Tarifkonflikt zu lösen. Und sein Vorschlag, damit die weniger stark getroffen werden, ist zu sagen, na ja, sollten nicht die Streiks von kleinen, besonders mächtigen Gewerkschaften in diesen sehr essenziellen Bereichen wenigstens vier Tage vorher angekündigt werden, sollte man nicht zusätzlich in diesen Bereichen auf Warnstreiks verzichten, weil eben vor Verhandlungsbeginn letztendlich das vielleicht doch nicht verhältnismäßig ist, schon loszustreiken?
Oder sollte man nicht zusätzlich ein Schlichtungsverfahren zwingend einem Streik vorschalten, damit eben möglichst viel getan wird, um Streiks abzuwenden? Und ich denke, das ist ganz sinnvoll. Denn in der sozialen Marktwirtschaft ist es eigentlich immer so, dass diejenigen, die besonders viel Macht haben, auch besondere Verpflichtungen haben. Unternehmen wie die Bahn, die selber besonders mächtig sind, dürfen zum Beispiel auch nicht einfach ihre Preise setzen, wie sie wollen, sondern müssen sich relativ viele Preise auch genehmigen lassen. Bei der Deutschen Telekom und anderen großen Unternehmen, die marktmächtig sind, ist das ähnlich.
Und ich glaube, das könnte man durchaus auch auf Gewerkschaften übertragen und sagen, wenn es Gewerkschaften gibt, die besonders mächtig sind, dann muss man vielleicht auch andere Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit von Streiks stellen, insbesondere dann, wenn so viele Dritte betroffen werden, die gar nichts beitragen können zur Lösung von Tarifkonflikten.
von Billerbeck: Das sagt der Düsseldorfer Volkswirtschaftler Professor Justus Haucap vom dortigen Institut für Wettbewerbsökonomie. Ich danke Ihnen!
Haucap: Herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema